Weltpolitik:Pekings Irrwege

Naß, Matthias
Drachentanz

Matthias Naß: Drachentanz. Chinas Aufstieg zur Weltmacht und was er für uns bedeutet. Verlag C. H. Beck, München 2021. 320 Seiten, 24,95 Euro. E-Book: 18,99 Euro.

(Foto: C.H. Beck)

Der Journalist Matthias Naß beschreibt das Selbstbild und das repressive System Chinas seit Mao.

Von Werner Hornung

Unvorstellbar in Deutschland: Angela Merkel fordert in Versform zur Corona-Bekämpfung auf. In Peking dagegen feierte Mao Zedong 1958 die Eindämmung der gefährlichen Wurmerkrankung Bilharziose mit dem Gedicht "Leb' wohl Seuchengott". Das kommunistische China ist in vielem anders als der Westen. Das politische Geschehen ist immer wieder geprägt von Windungen, Wendungen oder gar Wirren; bildhaft auf einen Nenner gebracht ist es ein "Drachentanz". So heißt auch das neue Buch von Matthias Naß, dem langjährigen Korrespondenten der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit für den ostasiatischen Raum.

Was er im Verlauf seiner journalistischen Arbeit beobachtet, erfahren oder kenntnisreich kommentiert hat - ein Gutteil davon ist hier wieder zu lesen. Mehrfach war der Autor im Reich der Mitte unterwegs, hat im weitverbreiteten Mandarin-Dialekt mit Einheimischen und mit Regimekritikern im Exil gesprochen; zum Beispiel mit dem Schriftsteller Bei Dao, von dem die vielsagende Definition stammt: "Freiheit ist nur der Abstand zwischen Jäger und Gejagtem." Nicht bloß in den beiden Abschnitten über die Uiguren-Verfolgung und den elektronisch perfektionierten Überwachungsstaat beschreibt Matthias Naß Aspekte des repressiven Systems, sondern auch in den restlichen zehn Kapiteln. Denn vor allem mit brutalen Methoden war Chinas Aufstieg zur politischen und wirtschaftlichen Weltmacht möglich.

Man sieht sich als Reich der Mitte

Gepaart war diese Entwicklung stets mit dem traditionell chinesischen Weltbild, wonach man sich im Mittelpunkt der Erde sieht. Wobei diese globale Sicht bereits in der Schule beginnt. Dort haben die Kinder sinozentrisch gestaltete Weltkarten vor sich, auf denen Europa und Amerika am Rand liegen. Kein Wunder also, wenn die Menschen ihre Heimat seit Langem zhong guo (Reich der Mitte) nennen und entsprechend empfinden. Leider fehlt dazu im Anhang eine passende Weltkarte (samt krakenartiger Neuer Seidenstraße), allein zwei herkömmlich gefertigte Kartenskizzen sind vorhanden.

Wie euphorisch und naiv dieser Aufstieg Chinas seit Deng Xiaopings Öffnungspolitik 1978 vom Westen begrüßt wurde, auch darauf geht der Autor ein. Anschließend wird von ihm außerdem die zunehmende Ernüchterung geschildert, seit Xi Jinping (2012/13) Partei und Staat diktatorisch regiert. Das Fazit von Matthias Naß am Ende seines anschaulich verfassten Buchs kann deshalb kaum verwundern: Die Kommunistische Partei Chinas hat "immer wieder einen erstaunlichen Pragmatismus und die Fähigkeit zur Kurskorrektur bewiesen. Leider nicht, ohne zuvor tragische Irrwege zu beschreiten. Auf einem solchen Irrweg befindet sich das Land wieder".

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