Süddeutsche Zeitung

Wer regiert das Land?:Duell in Caracas

Auf einmal hat das Land zwei Präsidenten, Juan Guaidó hat sich selbst zum Staatsoberhaupt ernannt. Amtsinhaber Nicolás Maduro erkennt das natürlich nicht an. Wer gewinnt, liegt indes nicht in ihrer Hand.

Von Boris Herrmann

Wer regiert jetzt eigentlich in Venezuela? Regiert überhaupt jemand? Sind es gar zwei Präsidenten auf einmal? So wirklich weiß das keiner, nicht in Venezuela und erst recht nicht jenseits der Grenzen. Und so hat sich die Welt in zwei Blöcke aufgeteilt, man kommt sich vor wie in längst vergangenen Zeiten. Russland, China, Kuba (und die Türkei) erklären sich solidarisch mit der Regierung von Nicolás Maduro, dem Präsidenten. Eine von den USA angeführte Allianz konservativer und rechtspopulistischer Staaten des amerikanischen Doppelkontinents hingegen betrachtet inzwischen dessen Herausforderer Juan Guaidó, den Parlamentspräsidenten, als legitimes Staatsoberhaupt, zumindest für den Übergang.

Die Reflexe des Kalten Krieges scheinen auf einmal wieder durch: die Guten gegen die Bösen, die Demokraten gegen die Schurken, wobei es natürlich von der jeweiligen Perspektive abhängt, wer gut und wer böse ist. Die Europäische Union indes zögert noch, eindeutig will sie sich nicht festlegen, und positioniert sich einstweilen irgendwo dazwischen. Da haben sie etwas angerichtet in Caracas.

Tatsächlich haben sich die Ereignisse überschlagen seit der Wochenmitte. Es ging los am Mittwochmorgen mit der ersten Massendemonstration seit vielen Monaten gegen den autokratisch herrschenden Maduro. Er hat das ölreichste Land der Welt binnen sechs Jahren in einen Hungerstaat verwandelt. Anfang Januar ließ er sich für sechs weitere Jahre vereidigen - nach einer Wahl, die nach breitem Urteil keine war. Die zuletzt erstaunlich matte Protestbewegung wurde nicht von ungefähr an einem 23. Januar zu neuem Leben erweckt, das Datum ist im nationalen Gedächtnis mit dem Triumph der Demokratie verknüpft. Exakt 61 Jahre zuvor stürzte der Diktator Marcos Pérez Jiménez.

In Lateinamerika stehen noch Mexiko und Bolivien zu Maduro

Auch Maduro wird von vielen als Diktator bezeichnet. Juan Guaidó, der Präsident eines Parlaments, das aus Maduros Sicht längst abgeschafft ist, benutzt lieber den Begriff Usurpator, Thronräuber. Als Hauptredner der Demonstration von Caracas hat Guaidó nun selbst nach dem Thron gegriffen. Unter dem Jubel der Massen hob er die Hand zum Schwur und erklärte: "Vor dem allmächtigen Gott gelobe ich, die Kompetenzen der Exekutive als Interimspräsident von Venezuela zu übernehmen."

Donald Trump hatte da offenbar schon die Hand am Smartphone - so schnell wie er Guaidós Machtübernahme anerkannte, war sonst keiner. Wenig später schloss sich nahezu die gesamte westliche Hemisphäre an, Brasilien, Argentinien, Chile, Kolumbien, Peru, Ecuador, Guatemala und Kanada sowie die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS). Neben den üblichen Verdächtigen, Bolivien und Kuba, geht nur noch ein gewichtiges lateinamerikanisches Land davon aus, dass Maduro weiterhin Präsident ist: Mexiko. Das bringt dem linkspopulistischen, aber gewiss demokratisch gesinnten Präsidenten Andrés Manuel López Obrador zwar viel Tadel ein. Andererseits hält sich Mexiko damit die Option offen, bei einer derzeit unwahrscheinlichen, aber nicht ausgeschlossenen Verhandlungslösung als Vermittler aufzutreten. Vielleicht wird man López Obrador einmal für etwas dankbar sein, was zunächst wie sein notorischer Starrsinn aussah.

