Weltpolitik:Fenster zur Entspannung

Seit der Beziehungskrise zwischen Russland und Europa hat der Begriff vom Kalten Krieg eine Renaissance erlebt. Wilfried Loth analysiert, was der aktuelle Konflikt mit dem historischen zu tun hat - und was nicht.

Von Werner Bührer

In Zeiten, in denen intensiv darüber diskutiert wird, ob der Begriff Kalter Krieg das gegenwärtige Verhältnis zwischen dem Westen und Russland angemessen beschreibe, kommt dieses Buch gerade recht. Es trägt nämlich dazu bei, aktuelle Ängste und Befürchtungen zu relativieren, indem es daran erinnert, dass zwischen (konfrontativer) Rhetorik und (pragmatisch-kooperativer) Realpolitik unterschieden werden muss. Darüber hinaus hofft Wilfried Loth, bis 2014 Professor für Neuere und Neueste Geschichte an der Universität Duisburg/Essen, dass "der Blick auf Deeskalationsstrategien im Kalten Krieg" heute helfen könne, die "Fehler von gestern" zu vermeiden. Er selbst würde den Begriff zur Charakterisierung der momentanen Gegensätze übrigens nicht verwenden. Eine Rückkehr zum Kalten Krieg sei mit dem Verschwinden der früheren ideologischen und geopolitischen Grundlagen "endgültig aus dem Bereich des Möglichen" entschwunden.

Was hat das Buch zu bieten? Loth weist im Nachwort fairerweise darauf hin, dass es auf eine 1998 erstmals erschienene Darstellung zurückgeht, aber um die "Erträge der neueren Forschung" erweitert wurde. Auffällig ist jedenfalls der neue, dramatische Titel. In der ersten Fassung hieß es noch ganz sachlich: "Entspannung und Abrüstung". Manchmal erschöpft sich die Neuauflage im Austausch von Adjektiven: statt von einem "fragilen" ist nun von einem "prekären" Netz kooperativer Ost-West-Beziehungen die Rede. Andere Abschnitte, etwa über das in den frühen 1980er-Jahren in Ost und West an Boden gewinnende "neue Denken", wurden tatsächlich neu verfasst. Die seit 1998 erschienene Literatur hat Loth größtenteils berücksichtigt. Darüber hinausgehende Quellenfunde kann er nicht bieten, nicht einmal die einschlägige Edition der "Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland" hat er für den Zeitraum Mitte der 1960er- bis Mitte der 1980er-Jahre systematisch ausgewertet.

Ronald Reagan, Helmut Kohl und Eberhard Diepgen an der Berliner Mauer, 1987

Grenzen einer Weltmacht: Vom Reichstagsgebäude aus schauen 1987 US-Präsident Ronald Reagan (Mitte), Bundeskanzler Helmut Kohl (links) und der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (rechts) über die Berliner Mauer. Zwei Jahre später sind die Mauer und der Kalte Krieg Geschichte.

(Foto: Roland Holschneider/dpa)

Am zentralen Befund der früheren Darstellung hält Loth jedoch nach wie vor fest: Die Schritte zur Entspannung des Ost-West-Konflikts hätten "entscheidend dazu beigetragen, dass sich die Werte der westlichen Welt im Machtbereich der Sowjetunion durchsetzen konnten".

