Weltweit verfolgt: Homosexuelle:Tödliche Küsse

Geben sie zu, dass sie schwul sind, werden sie getötet. Geben sie es nicht zu, töten sie sich selbst. In 83 Staaten werden Homosexuelle noch immer verfolgt, Asyl in Deutschland bekommen nur wenige.

C. Frank

Das Verbrechen, das sie begangen haben, lässt sich kaum in Worte fassen. In Kens Sprache, Ibo, gibt es nicht einmal eines dafür, und in Sanjays Heimat behelfen sie sich, indem sie "Liwat" sagen, Arabisch für "Sodomie".

Weltweit verfolgt: Homosexuelle: Gefährliche Liebe: In vielen afrikanischen und arabischen Ländern sind homosexuelle Handlungen verboten.

Gefährliche Liebe: In vielen afrikanischen und arabischen Ländern sind homosexuelle Handlungen verboten.

(Foto: Foto: AFP)

Das scheint immer noch besser zu sein, als auszusprechen, warum Ken und Sanjay wirklich sterben oder zumindest für Jahre ins Gefängnis sollten: Die Männer sind homosexuell.

Sie lieben die falschen Menschen, deshalb mussten sie fliehen, mussten alles zurücklassen außer ihren Geschichten von Folter und Gefängnis, von Angst und Demütigung. Geschichten, die sie kaum in Worte fassen können. Unaussprechliches.

Am Ende dieser Geschichten, wenn sie längst von der Ankunft in Deutschland handeln und von der Bitte, bleiben zu dürfen, kommen Menschen wie Martin Dannecker ins Spiel. Der Professor für Sexualwissenschaft ist einer der wenigen Experten, denen es zugetraut wird zu beurteilen, ob ein Flüchtling wirklich schwul ist oder das nur behauptet.

Dannecker - sehr groß, sehr dünn, ein Päckchen Dunhill-Zigaretten in der ausgebeulten Jeans - sitzt im Wohnzimmer seiner Wohnung und bläst Rauch in das Licht, das die Sonne durchs Fenster wirft. Der Qualm verwandelt den Sonnenstrahl in eine sichtbare Säule.

Ein passendes Bild in diesem Raum, denn Dannecker ist ziemlich gut darin, das Unsichtbare sichtbar zu machen. Er macht das regelmäßig, mit Menschen wie Ken und Sanjay - jedes Mal, wenn er für die Verwaltungsgerichte oder das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Gutachten über einen vermeintlich homosexuellen Asylbewerber schreibt.

Echte von falschen Schwulen unterscheiden

Im Jahr 2007 haben 19164 Menschen in Deutschland Asyl beantragt - Menschen, die vor Krieg und Terror geflohen sind, vor Verfolgung aufgrund ihrer Rasse, ihres Glaubens oder ihrer politischen Ansichten. Von ihnen wissen viele. Diejenigen aber, die wegen ihrer Homosexualität gejagt und gefoltert wurden, sind unsichtbar, unbekannt. Weil sie Lügen erfinden, wenn sie gefragt werden, warum sie hier sind. Weil sie Stigmatisierte sind, die gelernt haben, ihre sexuelle Neigung um jeden Preis zu verstecken.

Es wird dadurch nicht leichter herauszufinden, was wahr ist. Wie soll die Behörde sicher sein, dass einer nicht lügt? Wie, dass einer wirklich schwul ist? Wer das wissen will, muss Menschen wie Martin Dannecker besuchen. Vielleicht versteht er dann auch besser, warum Flüchtlinge wie Ken jahrelang kämpfen mussten, bis sie ins Land durften. Und warum Sanjay so ein leichtes Spiel hat.

Dannecker ist 66 Jahre alt und selbst homosexuell. Schon mit Anfang 30 hat er das Standardwerk "Der gewöhnliche Homosexuelle" mitverfasst, später wurde er zum Leiter des Frankfurter Instituts für Sexualwissenschaft - und zum gefragten Gutachter. Erst hat er nur mit Deutschen gearbeitet, mit vermeintlich schwulen Wehrdienstverweigerern. "Meistens war das gelogen, das habe ich dann auch geschrieben", sagt der Professor.

Gefälligkeitsgutachten macht er nicht, auch heute nicht für Flüchtlinge. "Das wäre unfair gegenüber den echten Schwulen", sagt er. Außerdem würde es seiner Glaubwürdigkeit schaden: Bislang haben Danneckers Auftraggeber noch keines seiner Urteile angezweifelt.

Und es sind ja nicht irgendwelche Urteile, die er da fällt. Es sind Urteile, bei denen es nicht selten um Leben oder Tod geht.

