Weltklimakonferenz:Gute Zeiten für Shell und Co.

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Eine Raffinerieanlage von Shell in Pernis bei Rotterdam. (Foto: IMAGO/ANP)

Der Konzern gewinnt vor Gericht und muss doch nicht den CO₂-Ausstoß senken. Die Branche boomt wie nie, und selbst der Gastgeber der Weltklimakonferenz möchte nicht dafür kritisiert werden, Öl und Gas zu verkaufen. Spielt der Klimaschutz noch eine Rolle?

Von Thomas Hummel, Baku

Es ist ein Sieg für Shell und die gesamte Öl- und Gasindustrie: Ein Zivilgericht in Den Haag hat am Dienstagmorgen ein historisches Urteil aus dem Jahr 2021 gekippt, wonach der Konzern seine Treibhausgas-Emissionen bis 2030 um 45 Prozent reduzieren müsse. Und zwar auch die Emissionen, die durch den Gebrauch des von ihm geförderten Öls und Gases entstehen, etwa im Verkehr, beim Heizen oder in der Industrie. Zu diesem harten Einschnitt in das Geschäftsmodell ist Shell nun nicht mehr verpflichtet.

Die klagende Umweltorganisation Milieudefensie kann noch vor dem Obersten Gerichtshof der Niederlande Revision einlegen, sie will jedoch erst die Urteilsbegründung abwarten. Ihr Direktor Donald Pols sprach von einem Rückschlag, kündigte aber auch an, dass der Kampf noch nicht entschieden sei.

Shell hingegen hatte sich schon vor dem Urteilsspruch gelassen gegeben. Angesichts vieler Berufungsmöglichkeiten dürfte es Jahre dauern, bis der Fall endgültig entschieden sei, hatte Geschäftsführer Wael Sawan laut der Nachrichtenagentur Bloomberg gesagt.

Aserbaidschans Präsident sieht in Öl und Gas ein Geschenk Gottes

Das Urteil von Den Haag reiht sich ein in die positiven Meldungen für die weltweit agierende, sehr lukrative Öl- und Gasindustrie. Die Gewinne stiegen so hoch wie nie, die Börsenkurse auch. Die Wahl Donald Trumps dürfte das Umfeld von Big Oil in den USA weiter verbessern. Und auf der Weltklimakonferenz in Aserbaidschan nutzte Präsident Ilham Alijew seine Willkommensrede am Dienstag zu einem Frontalangriff auf Europa und den Westen.

Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew (re.) will weiter viel Gas und Öl fördern. Neben ihm sitzt UN-Generalsekretär António Guterres. (Foto: Maxim Shemetov/Reuters)

Das Land ist quasi der Geburtsort des Öl- und Gasgeschäfts. Aserbaidschan heißt übersetzt „Land des Feuers“, schon vor Jahrhunderten wurde hier nach den fossilen Brennstoffen gegraben. Die erste mechanische Ölpumpe wurde 1844 im Süden der Hauptstadt Baku in Betrieb genommen. Noch heute hängt die aserbaidschanische Wirtschaft fast ausschließlich am Verkauf von Öl und Gas, rund um das Nationalstadion, wo die Klimakonferenz stattfindet, weht oft ein süßlich-stechender Geruch von Benzin. Nicht weit entfernt liegt ein Depot.

Dennoch verbat sich Alijew am Rednerpult vor Vertretern von fast 200 Staaten jegliche Kritik. Weil er das Öl und Gas im Boden ein Geschenk Gottes genannt hatte, würden „Fake-News-Medien“, Klima- und Umweltschützer sowie „einige Politiker im Westen“ ihn und sein Land diskreditieren. Als „Petro-Staat“ verunglimpfen. Dabei sei es doch die Europäische Union gewesen, die angesichts der Energiekrise vor zwei Jahren nach Baku gekommen sei und darum gebeten habe, die Erdgas-Lieferungen bis 2027 zu verdoppeln. „Wir sagten: Okay. Wir werden euch helfen für eure Energiesicherheit“, rief Alijew in den Saal.

Noch nie wurde so viel Öl und Gas produziert wie 2023, sagen Umweltschützer

Alijew prangerte Doppelmoral und politische Heuchelei an, Länder sollten nicht dafür gescholten werden, wenn sie Öl und Gas verkauften. „Denn der Markt braucht das“, sagte er. Aserbaidschan investiere auch in die grüne Transformation hin zu erneuerbaren Energien, „aber wir müssen realistisch bleiben“.

Damit stimmt Alijew ein in den Chor aus Staaten- und Konzernlenkern, die das Ende von Öl und Gas trotz der weltweiten Erderwärmung noch in weiter Ferne sehen.

Ein Ölfeld außerhalb von Baku: Rund um das Nationalstadion, wo die Klimakonferenz stattfindet, weht oft ein süßlich-stechender Geruch von Benzin. (Foto: MLADEN ANTONOV/AFP/Getty Images)

Bestätigt wird das von Zahlen der Umweltorganisation Urgewald, die zusammen mit 34 Partnern Geschäftsberichte und Prognosen von fast 1800 Unternehmen weltweit analysiert und am Dienstag veröffentlicht hat. Darin kommen sie zu dem Ergebnis, dass noch nie so viel Öl und Gas produziert wurde wie 2023. Mit 55,5 Milliarden Barrel Öl-Äquivalenten – alle fossile Brennstoffe eingerechnet – seien auch die Höchstwerte von vor der Corona-Pandemie übertroffen worden.

„Dieser Negativrekord ist alarmierend. Wenn wir die fossile Expansion nicht aufhalten und keinen kontrollierten Produktionsrückgang einleiten, wird das 1,5-Grad-Limit unerreichbar“, sagt Nils Bartsch, Leiter der Öl- und Gasrecherche bei Urgewald. Doch die Unternehmen hätten genau das Gegenteil vor, 95 Prozent der Öl- und Gasfirmen befänden sich weiter auf Expansionskurs, seien auf der Suche nach neuen Vorkommen oder erschließen sie bereits. Darunter auch Shell sowie andere europäische Konzerne wie Total Energies, BP, Eni, Equinor oder OMV. Viele Milliarden Euro würden in die Ausweitung der Geschäfte fließen, berichtet Urgewald.

Ein Gerichtsurteil verringert nicht die Nachfrage, sagt der Shell-Boss

Die größten Förderer fossiler Brennstoffe sind demnach Staatsfirmen aus Saudi-Arabien, Iran, Russland und China, gefolgt von den US-Konzernen Exxon Mobil und Chevron. Shell kommt als Nummer zehn.

Geschäftsführer Sawan ist da auf Linie des aserbaidschanischen Präsidenten Alijew: „Ein Gerichtsurteil würde die Gesamtnachfrage der Kunden nach Produkten wie Benzin und Diesel für Autos oder nach Gas zum Heizen und zur Stromversorgung von Häusern und Unternehmen nicht verringern.“ Wenn es Shell nicht macht, dann eben ein anderes Unternehmen. Dieser Argumentation ist das Gericht in den Haag gefolgt.

Und was ist mit der Erderwärmung? Nach Alijew trat António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, auf das Podium. Er verwies auf das große Leid, das Extremwetter und Naturkatastrophen verursachten. Doch es gebe auch Hoffnung, sagte Guterres, denn vor einem Jahr bei der Konferenz in Dubai hätten die Länder schließlich erstmals vereinbart, sich von Öl, Gas und auch Kohle zu verabschieden. „Es ist Zeit zu liefern“, sagte er, „die Menschheit steht hinter Ihnen.“

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