Das große Umdenken setzte mit Ronald Reagan und Michail Gorbatschow ein

Loths Darstellung setzt mit dem Korea-krieg 1950 ein und schreitet danach die wichtigsten Stationen der Reihe nach ab: die Stalin-Noten vom Frühjahr 1952, das kurzfristige "Tauwetter" nach Stalins Tod 1953, die anschließende Verfestigung der beiden Blöcke, die entgegen den Erwartungen mancher Beobachter keine "unmittelbare Verschärfung der Spannungen" zur Folge hatte, die Berlin-Krisen bis zum Bau der Mauer, die Kuba-Krise, Vietnam. Dann das kaum gebremste Wettrüsten, die Unterdrückung des Prager Frühlings und die Breschnew-Doktrin von der eingeschränkten Souveränität der Staaten des sozialistischen Lagers, Willy Brandts Neue Ostpolitik, die Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, die Erosion des Klimas der Entspannung im Zusammenhang mit dem Wechsel von Gerald Ford zu Jimmy Carter und der Nachrüstungsdebatte, die sowjetische Intervention in Afghanistan, die Präsidentschaft Ronald Reagans und das Erstarken der Friedensbewegung; schließlich die Wende in Richtung der Beendigung des Kalten Krieges bis zur deutschen Einheit und dem Zerfall des Ostblocks und des sowjetischen Imperiums. Das "neue Denken", das diesen Umschwung ermöglichte, lokalisiert Loth sowohl in den USA, besonders bei Reagan, der inzwischen zum eigenen Erstaunen erkannt hatte, dass "viele Leute an der Spitze der sowjetischen Hierarchie" wirklich "Angst vor Amerika und den Amerikanern" hatten, als auch, und vor allem, in Moskau, bei Michail Gorbatschow. Ihn zählt Loth zum Kreis der "56er", jenen "jüngeren Parteifunktionären, die in der Zeit von Chruschtschows Feldzug gegen den Stalinismus sozialisiert worden waren", und bei aller marxistisch-leninistischen Prägung auf einen "besseren Sozialismus" hofften und überdies über eine gewisse Auslandserfahrung verfügten.

Das alles erzählt Loth elegant und mit vielen anschaulichen und prägnanten Zitaten wichtiger Akteure. Er verschweigt nicht, dass seiner Ansicht nach die östliche Entspannungspolitik, "zumindest nach Stalin in der Anlage defensiv, die westliche dagegen in unterschiedlicher Intensität offensiv" war. Seine These, dass sich "Ost und West, anders als es die Metapher vom Kalten Krieg nahelegt, nicht wirklich existenziell bedrohten", ist rückblickender Erkenntnis geschuldet und verträgt sich zumindest nicht so ganz mit dem dramatisierenden Titel seines Buches. Auch sein Befund, dass Ost und West in der Entspannungspolitik "weitgehend übereinstimmende Ziele" verfolgt hätten, insbesondere die "Vermeidung der atomaren Konfrontation" und die "Zusammenarbeit zum wechselseitigen Vorteil", mag überraschen. Andererseits macht es die Stärke des Buches aus, dass Loth klare Aussagen nicht scheut.

Weltpolitik: Wilfried Loth: Die Rettung der Welt. Entspannungspolitik im Kalten Krieg. Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2016. 375 Seiten, 29,95 Euro. E-Book: 26,99 Euro.

Wilfried Loth: Die Rettung der Welt. Entspannungspolitik im Kalten Krieg. Campus Verlag, Frankfurt am Main/New York 2016. 375 Seiten, 29,95 Euro. E-Book: 26,99 Euro.

Loth hat eine im Großen und Ganzen konventionelle Politik- und Diplomatiegeschichte des Kalten Krieges vorgelegt. Nur gestreift werden die Rolle wirtschaftlicher Aspekte, die Ost-West-Konfrontation in der "Dritten Welt", die in jüngster Zeit größere Aufmerksamkeit erfahren hat, der Faktor Angst im Kalten Krieg oder die Bedeutung der Kultur im weitesten Sinne einschließlich des Exports beziehungsweise der Attraktivität des american way of life. Stattdessen offeriert er zum Schluss einige Erklärungen für den "Sieg der westlichen Prinzipien" im Kalten Krieg: über ideologische und reale Barrieren hinweg "so viel wie möglich von der Realität des westlichen Lebens" vermitteln, der Gegenseite "durch kooperatives Verhalten den Abschied von den alten Einkreisungsängsten" erleichtern, bei der Senkung des Rüstungsniveaus helfen und in den wirtschaftlichen Austausch investieren. Ob diese Maximen auch heute im Umgang mit Russland als Leitsätze dienen könnten? Wilfried Loths Studie legt das zumindest nahe.

Werner Bührer ist Zeithistoriker und lebt in München.

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