Werkstatt Demokratie:Mehr zivilisierten Streit wagen

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Werkstatt Demokratie

Es wird wieder gestritten: Die Union rückt von ihrer bisherigen Flüchtlingspolitik ab, die SPD von Hartz IV. Für die große Koalition bedeutet das vor allem: Konflikte. Aber rücken die Streitparteien auch von zänkischen Umgangsformen ab, welche die Gemeinschaft aus CDU und CSU und das Regierungsbündnis 2018 beinahe gesprengt hätten? Die neuen Parteichefs Annegret Kramp-Karrenbauer und Markus Söder haben sich das zumindest vorgenommen. Nach ihrem ersten gemeinsamen Koalitionsausschuss hieß es, die Beratungen seien "in der Sache nicht einhellig, aber immer konstruktiv" verlaufen. Das könnte der Beginn einer neuen Diskurskultur sein - und damit die Demokratie stärken.

"Konstruktiv" streiten - nicht nur für Parteien ist das essenziell. Eine pluralistische Gesellschaft ist zwingend darauf angewiesen. "Ohne lebendigen Streit in der politischen Öffentlichkeit über die Grundlagen des Zusammenlebens erlahmt die Erneuerung demokratischer Gemeinwesen", sagt die Frankfurter Politikwissenschaftlerin Nicole Deitelhoff. Die Auseinandersetzung sei ein Vehikel, über das immer wieder Zusammenhalt hergestellt werde.

Doch nicht immer werden Konflikte hierzulande so ausgetragen, dass sie das Miteinander befördern, im Gegenteil. Es wird gegiftet, geschmäht und gepöbelt - nicht nur im Netz. Das verstärkt gesellschaftliche Fliehkräfte, wie auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier mehrmals warnte. Die Demokratie steht unter Stress: Verächter der liberalen politischen Ordnung befinden sich im Aufwind, die Grenzen des Sagbaren verschieben sich nach rechts und die Empörungsspirale dreht sich weiter. Gleichzeitig ziehen sich viele in ihre Filterblasen zurück und lassen sich vom immer gleichen Sound der Weltwahrnehmung einlullen. Oder wenden sich ganz ab von der Politik und aktuellen Debatten. Das ist Gift für die Demokratie.

Das Gegengift ist der Austausch, das Gespräch - gerade auch mit Menschen, die nicht derselben Meinung sind - und der zivilisierte Streit. Aber wie geht das, "zivilisiert" streiten? Voraussetzung dafür ist unter anderem, dass die Streitparteien einander anerkennen als Personen mit gleichen Rechten und Pflichten. Dass sie bereit sind, dem anderen zuzuhören und zu akzeptieren, dass es nicht nur eine Lösung gibt. Und dass sie Unterschiedlichkeit aushalten. Die Philosophin Marie-Luisa Frick spricht vom Ideal der "zivilisierten Gegnerschaft" - einer Haltung, die jeder Einzelne einnehmen und einüben könne.

Die Süddeutsche Zeitung experimentiert seit einiger Zeit mit Diskursformaten, bei denen konstruktiv gestritten wird und die Suche nach Lösungen im Vordergrund steht. Jetzt geht die Werkstatt Demokratie, ein gemeinsames Projekt der SZ und der Nemetschek Stiftung, in die zweite Runde. Auch diesmal setzen Leserinnen und Leser das Thema, zu dem SZ-Redakteure dann recherchieren und Diskussionen organisieren. Auf SZ.de können Sie noch bis Mittwoch abstimmen, welche Frage Sie am meisten interessiert (siehe Kasten). Das Ergebnis veröffentlichen wir Ende der Woche. SZ-Autoren und Reporter werden dieses Thema anschließend in Beiträgen aufarbeiten. Vom 8. bis 12. April veröffentlichen wir die Rechercheergebnisse. Die Informationen sollen die Basis bilden für die anschließenden Diskussionen - online und bei Workshops im "Haus der Berge" in Berchtesgaden. Wie Sie sich anmelden können, erfahren Sie in Kürze.

Ob sich die politische Streitkultur tatsächlich verbessert, hängt 2019 maßgeblich von den Protagonisten der Parteien ab. Nahezu alle relevanten Kräfte haben Dialog-Initiativen gestartet - das Debattencamp der SPD oder das Werkstattgespräch der CDU sind nur zwei Beispiele. In Frankreich erfährt gerade Präsident Emmanuel Macron mit seiner Debatten-Tour durch die Republik viel Zuspruch, bei der er in der Provinz mit Lokalpolitikern und Bürgern diskutiert.

Die Europawahl und die vier Landtagswahlen in diesem Jahr sind für die Parteien eine Chance, mehr zivilisierten Streit zu wagen und Vertrauen bei den Bürgern zurückzugewinnen. Denn, davon ist die Philosophin Marie-Luisa Frick überzeugt: Eine Demokratie, in der nicht zivilisiert gestritten wird, ist "zutiefst gefährdet".

Abstimmung und mehr zum Projekt unter www.sz.de/werkstattdemokratie

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