Werbeverbot für Abtreibung:Paragraf 219a ist ein Fall für Karlsruhe

Beginn Berufungsprozess gegen Gießener Ärztin

Die Gießener Ärztin Kristina Hänel im Gerichtsgebäude

(Foto: dpa)

Es geht im Prozess gegen Kristina Hänel schon lange nicht mehr nur um sie. Es geht darum, ob das Werbeverbot für Abtreibung Frauen in einer Notlage in noch größere Nöte bringt. Das sollte das Bundesverfassungsgericht endlich klären.

Kommentar von Michaela Schwinn

Große Hoffnungen hatte Kristina Hänel in die heutige Verhandlung vor dem Landgericht Gießen gelegt. Denn das Urteil, das ein Amtsgericht im vergangenen Jahr gesprochen hatte, wollte sie einfach nicht hinnehmen. 6000 Euro sollte die Allgemeinmedizinerin zahlen, weil sie auf ihrer Website über eine ihrer Tätigkeiten informierte: den Abbruch von Schwangerschaften. Damit verstieß sie gegen Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs, das Werbeverbot bei Abtreibungen, damit machte sie sich nach dem Urteil des Amtsgerichts Gießen strafbar. Aber Hänel ging in Berufung.

Nun hätte das Landgericht Gießen das Urteil heute aufheben können oder es hätte eine Entscheidung einholen können aus Karlsruhe, vom Hüter der deutschen Verfassung, so wie es Hänels Anwalt gefordert hatte. Stattdessen aber bestätigte es das ursprüngliche Urteil, es wies die Berufung zurück. Es mag sein, dass das Gericht nicht anders konnte, denn dem Wortlaut des Paragrafen nach ist Hänel schuldig.

Warum sich das Landgericht aber gegen den Vorschlag von Hänels Anwalt verwehrte, das Bundesverfassungsgericht über 219a entscheiden zu lassen, bleibt äußerst fraglich. Zumal es selbst Zweifel daran äußerte, ob das Werbeverbot überhaupt verfassungsmäßig sei. Wäre es dann nicht nur konsequent, dass die Entscheidung endlich dort landet, wo sie auch hingehört? Denn schon lange geht es beim Fall der Ärztin nicht mehr nur um sie oder ihr Angebot.

Es geht darum, ob der Paragraf Frauen in einer Notlage in noch größere Nöte bringt. Ob er ihnen Freiheiten verwehrt, die ihnen zustehen. Ob er möglicherweise dem Recht auf körperliche Unversehrtheit und auf Informationsfreiheit widerspricht. Vollkommen richtig wäre es also, dass er vor dem Bundesverfassungsgericht landet, dem einzigen Ort, wo diese Fragen geklärt werden können.

Da hilft es auch wenig, dass das Gericht stattdessen indirekt eine politische Entscheidung in der Sache forderte. Denn gerade dort ist das Werbeverbot für Schwangerschaftsbrüche zu einem emotionsgeladenen Symbolthema geworden, bei dem die Fronten weitgehend verhärtet sind. Zu hoffen bleibt daher, dass Justizministerin Katarina Barley recht behält, wenn sie verspricht, dass noch in diesem Herbst eine Lösung in der Koalition gefunden werde. Es scheint, als könne eine zeitnahe Entscheidung nur die Politik treffen.

Für Kristina Hänel wäre das wünschenswert und auch für alle Frauen, die auf ihr Recht hoffen, selbst darüber entscheiden zu dürfen, was mit ihrem Körper passiert.

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