Wer wird Kanzler?:Alles hat ein Ende - auch der österreichische Wahlkampf

Wer wird Kanzler?: "Diesen Wahlkampf hätten wir uns sparen können": die Spitzenkandidaten (von links nach rechts) Heinz-Christian Strache (FPÖ), Christian Kern (SPÖ) und Sebastian Kurz (ÖVP) vor ihrer Fernsehdebatte am Donnerstagabend in Wien.

"Diesen Wahlkampf hätten wir uns sparen können": die Spitzenkandidaten (von links nach rechts) Heinz-Christian Strache (FPÖ), Christian Kern (SPÖ) und Sebastian Kurz (ÖVP) vor ihrer Fernsehdebatte am Donnerstagabend in Wien.

(Foto: Ronald Zak/AP)
  • Am Sonntag sind 6,4 Millionen Österreicher aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen.
  • Ein Jahr früher als vorgesehen war die rot-schwarze Große Koalition aus konservativer ÖVP und SPÖ im Frühjahr zusammengebrochen.
  • Umfragen sagten einen Sieg des jungen ÖVP-Chefs Sebastian Kurz voraus. Zweitstärkste Kraft könnte die rechtspopulistische FPÖ von Heinz-Christian Strache werden.

Von Peter Münch

Sportliche Titel bedeuten viel in Österreich, als Ski-Olympiasieger oder Formel-1-Champion zum Beispiel bleibt man auf ewig unvergessen. Spitzenpolitiker verschwinden schon eher in der Versenkung. Nun aber darf sich die gesamte politische Klasse und eigentlich auch die ganze Nation mit einem kollektiven Titel schmücken: Österreich ist Wahlkampf-Weltmeister.

Denn so lange hat noch keiner durchgehalten. Wenn an diesem Sonntag die 183 Abgeordneten des neuen Parlaments gewählt werden, dann liegt ein Dauerwahlkampf von mehr als anderthalb Jahren hinter dem Land. Erst wurde seit April 2016 ein Präsident gesucht; mit Stichwahl und Wiederholung zog sich das hin bis zum Jahresende. Und dann begann nach einer kurzen Halbzeitpause alsbald der Aufgalopp zur Nationalratswahl.

Kräftezehrend ist das ohne Zweifel. Doch wie es sich für einen wahren Weltmeister gehört, sind kaum Ermüdungserscheinungen zu erkennen. Gekämpft wird bis zur letzten Minute. Denn tatsächlich ist dieser österreichische Wahlkampf so spannend wie selten - aber leider auch so schmutzig wie nie.

Drei Kandidaten kämpfen um das Kanzleramt

Die Spannung hat zwei Gründe: Zum einen geht es um Richtungsentscheidungen. Nach einem Jahrzehnt der großen Koalitionen unter SPÖ-Führung spricht nun vieles für einen Rechtsruck. Zum anderen prallen als mögliche Kanzler drei Kandidaten mit unverwechselbaren Profilen aufeinander. Da ist der sozialdemokratische Regierungschef Christian Kern, 51, der erst vor gut 500 Tagen als Quereinsteiger aus der Wirtschaft ins Amt gekommen ist und mit seinen Managerqualitäten viel frischen Wind ins System gebracht hat.

Dennoch konnte sich Sebastian Kurz, der erst 31-jährige Außenminister und Herausforderer von der Volkspartei (ÖVP), mit seinem Ruf nach "Veränderung" in die Pole-Position bugsieren. Vor allem half ihm sein rigider Kurs in der Flüchtlingspolitik. Seit Mai liegt er in allen Umfragen weit vorn.

Rechts von ihm ist der Platz eng geworden für Heinz-Christian Strache, der seit zwölf Jahren an der Spitze der FPÖ steht. Seine Reaktion: Er präsentiert sich mit 48 Jahren fast schon altersmilde und poltert weit weniger als früher, um regierungstauglich zu erscheinen. Das könnte ihm mindestens eine Rolle als Königsmacher eintragen.

Kern: "Diesen Wahlkampf hätten wir uns sparen können"

Zum Finale hatten sich am Donnerstagabend noch einmal alle in der Arena versammelt. Der ORF lud die Spitzenkandidaten der großen Drei plus Grünen-Chefin Ulrike Lunacek und Neos-Frontmann Matthias Strolz ins Studio - und wenigstens zum Schluss des Wahlkampfs geht es nun überraschend gesittet und geordnet zu.

Der Eingangsfrage zur politischen Kultur oder eher Unkultur entgehen die Kandidaten trotzdem nicht. Kanzler Kern darf sich nicht wundern, dass er der erste Adressat ist. Schließlich war es der von ihm engagierte israelische Berater Tal Silberstein, der viel Gift in diesen Wahlkampf brachte. Mit zwei Fake-Facebook-Seiten wollte er dem Konkurrenten Kurz schaden. Der Schuss ging indes nach hinten los, die Praktiken wurden aufgedeckt.

Und dann kam die Schlammschlacht zwischen SPÖ und Volkspartei erst richtig in Schwung: Die Sozialdemokraten warfen dem Gegner vor, gezielt ihre Kampagne unterwandert und potenziellen Überläufern sechsstellige Summen angeboten zu haben. Ein Lügendetektor wurde bemüht, zahlreiche Gerichte mussten sich mit der Sache beschäftigen. Verbal war ein Tiefpunkt erreicht, als der mit einer eigenen Liste antretende Ex-Grüne Peter Pilz forderte, Österreich "Silberstein-frei" zu machen und sich dann wegen dieser Anlehnung an den antisemitischen Jargon entschuldigen musste.

