Weltklimarat:Ein bisschen Nobelpreisträger

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"Ein Heiligenschein macht künftige Diskussionen schwierig": Warum die Ehrung für den Weltklimarat die Forscher beflügelt und zugleich ärgert.

Christopher Schrader

Rajendra Pachauri begann seinen Vortrag mit einer Verbeugung vor seinem Publikum. "Es ist bewegend, welche intellektuelle Kraft hier versammelt ist." Vor dem indischen Forscher saß auf dem roten Samt der Orchestersitze ein gutes Dutzend Nobelpreisträger: Chemiker, Physiker, Mediziner, Ökonomen. Sie hatten sich im Theatersaal des Potsdamer Neuen Palais' versammelt, um über Lösungen für den Klimaschutz zu sprechen. Wissenschaftlich musste Pachauri sich vor den Laureaten im Saal nicht verstecken, die Atmosphäre war ohnehin freundschaftlich-kollegial. Doch da war diese kleine, trennende Formalität, die mancher der Preisträger mit einer Anstecknadel im Revers zur Schau stellte: der Nobelpreis.

Die fassungslose Freude ist ihm ins Gesicht geschrieben: Rajendra Pachauri hat gerade erfahren, dass sein Weltklimarat den Friedensnobelpreis erhält (Foto: Foto: AFP)

Diesen Vorsprung hat Pachauri in den drei Tagen seit seinem Vortrag am vergangenen Dienstag egalisiert. Zwar nicht er selbst, aber der Weltklimarat IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change), den er leitet, bekommt in diesem Jahr den Friedensnobelpreis. Pachauri selbst dürfte die Ehrung am 10.Dezember in Oslo entgegennehmen. Und da er ein bescheidener Mann ist, hat er am Freitag in seiner Heimatstadt Neu Delhi gesagt, er selbst sei nur "ein Symbol". Die Auszeichnung gelte "meiner Organisation und ihren Anstrengungen".

Diese Anstrengungen sind groß. "Es ist vor allem eine riesige Fleißarbeit", sagt Stefan Rahmstorf. Im Hauptberuf arbeitet er am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, aber in den vergangenen Jahren ging ein Großteil seiner Energie und viel Freizeit für das Ehrenamt im IPCC drauf. Das Budget des von der UN eingesetzten Weltklimarats von etwa 4,7 Millionen Euro im Jahr 2007 deckt im Wesentlichen die Kosten des kleinen Hauptquartiers in Genf und die Reisemittel der Wissenschaftler, die sich immer wieder auf Meetings treffen. Ein Gehalt oder Honorar bekommen die 2500 beteiligten Forscher nicht; die dicken Bücher, die der IPCC herausgibt, schreiben sie, weil ihnen das Thema wichtig ist.

Der Weltklimarat hat seit 1988 von den Vereinten Nationen das Mandat, regelmäßig den Stand der Klimaforschung zusammenfassen. Seine drei Arbeitsgruppen haben das viermal seit der Gründung des Gremiums 1988 getan - zuletzt in diesem Jahr. "Anfangs war das wie eine Strafarbeit, man wurde von seinem Professor dazu verdonnert, heute ist es hoch formalisiert", sagt Ulrich Cubasch von der Freien Universität Berlin.

Jedesmal haben die Hauptautoren der zuletzt 44 Kapitel wie Cubasch und Rahmstorf die gesamte wissenschaftliche Literatur gesichtet, daraus den Konsens der Forscher destilliert und abweichende Positionen diskutiert. Dann ging das Produkt in zwei Runden der mehr oder weniger öffentlichen Diskussion: Jeden der zigtausend Kommentare mussten die Autoren persönlich einordnen und beantworten. Die größte Prüfung stand den Forschern da noch bevor: die Abstimmung der Zusammenfassung mit den Regierungen der ganzen Welt.

"Zeile für Zeile müssen die Politiker der Zusammenfassung zustimmen", sagt Ulrich Cubasch, der wie Rahmstorf in der ersten Arbeitsgruppe ein Kapitel betreut hat. "Und das ist nicht ganz ohne, weil dann aus der wissenschaftlichen Sprache plötzlich etwas ganz anderes wird. In manche unserer Formulierungen lesen Politiker etwas hinein, was wir gar nicht sagen wollten."

Auch darum hat der IPCC seinen Autoren inzwischen eine "geeichte Sprache" verordnet. Sie dürfen zum Beispiel eine Schlussfolgerung nur mit der Formulierung "mit sehr großer Sicherheit" verkünden, wenn die Chance, dass es doch nicht stimmt, unter zehn Prozent bleibt.

Auf diesem Niveau liegt vor allem die Feststellung des IPCC, dass der Einfluss der Menschheit die Erde erwärmt habe und weiter erwärme. Kaum jemand wird bestreiten, dass dieses Votum aus dem Februar 2007 im März die Europäische Union, im Juni die G-8-Gruppe der führenden Industrienationen und im September die Vereinten Nationen beeinflusst hat.

Alle haben dem Klimaschutz Gipfeltreffen gewidmet und mehr oder minder weitreichende Maßnahmen beschlossen. Nicht einmal die Regierung von US-Präsident George W. Bush wagt es noch, den wissenschaftlichen Konsens wie in früheren Jahren in Frage zu stellen.

Dennoch fürchten manche der Wissenschaftler, die Anerkennung aus Oslo könne ihre Arbeit behindern. "Der Preis hat, gerade wenn er an Al Gore und den IPCC zusammen verliehen wird, eine politische Dimension. Unsere Arbeit war bisher aber eher unabhängig von der Politik", sagt Ulrich Cubasch.

Hans von Storch vom GKSS-Forschungszentrum in Geesthacht bei Hamburg, der 2001 beim vorherigen IPCC-Bericht mitgearbeitet hatte, ergänzt: "Ein Heiligenschein, wie ihn der Weltklimarat jetzt bekommt, macht künftige Diskussionen schwierig. Vielleicht hätte das Komitee in Oslo besser noch zehn Jahre warten sollen, um beurteilen zu können, wie sich das entwickelt."

Stefan Rahmstorf widerspricht: "Später hätte der Preis nicht kommen dürfen. Die Welt ist in einem Wettlauf mit der Zeit und die Ehrung trägt hoffentlich dazu bei, dass sie gerade noch rechtzeitig ein Abkommen verabschiedet, um die schlimmsten Folgen des Klimawandels zu verhindern."

Ähnlich hat sich übrigens Pachauri über den Preis geäußert. Diese Meinungsunterschiede zeigt, dass viele der am IPCC beteiligten Wissenschaftler ihrem Forschungsgegenstand nicht neutral und distanziert gegenüberstehen, sondern als politisch denkende Menschen auch politische Ziele verfolgen.

Hinzu kommt an diesem Freitag aber persönliche Freude. Amüsiert sinnieren von Storch und Cubasch, ob sie nun auch "ein bißchen Friedensnobelpreisträger" seien. Rahmstorf wehrt das eher ab. Die Ehrung gelte keiner Person, sondern "dem Gemeinschaftswerk". Erst auf eine beharrende Nachfrage quantifiziert er seinen Anteil am Preis "im Sub-Promille-Bereich".

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