Süddeutsche Zeitung

Werkstatt Demokratie:Wenn "SoBoN", "Wohnbaumanager" und "Umbelegungskündigungsrecht" plötzlich sinnvoll klingen

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Mieter, Vermieter, Experten und Interessierte erarbeiten bei der Werkstatt Demokratie der SZ Lösungen für die Zukunft des Wohnens.

Von Lena Jakat und Jana Anzlinger

Eigentlich sollen sie sich in eine Reihe stellen, aber dann bildet sich doch ein Knoten. Etwa drei Dutzend Menschen versuchen sich nach der Höhe ihrer Miete zu sortieren: vorne die mit den niedrigen Quadratmeterpreisen und hinten die mit den hohen. Der Knoten entsteht bei etwa 14 Euro.

Sie sind Experten und Laien; politisch, geschäftlich und aus persönlicher Not heraus Interessierte. Architekten, Mietrechtsanwälte, Bauherren, Mieter und Vermieter. Sie sind der Einladung der Süddeutschen Zeitung und der Nemetschek-Stiftung gefolgt und diskutieren den ganzen Freitagabend lang in München über die Frage: "Wie wird Wohnen wieder bezahlbar?"

An den unverputzten Wänden hängen Poster mit dieser und weiteren Fragen: "Geht Vermieten auch anders?" Oder: "Welche Infrastruktur brauchen wir?"

"Soziometrie" nennt sich die Übung, mit der die Veranstaltung der Werkstatt Demokratie beginnt. Bei zwei weiteren Aufstellungen zeigt sich: Etwa zwei Drittel der Teilnehmer gehört in die Mieter-Ecke, ein Drittel wohnt in der eigenen Immobilie. Und: Die Anwesenden verteilen sich geografisch recht gleichmäßig auf München, wobei es um den Herrn, der die Marienkirche darstellt, etwas leerer ist. Einige stellen sich ein paar Meter weit weg, weil sie angereist sind, etwa aus Berlin oder dem Harz.

Dann verteilen sie sich im Impact Hub, einem Coworking Space im Stadtteil Sendling, um in Gruppen Lösungen zu erarbeiten. Zwischen Holzboxen, an denen sonst Gründer arbeiten, werden Ideen gesammelt, abgewogen und wieder verworfen. Ansätze werden zerlegt, zusammengesetzt und nachgeschärft. Das Ziel: in eineinhalb Stunden drei, vier möglichst konkrete Vorschläge zu erarbeiten.

Bedarfsgerechtes Wohnen und die Angst vor dem Alter

"Ich mache mir Sorgen um meine Generation", sagt eine Frau in Jeans und Blazer. Uschi Lauterbach gehört zu den geburtenstarken Jahrgängen Ende der Sechzigerjahre. "Wir werden einmal sehr viele alte Leute sein." Doch wie soll die Rente fürs Wohnen reichen, später? Diese Frage werde in ihrem Bekanntenkreis viel diskutiert, sagt Lauterbach. "Eine konkrete Lösung hat noch keiner gefunden."

Das Problem der Wohnungsnot ist existenziell. Auch für all jene Diskussionsteilnehmer auf den bunten Designer-Kippelstühlen, die sich aktuell nicht um die nächste Miete sorgen müssen. Aber was wird morgen? Oder übermorgen?

Uschi Lauterbach wünscht sich im Alter eine kleine Wohnung, die sie bezahlen kann, in einem Mehrgenerationenhaus vielleicht, wo zusätzliche Flächen gemeinsam genutzt werden. Wie viel Platz wir brauchen, ändert sich je nach Lebensphase. Ideen und erste Projekte in modularer Bauweise, wo zum Beispiel flexibel Zimmer dazugemietet oder gekündigt werden können, gibt es bereits. Doch wie lässt sich derlei stärker fördern?

Unter einem Post-it mit der Aufschrift "Reguliertes Wohnen" sammeln die Teilnehmer einer anderen Runde Ideen zu dieser Frage. Reihum, damit auch jeder zu Wort kommt. "Wohnraumvergabe je nach Einkommen", "Gemeindewohnungen für benötigtes Fachpersonal, zum Beispiel Erzieher", notiert der Moderator. Manche können es kaum erwarten, bis ihr Vorschlag auf einem Klebezettel landet. Sie ermahnen andere und sich selbst immer wieder, die Redefolge einzuhalten. Die Diskussion ist konzentriert, die Luft in den fabrikhohen Räumen bald schal.

