Süddeutsche Zeitung

Werte:Freiheit, die sie meinen

Lesezeit: 2 min

Die französischen Revolutionäre wollten einst politische Teilhabe erkämpfen. Das war ihre Vorstellung von Freiheit. Heute wird diese oft auf die Verteidigung von Privilegien reduziert. Es ist an der Zeit, wieder an das Verständnis der Revolutionäre anzuknüpfen.

Von Jean-Marie Magro

Vor 230 Jahren, am 14. Juli 1789, stürmten Aufständische in Paris die Bastille. Das markierte den Anfang der für Europa wohl wichtigsten Revolution. Die Armen traten aus der Verborgenheit, das Ancien Régime löste sich auf, und die Menschenrechte wurden erklärt. Dieses revolutionäre Erbe beeinflusst bis heute Europa.

Es waren, das ist zum Verständnis der Französischen Revolution wichtig, nicht die Armen, die sie vorantrieben. Die Anführer waren junge, redegewandte Männer, die Macht erlangen wollten. Anwälte wie Maximilien Robespierre oder Camille Desmoulins. Sie lasen viel über die alten Griechen und Römer und wollten wie diese ein politisches Leben führen, was bis dahin Adel und Klerus vorbehalten war. Es war ihre Vorstellung von Freiheit.

Heute bedeutet Freiheit vielen etwas anderes. Etwa, im Porsche mit mehr als 200 km/h auf der Autobahn zu rasen, oder, so meinen einige mit Verweis auf die Meinungsfreiheit, ganze Gruppen zu diskriminieren. Und der Wert Freiheit wird oft reduziert auf die Angst vor dem Verlust von Privilegien.

Tatsächlich ist der Wunsch nach Freiheit vielfach dem Bedürfnis nach Sicherheit gewichen. Die zunehmende, von vielen Bürgern akzeptierte Überwachung zur Terrorabwehr ist ein Beispiel, die restriktive Migrationspolitik aus Angst vor einer "Flüchtlingswelle" ein anderes. Zur Erinnerung: Die Revolutionäre wählten zu ihrer Zeit die Parole "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit". Der Begriff Sicherheit tauchte nicht auf, denn sicher konnte man sich auch im Gefängnis fühlen.

Dennoch scheiterte die Revolution brutal, weil sie ihr Freiheitsversprechen nicht einlösen konnte. Hannah Arendt erklärte es später so, dass Menschen erst von Zwang und Not befreit sein müssten, um wirklich frei sein zu können. Sie nannte dies "die Freiheit, frei zu sein". Das schafften die Revolutionäre nicht. Die Armen blieben arm und hungerten weiter.

Die führenden Köpfe während der Revolutionsjahre beschäftigten sich eher damit, Rivalen und vermeintliche Verschwörer auszuschalten. 16 500 Menschen wurden hingerichtet, Zehntausende starben in den über das Land verteilten Bürgerkriegen. Robespierre nannte diese Terrorherrschaft den "Despotismus der Freiheit gegen die Tyrannei".

Trotz der Gräuel können einige Lehren aus dieser Zeit gezogen werden. Vor allem aus dem vielversprechenden Anfang der Revolution. Freiheit bedeutet danach eben nicht die Unantastbarkeit des Eigentums, sondern, sich politisch beteiligen zu können. Dieses Verständnis von Freiheit würde heute neue politische Handlungsspielräume eröffnen: bezogen auf die Klimakrise, die viele Unfreiheiten schaffen wird; oder auf die hohen Mieten in den Großstädten, die vielen Bewohnern über den Kopf wachsen. Weitreichende Maßnahmen sind hier notwendig - und lassen sich durchaus auch mit dem Argument der Freiheit rechtfertigen.

Ein zentraler Punkt des Freiheitsprinzips muss, diesem Verständnis folgend, der Schutz von Minderheiten sein. Menschen egal welcher Hautfarbe, Konfession, sexuellen Vorliebe oder Geschlechts muss die Teilhabe an dieser Gesellschaft garantiert sein. Das ist die Grundvoraussetzung für Freiheit. Zumindest für die, die einst die Revolutionäre versprachen. Aus deren Scheitern lässt sich lernen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4521119
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 13.07.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.