Tödliche Küsse

Die Bundesregierung hat 83 Staaten aufgelistet, in denen Homosexualität unter Strafe steht - darunter vorwiegend islamische, aber auch hinduistisch und katholisch geprägte wie Indien oder Nicaragua. Wie viele Homosexuelle jährlich aus solchen Ländern nach Deutschland fliehen, ist unklar, weil das zuständige Amt die Verfolgungsgründe nicht statistisch erfasst. Fest steht nur: Die meisten sind aus Iran. Dort droht Schwulen die Todesstrafe, genau wie im Jemen, im Sudan, in Saudi-Arabien, Afghanistan, Mauretanien und Nigeria.

Ken kommt aus Nigeria. Er heißt nicht wirklich Ken, genau wie Sanjay nicht Sanjay heißt, aber beide wollen nicht erkannt werden, aus Angst, dass man sie wieder quält und verfolgt, und aus Scham. Aus Scham, "eine Schwuchtel" zu sein. So beschreibt Ken sich selbst.

Der 31-Jährige wartet in einem Café am Bahnhof einer sehr grauen Stadt im Ruhrgebiet. Obwohl es kalt ist, sucht er einen Tisch auf der Terrasse aus, dort sitzt sonst keiner, niemand kann dem Gespräch zuhören. Ken flüstert trotzdem, sein Wasser rührt er nicht an, seine Augen fahren hektisch nach links und rechts.

Folter mit dem Besenstiel

Wahrscheinlich ist das der natürliche Zustand eines Mannes, der von seiner Familie fallengelassen wurde und von seinen Freunden, von seiner Kirche und seiner Kultur. Der alles verloren hat, woran sich ein Mensch festhalten kann, am Ende sogar fast sein Leben.

Das war an dem Tag, als sie ihn im Gefängnis mit den Splittern eines Besenstiels folterten und ihn dann vergewaltigten, umringt von einem Kreis Schaulustiger. Von Wärtern, die klatschten, und von Insassen, die lachten. Ein paar Tage später, so erzählt er es, hat ihm seine Schwester gesagt: "Es wäre gut, wenn du draufgegangen wärst. Das hätte der Familie viel Schande erspart."

Ken ändert nicht einmal die Stimme, als er das erzählt. Er stockt nicht, schluckt nicht, er spricht so apathisch, als würde er über die traurige Geschichte eines Dritten sprechen.

Die Geschichte geht so: Ken hatte Harry im Studium kennengelernt. Bis dahin war er immer ein Außenseiter gewesen, unglücklich, ohne zu wissen warum. Als er sich in Harry verliebte, verstand er den Grund. Er bekämpfte ihn wie eine ekelhafte Krankheit, zwang sich, mit Frauen auszugehen und Harry nicht zu treffen. Es half nichts. Er war schwul. Und damit in Nigeria "weniger wert als ein Hund", sagt Ken.

Genau hier fängt Professor Danneckers Dilemma an: Er sitzt Menschen gegenüber, die den Hass gegen sich so sehr als gesellschaftlichen Konsens erlebt haben, dass sie ihn selbst annehmen.

Für Schwule nur Verachtung

In nur ein oder zwei Sitzungen muss er diese Menschen dazu bringen, über ihr entsetzliches Geheimnis zu sprechen - so eindringlich, dass er spürt, ob die Homosexualität "psychisch besetzt ist". Also ob er es mit einem echten Schwulen zu tun hat. Den unechten kommt er auf die Spur, weil ihre Worte so leer klingen, sagt er. Als würden sie von einem Toten sprechen, um den sie nicht trauern.

Also nicht so wie bei Ken, wenn er von Calvin erzählt - von dem Mann, den er kennenlernte, als er mit Harry gebrochen hatte und wieder glaubte, normal zu sein. Dem Mann, bei dem seine Gefühle so heftig durchbrachen, dass er bei ihm einzog und mit ihm lebte - bis Nachbarn merkten, dass die Männer mehr als Freunde waren. Ein Verbrechen.

Mitten in der Nacht kam die Polizei an ihr Bett, die Stiefel, die Schläge. "Die Gesetze in Nigeria sind nicht das Schlimmste für Schwule", sagt Ken. "Das Schlimmste sind die Menschen." Die Gesetze ahnden Homosexualität mit 14 Jahren Haft bis hin zur Todesstrafe. Die Menschen verachten die Schwulen und fördern die staatliche Hetze noch.

Trotzdem wurde Ken in Deutschland abgewiesen. Er kam in Abschiebehaft, musste drei Jahre lang vor Gericht dafür kämpfen, dass er nicht nach Nigeria zurückgeschickt wurde. Zwischen den Gefängnisaufenthalten wartete auf ihn das Asylbewerberheim mit seinen Gruppenschlafsälen und Gemeinschaftsduschen. Drei Jahre unter Männern, die zwar ihre Heimat zurückgelassen hatten, aber nicht ihren Hass auf Schwule.

Es wäre schneller gegangen, wenn er bei der Einreise nicht gelogen hätte. Aber er hatte noch die Wut seiner Schwester im Kopf, das Klatschen der Wärter, die Schmerzen der Folter - und dann saß er vor zwei Beamten und sollte sagen: "Ich bin schwul." So offen, dass die überzeugt waren, dass er "irreversibel homosexuell" wäre. Unumkehrbar. So lautet die Vorschrift.

