Süddeutsche Zeitung

Weltklimagipfel in Paris:Die Mission der Klimaschützerin Merkel

Als Umweltministerin leitete sie 1995 die erste UN-Klimakonferenz. Das Thema hat sie nicht mehr losgelassen. War sie konsequent genug?

Von Michael Bauchmüller, Berlin

Die Erwartungen sind gering zu Beginn der Klimakonferenz. Viele Staaten nehmen die Erderwärmung ernst, wollen etwas unternehmen. Aber was sie tun sollen, dafür gibt es kein Vorbild. Es gibt guten Willen, aber noch keinen Weg. Und die Frau, die daraus etwas machen soll, ist eine große Unbekannte, ein Niemand auf dem internationalen Parkett. Die Unbekannte heißt Angela Merkel. So ist die Lage im Frühjahr 1995, bei der Vorläuferin aller Klimakonferenzen.

Im wiedervereinigten Berlin findet sich damals die Welt zur ersten "Conference of the Parties" zusammen, kurz COP 1. Die Verhandlungen sind noch überschaubar, ein paar Hundert Diplomaten, ein paar Hundert Beobachter. Verhandelt wird im Internationalen Congress Centrum neben der Stadtautobahn. Am Eingang hat Greenpeace Plakate aufgehängt, Politiker mit Pinocchio-Nasen. Es soll damals schon an gebrochene Versprechen erinnern. Ansonsten hält sich der Trubel in Grenzen.

Angela Merkel ist zu diesem Zeitpunkt seit vier Monaten Bundesumweltministerin und damit qua Amt die Präsidentin der Konferenz von 1995. Es ist ihre erste große Begegnung mit dem Klimaschutz, aber weiß Gott nicht die letzte. Das Thema wird sie, von einigen Flauten mal abgesehen, nicht mehr loslassen.

Wenn sie an diesem Montag in Paris spricht, so wie die Staats- und Regierungschefs von 150 anderen Staaten auch, dann knüpft das an jene Tage vor 20 Jahren an, in denen alles begann.

"Sie wusste, dass die Konferenz ihre große Chance ist"

Mitte der Neunziger folgt Merkel auf den präsenten Umweltminister Klaus Töpfer, auch er von der CDU. Töpfer hat die Klimakonferenz nach Berlin geholt, am liebsten würde er sie auch leiten. Doch nach der Wahl 1994 ist er Bauminister, die bisherige Ministerin für Frauen und Jugend übernimmt. "Sie wusste, dass die Konferenz ihre große Chance ist", erinnert sich heute Erhard Jauck, damals ihr Staatssekretär: "Am Ende war es ihr Durchbruch."

Der Kanzler lässt ihr allen Raum dazu, auch aus Desinteresse. Helmut Kohl geht es um das Renommee des vereinigten Deutschland, weniger um das Klimaproblem. "Kohls Hauptziel war, dass die Bundesrepublik gut dasteht", erzählt heute einer seiner Beamten von damals. "Alles andere war ihm egal."

Die Präsidentschaft einer solchen Klimakonferenz - jene Aufgabe, die jetzt in Paris Außenminister Laurent Fabius hat - hat großen Einfluss auf Erfolg und Misserfolg. Präsidentinnen und Präsidenten können zwischen Positionen vermitteln, Kompromissformulierungen aushecken oder die Diplomaten am Ende der Konferenz zu einer Einigung treiben. Doch bei der COP 1 ist Merkel Pionierin auf diesem Gebiet. "Sie hat sich vom ersten Tag in die Verhandlungen eingeschaltet, auch auf Arbeitsebene", sagt Jauck. "Das hat ihr viel Vertrauen eingebracht."

Merkel spricht damals schon verhältnismäßig gut Englisch, das erleichtert die Verhandlungen. Am Ende steht das drei Seiten kurze "Berliner Mandat", es öffnet den Weg für Verhandlungen über den ersten großen Klimavertrag, das Kyoto-Protokoll. Zwei Jahre später wird es in der japanischen Stadt verabschiedet, wenngleich mit einem Erbfehler, der schon in Berlin angelegt war: Aufstrebende Schwellenländer wie China waren ausdrücklich von allen Verpflichtungen ausgenommen, allein Industrieländer sollten die Erderwärmung bremsen. Mit Verweis auf diese Ungleichheit ziehen sich später die USA vom Kyoto-Protokoll zurück. Am Ende umfasst der Klimavertrag, der in Berlin seinen Anfang nahm, nur noch zwölf Prozent aller Emissionen. Er bleibt ein Torso.

Nach ihrer Zeit als Umweltministerin wird es still um die Klimaschützerin Merkel. Im Regierungsprogramm der Kanzlerkandidatin Merkel findet der Klimaschutz 2005 vor allem im Zusammenhang mit dem, so heißt es dort, "verheerenden" Ausstieg aus der CO₂-armen Atomenergie Eingang, eine andere Großbaustelle der Merkelschen Kanzlerschaft.

Nach der Konferenz in Kopenhagen fällt der Klimaschutz in ein Wachkoma

Ihre Klimapolitik verlegt die neue Kanzlerin auf andere Zirkel: nach Brüssel und in den Industrieländer-Club G 7. In der EU wirbt sie für neue Klimaziele, 2007 presst sie US-Präsident George W. Bush - dem, der das Kyoto-Protokoll verließ - beim G-7-Treff in Heiligendamm ein zartes Bekenntnis zum Kampf gegen die Erderwärmung ab. Wenige Monate später machen die USA, es ist die COP 13, den Weg frei für neue Verhandlungen.

Die wiederum enden zwei Jahre später, genauer: bei der Cop 15, im Fiasko von Kopenhagen. Kurz vor Konferenzende verlangt Merkel in ihrer Rede Zugeständnisse der Schwellenländer, warnt vor einem Scheitern: "Das wird ein schreckliches Signal für alle sein, die unserer Welt im 21. Jahrhundert eine Zukunft geben wollen." Genau das wird es: ein schreckliches Signal. Für Jahre fällt der Klimaschutz danach in eine Art Wachkoma.

"Merkel agiert wie eine Klima-Schläferin", sagt Christoph Bals, der als Klimaexperte bei Germanwatch schon die Arbeit der jungen Ministerin verfolgte. "Immer wieder taucht sie ab, drückt sich vor wichtigen Entscheidungen. Dann ist sie plötzlich wieder da."

In Elmau etwa, beim G-7-Gipfel in diesem Sommer, macht sie den Abschied von fossilen Rohstoffen zu einem Leitthema, die "Dekarbonisierung". Anschließend reist sie nach Brasilien, Indien, China - lauter Schwellenländer, die 1995 noch wenig CO₂ verursachten und heute viel, die endlich mitmachen sollen. Diplomatie zur Vorbereitung, es ist Merkels Beitrag zur Pariser Klimakonferenz - der COP 21. Es ist Merkels Beitrag zu ihrer eigenen Mission.

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SZ vom 30.11.2015/pamu
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