Weltpolitik:Den Krisen der Welt mit Kraft und Gelassenheit begegnen

Flüchtlinge an der deutsch-österreichischen Grenze

Ein Polizist sammelt am ersten Weihnachtsfeiertag an der deutsch-österreichischen Grenze zwischen Simbach am Inn und Braunau eine Gruppe von Flüchtlingen.

(Foto: dpa)

Das abgelaufene Jahr hat der Welt Krise um Krise beschert. Was sich daraus für 2016 lernen lässt? Nicht viel - außer einer bestimmten Haltung.

Kommentar von Stefan Kornelius

Am liebsten wäre ja nicht wenigen Menschen eine Art politische Wurstmaschine, in die man oben die Probleme und Nöte der Erde hineinwerfen kann und aus der unten die Lösungen hinausquellen, ordentlich portioniert und verpackt.

Bedauerlicherweise funktioniert die Welt aber nicht so, weshalb viele Menschen mit großen Augen und auch mit ein wenig Angst auf das Weltgetöse schauen und um eine Prognose bitten: Was also kommt jetzt auf Deutschland, auf diesen ganzen Erdenball zu, dem das vergangene Jahr bereits so heftig zugesetzt und in der Silvesternacht gar noch eine neue Terrorwarnung beschert hat?

Die Antwort ist: Das Vorhersagegeschäft in der Politik taugt zwar mehr als Bleigießen zum Jahreswechsel, aber gerade in den Irrungen und Wirrungen der internationalen Politik sind die von den Deutschen so geschätzten Tugenden wie Verlässlichkeit und Planbarkeit kaum zu erwarten. Das altgriechische krinein steht ja nicht zufällig für "Trennung" und "Wendepunkt", woraus die Deutschen die Krise gemacht haben: In ihr lauert das Unvorhergesehene, die Zuspitzung, die plötzliche Wende.

Krisen hat die Welt im vergangenen Jahr wahrlich genug gesehen. Wellenartig sind sie angerollt, und bei jedem Brecher fordern die Mahner mehr Prävention und Vorausschau. Doch was die Wissenschaft in Planspielen leistet und in Denkschriften ablegt, was die Statistik vorzeichnet und die Frühwarnsysteme ausspucken - all dies wird noch lange nicht zu Politik, zu Gesetzen, Beschlüssen, Haushaltstiteln, zu action.

Niemand hat Merkels Warnung ernst genommen

Selbst das Wort einer Bundeskanzlerin vermag es nicht immer, das Schwungrad in Gang zu setzen. Beispiel Neujahrsansprache Angela Merkel - wohlgemerkt 2014, nicht 2015: "Folge dieser Kriege und Krisen ist, dass es weltweit so viele Flüchtlinge gibt wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg. Es ist selbstverständlich, dass wir ihnen helfen und Menschen aufnehmen, die bei uns Zuflucht suchen."

Niemand hat Merkel damals vorgeworfen, sie locke die Menschen mit ihrem Aufnahme-Versprechen an. Niemand hat die Warnung ernst genommen. Merkels Worte sind verklungen, genauso wie die Mitteilung des Bundesamtes für Migration vom vergangenen Februar, in der eine Rekordzahl an Flüchtlingen prognostiziert wurde. Von 300 000 war damals noch die Rede, einem Drittel mehr als 2014.

Das freilich ging unter in der ersten Aufregung um eine gerade gewählte griechische Regierung. Deren Politik konnte zwar nicht wirklich verwundern, weil sie Monate zuvor angekündigt worden war. Aber jetzt waren Tsipras & Co im Amt, der Finanzminister hatte tatsächlich die Zusammenarbeit mit der Troika aufgekündigt und die Sparpolitik beendet.

Die Besserwisser und Vereinfacher werden die Probleme nicht lösen

Gefragt, was am ehesten einen Politiker aus der Bahn werfe, soll der britische Premierminister Harold Macmillan geantwortet haben: "Events, dear boy, events." Die Ereigniskarte funktioniert in der Politik wie bei Monopoly, sie verändert das Spiel. In der internationalen Politik ist es noch komplizierter, weil nicht alle nach denselben Regeln spielen und vom selben Stapel ziehen.

Russlands offensiver Kriegseintritt in Syrien war solch ein spielveränderndes Ereignis, weil es die geopolitische Relevanz eines viel zu lange ignorierten Gemetzels klargemacht hat. Selbstverständlich geht es hier um die Schlüsselrivalität zwischen Sunniten und Schiiten, die regionale Vorherrschaft Irans oder Saudi-Arabiens, die Durchsetzbarkeit eines Atomabkommens und um die Rolle der Weltmacht USA in Nahost. Dann der Terror des IS in Paris, die Flüchtlingstrecks vom Balkan bis nach Freilassing, die Unberechenbarkeit des türkischen Präsidenten, angefeuert von einem überraschenden Wahlergebnis. Nur diese Verdichtung von Ereignissen ermöglichte radikale politische Züge, die sich zuvor kein Prognostiker ausdenken konnte.

Gegen die politische Prognose und die Vorsorge vor Krisen spricht das alles nicht. Im Gegenteil: Die vielen Flüchtlinge hätten Europa nicht überraschen dürfen. Dass die Flüchtlingslager in Jordanien und Libanon unterfinanziert waren, war schon lange ein bekanntes Problem. Allerdings ist die Wirkungskraft der Prävention begrenzt. Guter Wille, Geld und Mahnungen beenden keinen Bürgerkrieg in Syrien. Und Merkel hätte ihren Parteitag mit einer noch so guten Rede nicht so triumphal beendet, hätte der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer sie zuvor nicht beim CSU-Parteitag in München gedemütigt und zur Märtyrerin gemacht. Fortune gehört manchmal eben auch dazu.

Die Wirkung von Ereignissen lässt sich dämpfen

Ereignisse, Ereignisse - ihre Wirkung lässt sich dämpfen, der Überraschungsschock lässt sich mildern. Flüchtlingslager muss man finanzieren, Klimaverträge einhalten, Territorialstreitigkeiten moderieren, Hassprediger zum Schweigen bringen, Radikale zähmen, Zahme und Gelangweilte für die Politik begeistern, ihnen klarmachen, dass dies ein ungemein komplexes Gebilde ist, in dem sich die Menschheit bewegt, in dem Krisen entstehen und hoffentlich auch wieder vergehen.

Wirklich vorhersagen aber lassen sich die gewaltigen Krisen nicht. Politische Systeme lassen sich schützen, vor allem durch geduldige Aufklärung und starke Institutionen. Zur Krisenprävention taugen Ausdauer, Beharrlichkeit und, ja auch dies: Demut. Die auftrumpfenden Besserwisser und Vereinfacher werden die Probleme nicht lösen, wenn sie deren Komplexität leugnen und alle Andersmeinenden als Lügner verunglimpfen.

Die Krisen der Welt verlangen nach Anstrengung - und optimistischer Gelassenheit. Untergangspropheten haben die Welt jedenfalls noch nie zu einem besseren Ort gemacht.

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