Süddeutsche Zeitung

Bundeswehr-Einsatzgebiet Weltraum:Wissen, was im All vor sich geht

Deutschland hat im Vergleich zu anderen Nationen bei der Weltraumüberwachung enormen Nachholbedarf. Das soll sich nun ändern. Denn auch im All sind Länder verwundbar.

Von Mike Szymanski, Uedem

Das Lagezentrum ist zwar nur in Bürocontainern untergebracht, doch Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) muss jetzt trotzdem groß denken. Sehr groß, und weit über die Behelfsbauten hinaus. Mit im Raum sitzt ein "Weltraumlage-Offizier" und das Wort hat gerade eine Soldatin, die den Wetterbericht vorstellt - fürs All.

Dort oben, das ist die gute Nachricht, geht es meteorologisch betrachtet, einigermaßen ruhig zu. Was den Verkehr betrifft ist das schon anders. Da herrscht Gewusel. Auf der Projektionswand ist die Erde abgebildet oder besser gesagt das, was davon noch zu sehen ist: Denn drumherum schwirren lauter Punkte, fast 20 000, die, wenn man genau hinschaut, sich bewegen. Jeder Punkt ist ein Gegenstand. Er kann für einen Satelliten stehen oder ein Stück Weltraumschrott, mitunter nur ein paar Zentimeter groß. Kramp-Karrenbauer blickt auf den derart umtosten Planeten. "Ganz schön was los", sagt sie. "Das war mir gar nicht so bewusst."

Die neue Arbeitswoche beginnt für die Ministerin tief im Westen der Bundesrepublik, auf dem Paulsberg bei Uedem am Niederrhein. Kramp-Karrenbauer besucht das Zentrum Luftoperationen, das organisatorisch wächst - um das Einsatzgebiet Weltall. Ein neuer Führungsgefechtsstand für den Luft- und auch den Weltraum entsteht, denn beides gehöre zusammen, wie Kramp-Karrenbauer sagt.

Vom Paulsberg aus löst die Luftwaffe Alarm aus und lässt Eurofighter aufsteigen, wenn Flugzeuge über Funk partout nicht antworten. Der Himmel wird lückenlos überwacht. Was den Weltraum angeht, hat sie noch blinde Flecken. Der Umstand, dass das Weltraumlagezentrum in Containern untergebracht ist, zeigt, wo die Bundeswehr startete. Kramp-Karrenbauer will heute klarmachen, wo es hingeht.

Auf dem Paulsberg schätzen sie, dass insgesamt mehr als 2400 Satelliten die Erde umkreisen. Deren Zahl steigt rasant. Die Bundeswehr schützt allein 16 militärische Satelliten, etwa welche für die Aufklärung oder die Kommunikation. Hinzu kommen Dutzende zivile und kommerzielle Satelliten.

Die Bedrohung? Vor allem durch Weltraumschrott. Auch nur einen Zentimeter große Teile können beträchtliche Schäden an Satelliten anrichten. Aber auch Attacken anderer Länder auf die Weltrauminfrastruktur hat die Ministerin im Blick. Das Weltall ist längst ein umkämpfter Raum geworden, nur, dass dort jeder macht, was er will, weil "die Spielregeln" fehlten, wie Kramp-Karrenbauer sagt. Das müsse sich dringend ändern. Denn auch im All sind die Länder verwundbar.

Wenn Satelliten ausfallen, weil sie durch Weltraumschrott beschädigt oder absichtlich zerstört werden, können die Konsequenzen folgenreich sein: Finanzgeschäfte brauchen den Zeitstempel, den Satelliten den Banken liefern. Das Navigationssystem im Auto funktioniert nicht mehr. Der Bauer nutzt die Satelliten für die Feldarbeit; die Bundeswehr, um Kontakt in die Einsatzgebiete zu halten.

Kramp-Karrenbauer formuliert es so: Die Bedeutung des Weltraums werde einem erst dann klar, wenn man sich vorstellt, dass dies alles plötzlich nicht mehr funktioniert. Daher sei es so wichtig, jeden Gegenstand zu erfassen: Satelliten können Ausweichmanöver fliegen, wenn sie sich etwa auf Kollisionskurs zu Trümmerteilen befinden. Und wenn Trümmer aus dem All auf die Erde zurückkehren, lässt sich abschätzen, wo sie zu Boden gehen. Das gehört zum Schutz der Bevölkerung.

Aber all dies setzt voraus, genau zu wissen, was im All vor sich geht. Darin liegt der große Nachholbedarf für die Bundeswehr, die erst 2008 begonnen hat, solche Strukturen aufzubauen. Aus eigener Kraft konnte sie sich lange kein eigenes, komplettes Bild der Lage verschaffen.

Neue Operationszentrale für die Weltraum-Wächter

Deutschland ist darauf angewiesen, dass große Weltraumnationen ihr Wissen teilen. Es sind die Amerikaner, die den Deutschen Daten weitergeben, auf welcher Bahn welcher Satellit unterwegs ist. In Europa zählt Frankreich zu den wichtigsten Kooperationspartnern.

Paris hat dem Weltraum in seinen strategischen Überlegungen weit größere Bedeutung beigemessen, während in Deutschland die Crew dafür gerade aus dem Containerbau herauswächst. Die Zahl der Mitarbeiter soll von etwa 50 auf 150 in den nächsten Jahren steigen.

"Es geht hier nicht um Weltraumwaffen, sondern es geht darum, das zu schützen, was wir im Weltraum haben", erklärt der Inspekteur der Luftwaffe, Generalleutnant Ingo Gerhartz. So werden mit dem neuen Radarsystem GESTRA (German Experimental Space Surveillance and Tracking Radar) am Rande von Koblenz die Bahnen von Weltraumkörpern verfolgt.

Es wurde im Auftrag des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt durch das Fraunhofer-Institut für Hochfrequenzphysik und Radartechnik entwickelt. Um Objekte quasi unter die Lupe zu nehmen, wird das Weltraumbeobachtungsradar TIRA bei Bonn eingesetzt. Außerdem stehen Teleskope zur Verfügung.

Auf dem Paulsberg wird gebaut. Das Ministerium investiert Millionen in den Standort. Die Weltraum-Wächter sollen 2022 eine neue Operationszentrale beziehen. Dann gehören auch sie richtig dazu.

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SZ vom 22.09.2020/odg
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