"Wohnen im Alter" kommt an diesem Abend immer wieder zur Sprache. Die meisten teilen das Gefühl: Wenn verwitwete Omas in zu großen Wohnungen vereinsamen, während Familien sich in zu wenige Zimmer quetschen, dann stimmt etwas nicht.

"Umbelegungskündigungsrecht", sagt ein junger Mensch, dessen Hoodie sich in die hipsterige Innenarchitektur aus Sperrholz, Beton und sichtbaren Lüftungs- und Heizungsrohren bestens einfügt. "Man sollte Parteien kündigen dürfen, die nicht mehr so viel Platz brauchen - und ihnen zeitgleich eine adäquate Wohnung anbieten."

"Nein, nein, nein", schießt es von der Seite in die konzentrierte Runde. Auf der Fensterbank hat sich eine Nebendiskussion entsponnen. Die große Glasfront, vor der die beiden Diskutanten sitzen, geht auf einen Verladehof.

Wem Grund und Boden gehören sollten und wem nicht

Hier beginnt mitten in München ein viele Hektar großes Areal, das einmal "Bauch der Stadt" genannt wurde und aus Großmarkt, Viehhof und Schlachthof besteht. Während auf dem Großmarkt noch immer Waren umgeschlagen werden, taugt das Gelände jenseits der Bahngleise zum Exempel für viele Diskussionen in der "Werkstatt Demokratie".

Den ehemaligen Viehhof will die Stadt bald bebauen, neben einem neuen Haus für das Volkstheater sollen dort vor allem Wohnungen entstehen, bis zu 420 Stück. Das Gelände bleibt im kommunalen Besitz, versichert die Stadt München.

Wo immer Flächen umgenutzt und neu bebaut werden, wo Kommunen Pläne entwickeln und Optionen prüfen, kommt stets die Frage auf: Wem soll das Land gehören? Ist Bauland in öffentlicher Hand am besten aufgehoben? Die Diskussion im Impact Hub kehrt immer wieder zu dieser Frage zurück. Zwischen konkreten Ideen zu Vorschriften bei Umnutzung und für die Reform der Grunderwerbssteuer ist Begeisterung für den "grundsozialistischen Ansatz der Diskussion" ebenso zu hören wie ein ziemlich empörtes "Das ist doch Kommunismus!" In einer Runde, die "Veräußerungsverbot für die öffentliche Hand" auf dem Flipchart notiert hat, gibt der Moderator provokant zu bedenken: "Wir wollten hier doch eine Revolution machen!"

Baurecht: höher, enger, sozialverträglicher

Für Mischa Kunz ist die Lage klar: "Wir müssen höher bauen! Und enger bauen!" Er kennt die Wohnungsnot von drei Seiten. Als Bauherr weiß er um die Baukosten und rechtlichen Hürden, als Makler kennt er die Nöte der Vermieter. Und er engagiert sich ehrenamtlich in einem Verein, der Wohnungen an- und an Hartz-IV-Empfänger untervermietet. Ein Vorschlag aus der Werkstatt Demokratie fasziniert ihn besonders: "SoBoN auf 34er-Gebiete ausweiten", formuliert es die Stadtplanerin Sophie Wolfrum, die als Expertin zu der Runde geladen ist.

Was nur Wohnbauprofis verstehen, heißt grob übersetzt: einen Anteil an bezahlbarem Wohnraum auch für Bauprojekte vorschreiben, bei denen es keinen festen Bebauungsplan gibt. Damit ist ein Anreizsystem verbunden: Wer in seinem Projekt günstigen Wohnraum einplant, darf zum Beispiel höher bauen.

Wie müssten rechtliche und finanzielle Anreize aussehen, die Investoren dazu bewegen, sozialverträglicher zu bauen? Damit Menschen wie Uschi Lauterbach im Alter eine 1,5-Zimmer-Wohnung bezahlen können? Die Diskutanten liefern viele Einschätzungen. Während hier jemand erläutert, warum sozialer Wohnungsbau für Bauträger so unattraktiv geworden ist, führt dort jemand aus, wie kostengünstiges Bauen und niedrigpreisiges Vermieten möglich sei: "Wenn ich einen Neubau für sieben Euro warm mache, dann lösen sich alle anderen Probleme von selbst."

Es ist der letzte von vielen konkreten Lösungsvorschlägen, die SZ-Leser an diesem Abend erarbeitet haben. Gelöst ist der Knoten dadurch noch nicht. Aber vielleicht gelockert.

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