Cop29 in Baku:Das „Jetzt erst recht“ der Klimaschützer

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Die deutsche Aktivistin Luisa Neubauer führt auf dem UN-Klimagipfel COP29 eine Demonstration gegen fossile Brennstoffe an. (Foto: Peter Dejong/dpa)

1773 Fossil-Lobbyisten, eine deutsche Delegation ohne Mandat, der drohende Schatten des Klimagegners Trump – es zieht ein Sturm auf über der Weltklimakonferenz. Doch die Willigen wollen sich wehren. Und manche fühlen sich gar wie befreit.

Von Thomas Hummel, Baku

„Deutschland und Kanzler Olaf Scholz freuen sich sehr, Teil dieser Erklärung zu sein“, sagte Jennifer Morgan. Die Chefverhandlerin aus dem grün geführten Bundesaußenministerium durfte in Baku wieder dort sitzen, wo sie sich sieht: in einer Reihe mit Ländern, die so schnell wie möglich das Problem Erderwärmung lösen wollen. Dass Deutschland auf Weltklimakonferenzen bei der „High Ambition Coalition“ mitmacht, galt jahrelang als Selbstverständlichkeit. Nur 2023 nicht, da fehlte die Unterschrift des Kanzlers. Aber jetzt ist ja diese FDP weg.

Man könnte meinen, die deutsche Delegation in Aserbaidschans Hauptstadt müsste gehemmt sein. Gebremst. Schließlich hat ihre Bundesregierung zu Hause keine Mehrheit mehr im Parlament. Was sie hier zusagt oder bespricht, könnte eine nächste Regierung bald rückgängig machen. Doch das Gegenteil ist der Fall. Ein Gefühl der Befreiung geht um bei den Deutschen.

Nichts Konkretes, was den Bundeshaushalt betrifft. Aber doch ein Zeichen in die Welt

„Wir haben die Komplexität in der Bundesregierung reduziert“, sagte Jochen Flasbarth, Staatssekretär im SPD-Bundesentwicklungsministerium und mit Morgan an der Spitze des Verhandlungsteams. Deshalb könne man nun wieder Erklärungen wie die der High Ambition Coalition unterstützen. Darin steht etwa, dass die Treibhausgasemissionen schnell runter und die Finanzströme in die Entwicklungsländer erhöht werden sollen. Nichts Konkretes, was einen Bundeshaushalt betreffen würde. Aber eben doch ein Zeichen in die Welt. Die FDP wollte da nicht mitgehen. Die Vertreter aus SPD und Grünen indes glauben, dass dieses Zeichen sehr nötig ist.

Es ist eine Art trotziger Jetzt-erst-recht-Haltung, die fester Teil dieser 29. Weltklimakonferenz ist. Neben Sorge und Verzweiflung, denn es gibt die anderen Zeichen, die überall hindeuten, nur nicht in Richtung entschiedener Maßnahmen gegen die Erderwärmung. Kaum einer rechnet damit, dass die neue US-Regierung im Pariser Klimaabkommen bleiben wird. Und Donald Trumps Wind weht auch in puncto Stilfragen bis nach Aserbaidschan. Der Ton klingt bisweilen rau. Die Scham, eigene Interessen über die eines globalen Klimaschutzziels zu stellen, ist bei manchen weg.

Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew fand, niemand solle dafür kritisiert werden, wenn er Öl und Gas verkaufe. Der erstmals bei einer Klimakonferenz auftretende ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán sagte, man müsse „die Nutzung von Erdgas, Erdöl und Kernenergie beibehalten“. Dass im vergangenen Jahr in Dubai die Abkehr von Öl, Gas und Kohle beschlossen wurde, weil es sonst keine Chance gibt, den Temperaturanstieg zu stoppen? Egal.

Die argentinische Delegation ist schon wieder abgereist

Orbán sagte auch, dass „wir in diesem Prozess nicht unsere Industrie oder Landwirtschaft opfern können“. Ähnlich äußerte sich die Italienerin Giorgia Meloni: Es gebe keine Alternative zu fossilen Brennstoffen, außerdem müsse man die Produktivität der Wirtschaft und die eigenen Sozialsysteme im Blick behalten, sagte die Ministerpräsidentin. Der libertäre Präsident Argentiniens, Javier Milei, ließ seine Delegation nach drei Tagen gleich ganz abreisen. Dafür sollen sich mehr als 1773 Lobbyisten für fossile Brennstoffe auf der Konferenz tummeln. Auf diese Zahl kam „Kick Big Polluters Out“, eine Koalition von mehr als 450 Klimaschutzorganisationen, nach Durchsicht der Akkreditierungslisten. Darunter 132 Topmanager aus der Öl-, Gas- und Kohleindustrie.

