Süddeutsche Zeitung

Weltweite Warnungen vor Anschlägen:Al-Qaida bleibt eine reale Gefahr

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Die USA schließen diplomatische Vertretungen, weil sie Anschläge von al-Qaida fürchten. Es läge nahe, das als Ablenkungsmanöver von der eigenen Geheimdienst-Spähaffäre abzutun. Doch das ist zu kurz gedacht. Al-Qaida ist auch nach dem Tod von Osama bin Laden eine sehr reale Gefahr. Umso wichtiger ist, wie sich die Lage in Ägypten entwickelt.

Ein Kommentar von Tomas Avenarius

Dass so viele US-Vertretungen zum selben Zeitpunkt lahmgelegt werden, ist selbst in Zeiten des "Kriegs gegen den Terror" einmalig. Aus Angst vor Anschlägen des Terrornetzwerks al-Qaida lässt Barack Obama 21 Botschaften und Konsulate im Nahen und Mittleren Osten schließen. Auch Deutsche und Briten haben ihre Botschaften in Jemen fürs Erste geschlossen. Die Bomben der schon so oft als zerschlagen bezeichneten Terrororganisation könnten zum Ende des Fastenmonats Ramadan explodieren, melden die Dauerlauscher von NSA, CIA und Co. Es drohe Gefahr in mehreren Staaten der Großregion.

Nahliegend ist es, den Washingtoner Großalarm abzutun als Versuch, die von Whistleblower Edward Snowden aufgedeckte Global-Spitzelei der Amerikaner zu rechtfertigen. Solches Verschwörungsgeraune wäre angesichts der jüngsten Ereignisse in der muslimischen Welt aber zu kurz gedacht. Al-Qaida ist auch nach zwölf Jahren des Antiterrorkriegs und dem Tod von Osama bin Laden eine sehr reale Gefahr. Die jüngsten Vorgänge in Ägypten könnten der Organisation sogar zu neuer Kraft verhelfen. Der Untergang der demokratisch gewählten Islamisten in Kairo wird den Militanten neuen Zulauf in der gesamten Region verschaffen. Und da bleibt al-Qaida die erste Adresse.

Das gilt trotz aller Abgesänge von US-Regierungsvertretern nach dem Ende Bin Ladens. Die klassische al-Qaida mag nach dem Tod des Terrorfürsten im Jahr 2011 schwach, sein Nachfolger Aiman al-Zawahiri vom Vordenker weltweiter Anschläge zur Terror-Mumie im Internet geschrumpft sein. Al-Qaida selbst aber war schon vor Bin Ladens Tod zum Netzwerk mutiert, mit eigenständigen Ablegern in Pakistan, auf der Arabischen Halbinsel, in Nordafrika, inzwischen auch auf dem ägyptischen Sinai. Das islamistische Terrornetzwerk ist ein Selbstläufer. Es reagiert auf alle Ausschläge des politischen Seismografen in der Muslim-Welt mit neuer Gewalt, bekommt neuen Zulauf.

Al-Qaida ist: mehr als Namen und Personen. Al-Qaida ist: eine Idee und eine Methode, die militante Islamisten in allen Staaten der Region ohne direkte Führung von oben übernehmen können. Die Taliban in Afghanistan und Pakistan waren immer al-Qaida-nahe, im Stammesland Jemen ist die Gruppe verwurzelt, im Irak durch den Kampf gegen die US-Besatzer und die Bagdader Regierung in den Reihen militanter Gruppen verankert.

Brachialverständnis vom Islamismus

Auch die Gotteskrieger in Syrien, die gegen das Assad-Regime kämpfen, gelten als Ableger. Sie geben dem Aufstand eine Prägung, bei der die Ziele der anfangs unbewaffneten Syrer - Demokratie und Gerechtigkeit anstelle der Diktatur - keine Rolle mehr spielen. Ob die Dschihadisten-Führer in Aleppo Qaida-Chef Zawahiri wirklich Treue geschworen haben oder in eigener Sache kämpfen, mag als Detail wichtig sein für die BND-Archivare. In der Sache ist es fast bedeutungslos.

Was zählt, sind die gemeinsamen Ziele: Kalifat und Gottesstaat, der Sturz der gottlosen und korrupten Regime am Golf und in der Region, der Kampf gegen die USA und Israel, das Ausmerzen aller Ungläubigen, seien es Christen oder Schiiten. Al-Qaida sollte daher so übersetzt werden: Militanz und Terror sind die probaten und einzigen Instrumente auf dem Weg zum sunnitischen Scharia-Staat.

Dank der Vorgänge in Ägypten dürfte dieses Brachialverständnis vom Islamismus als politischer Ideologie noch mehr Anhänger finden. Denn die ägyptischen Fundamentalisten sehen sich durch den von weiten Teilen der Bevölkerung bejubelten Militärputsch in ihrer Lesart bestätigt: Das Vertrauen in die Demokratie war falsch, der gewählte Muslimbruder-Präsident Mohammed Mursi wurde von skrupellosen Offizieren gestürzt, der Weg zur Scharia muss mit dem Gewehr erkämpft werden. Dass das Volk die dilettantische Mursi-Regierung leid war und die Generale lauthals gerufen hatte, spielt bei weiten Teilen der Islamisten keine Rolle: Selbstreflexion war ihnen nie ein Anliegen.

Umso wichtiger ist, wie die neuen Herren in Kairo mit Mursis Gefolgsleuten umgehen. Der den Liberalen, Bürgerlichen und Jugend-Aktivisten gemeinsame Ruf, alle Islamisten wegzusperren, wird Tausende Fundamentalisten in den Untergrund treiben. Al-Qaida-Chef Zawahiri, selbst Ägypter und einst Muslimbruder, hetzt im Internet bereits gegen die halb- demokratischen Gehversuche der Muslimbrüder.

Nur wenn die neuen Herren in Kairo Vernunft walten lassen und den politisch gescheiterten Islamisten die Chance einräumen, weiter an Wahlen teilzunehmen, lässt sich dem Wiederaufleben der ägyptischen Terrorszene vorbeugen. Sonst wird al-Qaida, lange schon totgesagt, in seinen unzähligen neuen Erscheinungsformen der einzige Profiteur sein.

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SZ vom 05.08.2013
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