Weltweiter Schulden-Streit:Aufbruch in den Krisensommer

Der schlimmste Teil der Krise steht erst noch bevor. Der Aktionismus der vergangenen Tage hat nichts bewirkt, das Vertrauen in die Staaten erodiert - und nun drohen die Schuldenprobleme in den USA wie in Europa zu innenpolitischen Kampfplätzen zu werden.

Stefan Kornelius

Als am Freitag die Börsenkurse einbrachen, Gerüchte von der bevorstehenden Herabsetzung der amerikanischen Kreditwürdigkeit die Runde machten und der EU-Währungskommissar Olli Rehn die Tölpeleien seines Kommissionspräsidenten Barroso zu entkräften versuchte, da hieß es, dass die deutsche Bundeskanzlerin und der französische Präsident ein Telefonat zu führen gedächten. Ein Telefonat.

Börse in Frankfurtam Main

Ein Kapitalmarktexperte am Freitag in der Börse in Frankfurt am Main vor der Anzeigetafel für den DAX-Index: In der Schuldenkrise ignorieren die Marktkräfte die Beteuerungen aus den Regierungszentralen.

(Foto: dpa)

Außerdem sollten die stellvertretenden Finanzminister der G-20-Staaten miteinander reden. Und die G-8-Staaten könnten sich gar treffen, oder zumindest könnten deren stellvertretende Finanzminister telefonieren.

All dieser Telefon-Aktionismus sollte den Eindruck vermitteln, die Politik stemme sich gegen den drohenden Kollaps der Weltwirtschaft - als könne eine Riege von Vize-Ministern Börsenkurse stabilisieren und den Kauf von Staatspapieren schmackhaft machen; als gäbe es eine Wunderwaffe, die etwa im Tresor der Europäischen Zentralbank auf ihren Einsatz wartete. Der Aktionismus bewirkte: nichts.

Die Politik macht inmitten der Schuldenkrise die interessante Erfahrung, dass die freie Marktwirtschaft das tut, was sie schon immer relativ gut getan hat. Sie schaltet und waltet frei. Viele Investoren sind aufmerksame und politisch denkende Menschen, die Ursache und Wirkung einer Wirtschaftskrise verstehen und am Ende egoistisch entscheiden. Sie wollen Geld retten oder möglichst mehr davon haben. Deswegen hören sie von dem Telefonat zwischen Kanzlerin und Präsident, sie hören den EU-Kommissionspräsidenten, sie hören den US-Präsidenten - und stellen fest, dass ihnen diese Politiker wenig helfen können.

Die Macht der Politik scheint erschöpft

In der dritten Woche nach dem mit großem Hurra gefeierten EU-Sondergipfel zu Griechenland scheint die Macht der Politik erschöpft zu sein. Die Entscheidungen der Politik - ob in Europa oder in den USA - haben eine sich beschleunigende Halbwertzeit. Die Marktkräfte nagen unerbittlich weiter und ignorieren die Beteuerungen aus den Regierungszentralen, wonach alles unter Kontrolle und im Zweifel durch Rettungsschirme und Sonderdarlehen abgesichert sei. Inzwischen hat jeder Sparer verstanden, dass die Schuldenlast zu hoch und die Wachstumsaussichten gemessen daran zu niedrig sind. Das scheinbar unerschöpfliche Vertrauen in den Staat als immer solventen Schuldner ist zerstört.

An dieser ernüchternden Feststellung wird sich auch absehbar wenig ändern: Unter dem Druck der Ereignisse wird die Politik nicht zu ungeahnten Kräften finden und etwa eine europäische Transferunion beschließen, in der Deutschland vielleicht seine EU-Wirtschaftsregierung bekommt (dafür aber auch einen hohen Preis entrichten muss). Ebenso wenig ist zu erwarten, dass der US-Kongress über Nacht einem umfassenden Sparpaket und Steuererhöhungen zustimmen wird - beides Voraussetzungen für einen ausgeglichenen Haushalt in den USA.

Ein leiser Vorgeschmack

Vielmehr besteht durchaus die Gefahr, dass die politischen Akteure in der nächsten Phase der Krise den letzten Rest Gemeinsamkeit aufgeben und gegeneinander in Stellung gehen werden. Der US-Kongress gab da nur einen leisen Vorgeschmack, was sich abspielen kann, wenn politische Lager um ihre Existenz kämpfen. In den USA, wo im kommenden Jahr der Präsident gewählt wird, kann Barack Obama keine Zugeständnisse seiner Gegner mehr erwarten. Sie wollen ihn politisch zerstören. Es geht jetzt um das politische Überleben, um Mandate, Mehrheiten, den nächsten Präsidenten. Da stören Kompromisse.

In Europa sind die Aussichten nicht besser. In Spanien hat die Regierung Zapatero bereits kapituliert und den Wahltermin vorgezogen - das Land wird vermutlich keine Politik betreiben, um seine Schulden in den Griff zu bekommen. Es wird vielmehr wahlkämpfen. In Italien ist nach dem letzten Parlamentsauftritt von Ministerpräsident Silvio Berlusconi klar, dass nun das Ablöse- und Übergangsszenario in den Mittelpunkt rücken wird - und außerdem die Frage, welche Partei künftig das Land führt. Auch hier gilt: Fehlanzeige bei den Spargesetzen. In Frankreich wird im kommenden Frühjahr der Präsident gewählt. Die Gefahr ist nicht gering, dass der rechtsnationale Front National den Ton für die Entscheidung setzt: nationalistisch, anti-europäisch, fiskal-populistisch.

Und in Deutschland wird sich die Bundeskanzlerin heute schon Gedanken machen, wie sie für die Griechenland-Rettung eine Mehrheit im Parlament bekommen soll. Die SPD hat ihre Unterstützung nicht aus Selbstlosigkeit und Europatreue angeboten, sondern damit all den grummelnden Abgeordneten im bürgerlichen Lager eine Chance zur Revolte eröffnet. Wenn sich die Kanzlerin auf die SPD und damit auf eine geborgte Mehrheit verlässt, dann könnte sie in der Tat verlassen sein. Wird sie also gar die Vertrauensfrage stellen müssen?

Die Schuldenkrise wird in den USA und in Europa immer mehr zum innenpolitischen Problem. Das ist die schlechte Nachricht in diesem Krisensommer, der vor zwei Wochen schon einmal überwunden zu sein schien. Die Wahrheit ist: Offenbar hat er noch nicht einmal richtig begonnen.

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