Tödliche Küsse

Gerade durch sein Zögern, durch seine Scham, durch sein "schreiendes Verlangen nach Normalität" ist Ken für Professor Dannecker ein klarer Fall. Letztlich war es auch ein sexualwissenschaftliches Gutachten, das ihm zum Bleiben verhalf. Amnesty International hatte ihm das bezahlt, genau wie den Anwalt und alle Prozesskosten.

Für die Menschenrechtsorganisation ist Ken kein Einzelfall. Menschenrechtsverletzungen an Schwulen und, deutlich seltener, an Lesben, sind weltweit verbreitet. In Iran wurden laut Amnesty seit 1979 mehr als 4000 Homosexuelle getötet, meistens durch Steinigung.

Weil nicht sein kann, was nicht sein darf

In Simbabwe erklärte Diktator Robert Mugabe schon 1995: "Ich denke nicht, dass Schwule Rechte haben." In Uganda drucken Zeitungen bis heute Listen mit Adressen von Schwulen. Und als Brasilien 2003 eine Resolution zum Schutz Homosexueller in die UN-Menschenrechtskommission einbrachte, sperrten sich die Länder der Islamischen Konferenz - gestützt vom Vatikan. Eine simple Logik: Homosexualität darf nicht geschützt werden. Denn sie darf nicht sein.

Das mag vielleicht für die Religionen gelten - für den Katholizismus oder für den Islam, der in der Lot-Geschichte erzählt, wie ein Volk vernichtet wird, weil die Männer "sich in Sinneslust mit Männern abgeben". Es gilt aber nicht für die Betroffenen selbst. "Die Gesetze des Körpers kann man nicht unterdrücken", sagt Professor Dannecker. Wer das dauerhaft tut, werde depressiv oder suizidgefährdet. Vor allem, wenn er gelernt habe, dass das Leben eines Schwulen wertlos sei.

Das mit dem Rattengift kann man sich kaum noch vorstellen, wenn man Sanjay heute sieht. Er sieht nicht nur gut aus, er ist schön. Über seine mandelförmigen Augen biegen sich lange Wimpern. Die Brauen sind gezupft, die Krawatte ist rosa.

So balanciert der 32-Jährige auf dem Barhocker in einem Stuttgarter Schwulencafé und denkt laut über die Sache mit dem Selbstmord nach: "Es ist verrückt. Geben wir nicht zu, dass wir schwul sind, töten wir uns selbst. Geben wir es zu, werden wir getötet."

Sanjay hat beides erfahren in seiner Heimat, einem so kleinen Land, dass er es kaum nennen kann, ohne erkannt zu werden. "Erfahren, nicht erlebt", betont er, denn als man seinen Freund eines Morgens fand, war der ja schon halbtot - vergewaltigt mit einer Glasflasche. Und seinen eigenen Suizidversuch überlebte Sanjay nur knapp, mit einer kaputten Leber - eine Folge des Rattengifts, mit dem er eine Depression beenden wollte und sein Leben gleich mit. "Es ist unvorstellbar, wie das brennt", sagt er. Aber er sagt nicht: "Ich würde es nicht wieder tun." Nur, dass er sich nächstes Mal besser verstecken will.

Asyl nur für die Irreversiblen

Auch Sanjay ist für Professor Dannecker ein Eindeutiger, und tatsächlich könnte wohl selbst der beste Schauspieler kaum so überzeugend einen Homosexuellen mimen. Nicht einmal bei der Behörde stellten sie seine Geschichte in Frage: Sanjay ist erst vor drei Monaten nach Deutschland gekommen, aber sein Asylverfahren steht schon kurz vor dem positiven Abschluss - üblich ist dafür mindestens ein Jahr.

Vielleicht ging es bei ihm so schnell, weil er bei der Ankunft gleich alles offenbart hat: alle Geheimnisse, alle Papiere. Vielleicht aber auch, weil Menschen Klischees so mögen und er eben aussieht wie das Klischee. Ein Irreversibler.

Eine Wolke hat sich vor Martin Danneckers Fenster geschoben, es ist dunkler geworden, und wenn er seine Sätze mit der Zigarettenhand unterstreicht, sieht das aus, als würden sich silberne Fäden eines Spinnennetzes um ihn ziehen. Gerade unterstreicht Dannecker jeden seiner Sätze, das Netz wird immer enger - als wollte er das, was er sagt, länger im Raum halten.

Er sagt, dass die Geschichten der homosexuellen Flüchtlinge nicht nur besonders kompliziert sind, weil sie Schreckliches und Traumatisches erzählen. Sondern weil sie Geschichten von Unaussprechlichem sind.Geschichten davon, dass eine Eigenschaft, die einem vorher fast das Leben gekostet hat, plötzlich das Leben retten kann.

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