Es zieht ein Sturm auf über dem Klimaschutzprozess der Vereinten Nationen, der das gesamte Gebilde mächtig zum Wackeln bringen dürfte. Das Klimathema muss dabei auch herhalten für ein schärfer werdendes Tauziehen zwischen denen, die sich national abschotten, und Freunden zwischenstaatlicher Kooperation. Doch drinnen in den meist fensterlosen Zelten und Hallen von Baku machen viele erst einmal weiter. Und versichern einander, das Haus werde auch diesen Orkan überstehen.

Was machen Briten, Brasilianer, Chinesen – und die amerikanischen Anti-Trumps?

Denn es gibt auch diejenigen, die es stabilisieren wollen. Zum Beispiel die Briten. Der neue Premier Keir Starmer reichte einen nationalen Plan ein mit einem eindrücklichen Minus von 81 Prozent Treibhausgasemissionen bis 2035 im Vergleich zu 1990. Das Brasilien von Präsident Lula schreitet voran als Ausrichter der nächsten Konferenz 2025. Und China macht bislang eher den Eindruck, die Trump-Lücke dazu nutzen zu wollen, sich bei den Entwicklungsländern als Partner anzubieten. Denn die sind schwer verärgert. „Wir sind hier, um das Pariser Abkommen zu verteidigen“, zischte ein Vertreter der kleinen Inselstaaten, denn steigende Meeresspiegel und Extremstürme bedrohten ihr Überleben. Er forderte: „Beschützt Leben, nicht die Profite der fossilen Industrie.“

Unterstützt werden sie von den anderen Amerikanern, den Anti-Trumps. Auch sie sind in Baku. Die Organisation „America Is All In“ vereinigt neun Bundesstaaten, mehr als 350 Landkreise und Städte sowie mehrere Tausend Unternehmen und wissenschaftliche Institute, die trotz des aufziehenden Sturms in Washington Klimaschutz machen wollen. Gegründet 2017 während dessen erster Präsidentschaft, ist sie heute wieder gefragt. Ihre größte Hoffnung liegt auf dem Inflation Redaction Act (IRA), einem Subventionsprogramm der alten Biden-Regierung für grüne Technologien wie Batterien, E-Autos, Wärmepumpen und Wasserstoff, das bereits seine Wirkung entfaltet hat.

„Wir haben die Kraft, diese Technologierevolution fortzuführen“, rief Jay Inslee, demokratischer Gouverneur des Staates Washington, in einem emotionalen Auftritt in den Saal. Der IRA habe so viele Jobs geschaffen in den USA, auch in Staaten, die von Republikanern regiert werden. Donald Trump werde nun versuchen, die Pausentaste zu drücken, „aber er wird scheitern“, sagte Inslee.

Ein starkes Argument für erneuerbare Energien: der Preis

Es klingt nach Durchhalteparolen – ein bisschen wie bei der deutschen Bundesregierung ohne Mehrheit. Für die kommende Woche sind Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck in Baku angekündigt, auch die beiden Grünen-Politiker dürften Zuversicht verbreiten und dafür werben, den Klimaschutzprozess am Leben zu halten. Gepaart mit dem Versuch, den Bremsern und Skeptikern dieser Welt mit Argumenten zu kommen.

Jochen Flasbarth zum Beispiel wirkt trotz der innen- und außenpolitischen Wetterlage erstaunlich selbstbewusst. Der 62-jährige Veteran auf Klimakonferenzen glaubt fest daran, dass auch eine neue Bundesregierung die internationalen Finanzzusagen einer Kanzlerin Merkel (CDU) und eines Kanzlers Scholz (SPD) einhalten werde. Im vergangenen Jahr waren das etwa sechs Milliarden Euro. Und angesichts der inzwischen sehr billigen erneuerbaren Energien sei „die fossile Welt mausetot“, sie habe ökonomisch nur noch eine kurze Lebenszeit vor sich.

Deshalb müsse man die Rhetorik einiger Teilnehmer von dem trennen, was auf der Welt wirklich passiere, auch den schrecklichen Folgen des Klimawandels könne man sich nicht entziehen, findet Flasbarth. Im Hinblick auf an die USA erinnerte er deshalb an einen Spruch des früheren SPD-Politikers Herbert Wehner: „Wer rausgeht, muss auch wieder reinkommen.“

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