Am frühen Mittwochnachmittag griff dann Maduro selbst in den rasanten Lauf der Ereignisse ein. Er erklärte die diplomatischen Beziehungen zu den USA für beendet und forderte alle US-Diplomaten auf, binnen 72 Stunden das Land zu verlassen. Daraufhin meldete sich wieder Guaidó zu Wort und rief kraft seines Amtes, das die Verfassung ihm verleihe, alle Diplomaten dazu auf, unbedingt zu bleiben. Ob zwischen Caracas und Washington noch diplomatische Beziehungen bestehen, hängt fortan also von der Frage ab, welcher der beiden venezolanischen Präsidenten von wem für legitim gehalten wird.

Guaidó ist 35 Jahre alt und war vor wenigen Wochen selbst in seiner Heimat weitgehend unbekannt. Er gilt als Ziehsohn von Leopoldo López, dem populären Oppositionsführer im Hausarrest. Maduro hatte ihn wohl genauso wenig auf der Rechnung wie der Rest der Welt. Das hat Guaidó geschickt ausgenutzt, um in kürzester Zeit aus der Deckung zum Hoffnungsträger, zum Befreier der Nation aufzusteigen.

Maduro hat sich die Loyalität der Armeeführung mit Posten und Geschenken erkauft

Ob sein Plan aufgeht, eine Übergangsregierung zu bilden und Neuwahlen auszurufen, hängt davon ab, ob und auf welche Weise er Maduro loswird. Das Land steckt in einer humanitären Krise; täglich sterben Menschen an eigentlich heilbaren Krankheiten, weil das Gesundheitssystem kollabiert ist. Menschen wühlen im Müll auf der Suche nach Essbarem. Manche rufen deshalb nach einer militärischen Intervention, um dem Spuk ein Ende zu bereiten. Und tatsächlich verlautete aus Washington, man halte sich "alle Optionen" offen. Deutlich besser, auch für Guaidó, wäre sicherlich, wenn die Venezolaner das selbst regeln würden. Entscheidend dürfte da die Rolle der Streitkräfte sein.

Maduro hat sich mit Geschenken und Posten die Loyalität der hochrangigen Generäle erkauft. Aber die einfachen Soldaten leiden wie alle im Land. Es wird darauf ankommen, ob Guiadós Momentum dazu beiträgt, dass sich innerhalb der Armee die Unzufriedenen durchsetzen und den Befehl zur Niederschlagung der Straßenproteste verweigern. Noch sieht es nicht danach aus. Am Mittwochabend wurden 16 Tote bei den Zusammenstößen im ganzen Land gemeldet. Außerdem schwor Verteidigungsminister Vladimir Padrino seine Truppen auf den Kampf gegen Guaidós Bewegung ein. "Die Soldaten des Vaterlandes akzeptieren keinen Präsidenten, der von dunklen Mächten eingesetzt wird oder sich abseits des Rechts selbst einsetzt."

Natürlich ist es Zufall. Aber am Mittwoch landete Papst Franziskus in Panama, also von Venezuela aus betrachtet praktisch um die Ecke. Dort findet der Weltjugendtag statt, Franziskus aber ist bekanntlich nicht nur ein betender, sondern auch ein politisch aktiver Pontifex. So manch gläubiger Venezolaner ist der Meinung: Eine päpstliche Rüge an Maduro würde in dieser Situation nicht nur geografisch naheliegen. Franziskus sagte dann jedoch eher allgemein, er unterstütze "alle Anstrengungen, die dazu beitragen, dass der Bevölkerung weiteres Leid erspart bleibt".

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SZ vom 25.01.2019
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