Weltstrafgericht:Die Chefanklägerin aus der Diktatur

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Weltstrafgericht: Vor 17 Jahren war Fatou Bensouda Justizministerin in ihrer Heimat Gambia.

Vor 17 Jahren war Fatou Bensouda Justizministerin in ihrer Heimat Gambia.

(Foto: Illustration: Bene Rohlmann)

Fatou Bensouda, Chefanklägerin in Den Haag, gilt als Ausnahmeerscheinung der internationalen Justiz. Doch für die Diktatur in ihrer Heimat Gambia findet sie keine Worte der Kritik.

Von Isabel Pfaff und Ronen Steinke

Unter allen afrikanischen Autokraten ist Scheich Professor Alhaji Dr. Yahya Abdulaziz Jemus Junkung Jammeh einer der sonderbarsten. Sein Spottname lautet: der Professor. Spott verkneift man sich in dem westafrikanischen Ministaat Gambia aber lieber, auch wenn der Herrscher, der Menschen wegen Hexerei einsperrt, sich mit allerlei erfundenen Orden schmückt und behauptet, er könne Aids heilen, dazu Anlass bietet.

In seinen Reden schimpft er gerne auf den Westen, vor allem auf den Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag, weil dieser immer nur Afrikaner anklage. Und neulich hatte er eine Idee, was der Gerichtshof stattdessen tun sollte. Der Diktator appellierte an die Haager Chefanklägerin Fatou Bensouda, 54, sie solle ein Verfahren gegen die EU eröffnen. Wegen der "Umstände rund um den Tod afrikanischer Migranten", die bei dem Versuch ertrinken, nach Europa zu gelangen.

Nun könnte die Juristin das leicht abtun, in Den Haag gehen oft Anzeigen ein, die symbolisch sein sollen, aber strafrechtlich wenig Sinn ergeben. Nur: Dieser Diktator ist für sie nicht irgendein Irrer. Die Chefanklägerin kennt ihn. Weil er einst ihr Chef war. Vor 17 Jahren machte er sie zu seiner Justizministerin.

Das Büro der Haager Chefanklägerin liegt im 14. Stock eines weiß glänzenden Büroturms, in der Ferne sieht man den niederländischen Strand. Fatou Bensouda hat an ihren Besprechungstisch geladen. Sie streicht die Tischdecke vor sich glatt, es ist ein gambisches Muster, schwarz, gelb und grün, eine Erinnerung an ihre Heimat. Wer versucht, der Chefanklägerin mit einer persönlichen Frage näherzukommen, mit den Worten: Sie sind ja nicht nur Juristin, sondern auch ein Mensch . . . - dem schlägt ein herzliches Lachen entgegen. "I hope!", sagt sie und wartet ab, wie das Gespräch weitergeht.

Fatou Bensouda gilt als Teammensch, als angenehme Ausnahmeerscheinung in der Welt der internationalen Strafjustiz, die auch eine Welt der schneidigen Egos ist. Sie tut sich schwer mit den beiden Gerichtssprachen Französisch und Englisch, sie gibt ungern Interviews, und wenn doch, bemüht sie sich um Freundlichkeit.

Nur wenn es um die Diktatur in ihrer Heimat geht, blockt sie ab. "Es wäre völlig unpassend für mich, das politische Verhalten einer Regierung zu kommentieren", sagt sie, "egal ob wohlwollend oder anders." Dabei ist es ein besonders harsches Regime, dem die Chefanklägerin von 1998 bis 2000 als Ministerin diente. Gambias Herrscher Jammeh gilt als einer der letzten lupenreinen Diktatoren Afrikas. Menschenrechtler beschreiben seinen Staat als Angstregime, in dem kritische Äußerungen mit Haft, Folter, mitunter auch Tod bestraft werden.

Die aktuelle Kampagne gegen Homosexuelle ist beinahe nur Randnotiz

Seine aktuelle Kampagne gegen Homosexuelle ist da beinahe nur eine Randnotiz. Ein 2014 entstandenes Gesetz stellt Homosexualität unter Strafe, der Amnesty-International-Forscher François Patuel spricht von einer gut organisierten Verhaftungswelle seither. Gambias Regime bewegt sich damit in der Nähe eines Straftatbestands, dem die Chefanklägerin des Internationalen Strafgerichtshofs nachgehen könnte: die systematische Verfolgung einer identifizierbaren Gruppe aus Gründen des Geschlechts - ein Unterfall der Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Trotzdem geht Fatou Bensouda nicht gerade auf Distanz. Seine Strafanzeige gegen die EU durfte der gambische Diktator ihr persönlich überreichen, Anfang Juni war das. Die Juristin war in ihre Heimat gereist, sie machte auch dem Präsidenten ihre Aufwartung. 2012 trat sie auf einer von Gambias Regierung organisierten Konferenz auf, zum Thema "Diaspora-Gambier". Im Internet kann man nachhören, wie sie dort dem anwesenden Minister für die Einladung dankt. Ihre Teilnahme schmückte die Konferenz.

Als Chefanklägerin, die heute mit großer Entschlossenheit afrikanische Gewaltherrscher wie Sudans Omar al-Baschir per Haftbefehl jagt, ist ihr das zwar nicht verboten, zumal gegen Gambia aktuell kein Verfahren anhängig ist. Doch es ist, als würde eine Mafia-Ermittlerin fünf Mafia-Familien nachsetzen, bei der sechsten aber als Geburtstagsrednerin auftreten.

Die Geschichte der Juristin und des Diktators beginnt in den Neunzigerjahren. In vielen afrikanischen Ländern gab es damals eine Art populistische Hoffnung darauf, dass junge, nicht-korrumpierbare Militäroffiziere Schluss machen mit den Big Men, die jahrzehntelang ihre Länder heruntergewirtschaftet hatten. Diese Hoffnung lag anfangs auch auf dem gambischen Offizier Yahya Jammeh, der 1994 putschte und die langjährige Herrschaft des demokratisch gewählten, aber korrupten Präsidenten David Jawara beendete. Der Putschist war 29 Jahre alt.

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