Süddeutsche Zeitung

Weltwirtschaft:Die neue Unsicherheit

Die Welthandelsorganisation WTO muss stark sein, um für Ordnung zu sorgen. Solche überstaatlichen Institutionen sind wichtig, um auch die Interessen der armen Länder zu wahren.

Von Alexander Hagelüken

Richter der Welthandelsorganisation werden auf Zeit ernannt, um milliardenschwere Konflikte zu beurteilen. Nun erlebt die WTO etwas Einzigartiges: Auf einmal geht es nicht darum, was sie entscheidet - sondern ob überhaupt jemand auf dem Richterstuhl sitzt. Weil die USA seit Langem die Berufung neuer Juristen blockieren, muss das Schiedsgericht in wenigen Wochen dichtmachen. Damit fällt die globale Wirtschaftsordnung weiter auseinander, was den täglichen Geschäften von Unternehmen genauso schadet wie der Bekämpfung von Armut.

Für Donald Trump war Chinas Präsident Xi noch am Freitag ein "Feind". Am Montag nannte er seinen Handelsgegner plötzlich "großen Führer". Morgen kann es wieder anders sein. Wer Trumps Kapriolen resigniert hinnehmen will, übersieht etwas Zentrales: welche Bedeutung das regelbasierte System des Westens hat.

Auf den Trümmern des Zweiten Weltkriegs bauten die Industriestaaten eine politische und wirtschaftliche Ordnung auf, zu der Institutionen wie die WTO zählen. Nicht mehr nackte Willkür soll den Umgang bestimmen, sondern Konsens und Recht. Das erleichtert einer Firma Geschäfte im Ausland, nach Jahrhunderten der Importschranken und anderer Diskriminierung. Ohne dieses Regelsystem wäre der heutige Wohlstand undenkbar.

Donald Trump überfällt bisherige Wirtschaftspartner mit gigantischen Strafzöllen, die er so schlecht begründet, dass er das Prinzip des Freihandels torpediert. Doch das ist nicht sein einziger Verstoß gegen das System. Er höhlt auch Institutionen wie die WTO aus, welche die Marktwirtschaft lenken. Wenn etwa europäische Firmen von einem anderen Staat unfair behandelt werden, kann die EU darauf reagieren. Solche Gegenmaßnahmen legt Brüssel der WTO vor, damit sie im Rahmen des Erlaubten bleiben. Wenn bald das Schiedsgericht dichtmachen muss, fehlt Brüsseler Gegenmaßnahmen die Kontrolle. Sie werden automatisch willkürlicher, Trump-hafter.

Je stärker die Ordnung zerstört wird, desto verunsicherter sind die Firmen. Sie fragen sich: Subventioniert bald irgendeine Regierung heimische Produzenten, weil das nicht mehr geahndet wird? Verbietet irgendein Präsident seinen Herstellern Geschäfte mit europäischen Firmen? Solche Unsicherheit stoppt Investitionen. Sie verstärkt den Abschwung der Weltwirtschaft, den Trumps Handelskrieg ohnehin eingeleitet hat.

Wegen der Dauerattacke aus Washington ist eine Organisation wie die WTO damit beschäftigt, möglichst viele Funktionen aufrechtzuerhalten. Dadurch fällt weg, was dringend nötig wäre: Eine Reform des Gebildes aus heute über 160 Staaten, die fast 100 Prozent aller Exporte abwickeln. Mancher Streitfall wie der um die Boeing/Airbus-Subventionen zieht sich zu lange hin. Vor allem bedürfte es neuer Entscheidungsprozesse, um ein globales Handelsabkommen zu erreichen, von dem ärmere Länder stark profitieren. Ohne ein Weltabkommen kommt es zu lauter bilateralen Deals. Weil Exportverträge aufwendig auszuhandeln sind, wählen Regierungen erst mal die lohnendsten Partner - wie Europa gerade Japan und die Wirtschaftsmächte Südamerikas. Kleinere, ärmere Länder bleiben außen vor.

Ob für westliche Exporte oder für die Interessen weniger entwickelter Staaten: Es braucht jetzt eine Koalition der Vernunft, um möglichst viel vom wirtschaftlichen Ordnungssystem zu retten.

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SZ vom 28.08.2019
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