37500 Asylbewerber

Die Regierungskoalition von SPÖ und ÖVP hatte im Januar 2016 in Österreich eine Obergrenze für Flüchtlinge eingeführt: Bis Mitte 2019 sollen nicht mehr als 127 500 Asylbewerber aufgenommen werden, 37 500 im Jahr 2016, in diesem Jahr 35 000, im kommenden Jahr nur noch 30 000 und im ersten Halbjahr 2019 maximal 25 000. Die Zahlen der tatsächlich ins Asylverfahren aufgenommenen Flüchtlinge sind deutlich geringer: 2016 waren es nur gut 27 000, dazu kamen fast 9000 Altfälle aus dem Vorjahr. 2017 dürften die Zahlen noch weiter zurückgehen.

So haben die Kandidaten den 6,4 Millionen Wahlberechtigten viel zugemutet. Wenigstens zum Wahlkampf-Finale kehrt nun ein besserer Stil ein. Im abschließenden TV-Duell gibt Kanzler Kern unumwunden zu: "Diesen Wahlkampf hätten wir uns sparen können." Kurz findet, dass die Auseinandersetzung viele zu Recht angewidert habe. Und dann versuchen die Kontrahenten, tatsächlich noch einmal über Inhalte zu streiten.

Flüchtlingspolitik überstrahlte den Wahlkampf

Eine letzte Chance also für die Sozialdemokraten, ihre Kernthemen in den Vordergrund zu schieben: soziale Gerechtigkeit, niedrigere Mieten und höhere Renten, die Einführung einer Erbschaft- und Maschinensteuer. Den Bürgern wird eine Entlastung von 4,4 Milliarden Euro jährlich in Aussicht gestellt, was seriöser klingt als die Versprechungen von Volkspartei und FPÖ mit dreimal höheren Entlastungen. Zudem kann Kern auf Wachstum und sinkende Arbeitslosenzahlen verweisen - eigentlich eine gute Ausgangsposition, Kanzlerbonus inklusive.

Dennoch taten sich die Sozialdemokraten von Beginn an enorm schwer. Denn ein anderes Thema hat in diesem Wahlkampf alles überstrahlt: die Flüchtlingspolitik, verknüpft mit dem Kampf gegen den politischen Islam. Früher war das allein die Domäne der rechtslastigen FPÖ, die mit Slogans wie "Daham statt Islam" polarisierte. Dann aber entdeckte Sebastian Kurz dieses Sujet für sich und präsentierte die grimmige Forderung nach Migrantenabwehr in freundlicherer Verpackung. Egal, ob über Bildung oder die Sozialsysteme geredet wurde: Kurz bog immer gleich nach rechts ab und landete beim Flüchtlingsthema. Die Schließung der Balkanroute stellte er als sein Verdienst heraus. Die Mittelmeerroute nahm er als nächstes ins Visier.

Zwar wird in Österreich bereits seit 2016 die Aufnahme von Asylbewerbern bei 37 500 pro Jahr gedeckelt. Kurz aber verspricht nun, "die Obergrenze für illegale Zuwanderung auf null" zu senken. Diese Suggestion hat gleich einen solchen Sog erzeugt, dass der Sozialdemokrat Kern fast wortgleich nachlegte. FPÖ-Chef Strache könnte also guter Dinge sein, weil er sich mit seinem Thema auf so breiter Front durchgesetzt hat - wenn er nicht befürchten müsste, dass ihm damit auch die Wähler abhanden kommen. Am Schluss ist ihm nichts anderes übriggebleiben, als neue Plakate zu drucken, auf denen er sich selbst als "Vordenker" und die anderen als "Spätzünder" präsentiert.

Kanzler Kern wird von eigenen Leuten als "Prinzessin" verhöhnt

Doch nicht nur mit seinem Thema hat Kurz die Konkurrenz überrumpelt, sondern auch mit seinem Auftreten. Im Mai übernahm er handstreichartig die Volkspartei, ließ sofort die Koalition platzen und erzwang die vorgezogene Neuwahl. Die alte ÖVP tritt dabei als "Liste Sebastian Kurz - die neue Volkspartei" an. Mit teils schillernden Quereinsteigern auf der Bundes- und den Landeslisten gibt sie sich den Anstrich einer Bewegung nach dem Vorbild von Emmanuel Macrons En Marche in Frankreich. Alles wurde exakt vorausgeplant und so professionell umgesetzt, dass selbst Konkurrent Kern einräumte: "Ja, die ÖVP hat das marketingmäßig toll gemacht."

Von seiner eigenen Partei kann er das wahrlich nicht behaupten. Die stolperte von einer Panne zur nächsten und zeigte sich alles andere als geschlossen. Kaum war verdaut, dass Kern von eigenen Leuten in Papieren als "Prinzessin" und Mann mit "Glaskinn" verhöhnt wurde, kam die SPÖ in der Silberstein-Affäre fast komplett unter die Räder.

Der angeschlagene Kanzler setzt nun noch auf ein "starkes Finish", wie er es formuliert. FPÖ-Chef Strache hofft darauf, von der Schlammschlacht zwischen SPÖ und Volkspartei zu profitieren. Und im Lager von Sebastian Kurz geht es am Schluss allein noch darum, fehlerfrei als Erster ins Ziel zu gelangen. Danach folgt gleich der nächste Akt: Eine Koalition muss geschmiedet werden. Und wenn dabei alles glatt läuft, dann haben die Österreicher Aussicht auf immerhin eines: fünf Jahre Wahlkampfpause.

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