UN-Bericht:Weltbevölkerung wächst - aber immer langsamer

UN-Bericht: Menschen im indischen Mumbai gehen dichtgedrängt auf einem Wochenmarkt einkaufen.

Menschen im indischen Mumbai gehen dichtgedrängt auf einem Wochenmarkt einkaufen.

(Foto: Ashish Vaishnav/dpa)

Noch in diesem Jahr wird die Acht-Milliarden-Marke erreicht, die Wachstumsrate sinkt auf unter ein Prozent. Welche Chancen das birgt und wie die Lage in den bevölkerungsreichsten Regionen der Welt ist - ein Überblick.

Die Zahl der Menschen auf der Erde wächst einem neuen UN-Bericht zufolge immer langsamer. "Im Jahr 2020 ist die Wachstumsrate der Weltbevölkerung erstmals seit 1950 auf unter ein Prozent pro Jahr gesunken", teilten die Vereinten Nationen zu einem neuen Bericht mit, der der Deutschen Presse-Agentur vorab vorlag. An diesem Montag wird der Weltbevölkerungstag begangen.

Für John Wilmoth, Direktor der UN-Bevölkerungsabteilung, stecken in dieser globalen Entwicklung - trotz aller regionalen Unterschiede - viele Chancen vor allem für Entwicklungsländer. Dies gelte neben der Bekämpfung von Armut und Hunger vor allem für das Thema Bildung: Weniger Nachwuchs erhöhe die Aufmerksamkeit pro Kind. "Wenn die durchschnittliche Familiengröße sinkt, wird es sowohl Familien als auch Gesellschaften möglich, mehr in jedes Kind zu investieren, die Qualität der Bildung zu verbessern und das Humankapital der Bevölkerung zu entwickeln", sagte Wilmoth der Deutschen Presse-Agentur.

Kehrseite niedrigerer Geburtenraten sei es jedoch, dass die Bevölkerung insgesamt älter werde und ein größerer Anteil in ein Alter komme, in dem er auf Hilfe angewiesen sei, erklärte Wilmoth. Das gelte insbesondere, weil auch die durchschnittliche Lebenserwartung zunehmen wird: Nach UN-Schätzungen von 72,8 Jahren im Jahr 2019 auf 77,2 in 2050.

Nichtsdestotrotz erwarten die UN, dass die Weltbevölkerung die Marke von acht Milliarden Menschen noch in diesem Jahr knackt - voraussichtlich ungefähr am 15. November. Für 2030 sagen die Forscher 8,5 Milliarden Menschen auf dem Planeten voraus, für 2050 9,7, bevor es 2080 eine Spitze von 10,4 Milliarden Menschen geben soll, die den Schätzungen zufolge bis etwa 2100 hält.

So ist die Lage in den Regionen mit den meisten Bewohnern:

China: Das (noch) bevölkerungsreichste Land der Welt steht vor gewaltigen Herausforderungen. Allein im vergangenen Jahr wurden in der Volksrepublik zwar mehr als zehn Millionen Babys geboren. Die Zahl klingt gewaltig, ist aber zu niedrig, um die Bevölkerung von 1,4 Milliarden Menschen langfristig stabil zu halten. China altert rasant, da sich die Auswirkungen der über Jahrzehnte verfolgten Ein-Kind-Politik immer bemerkbarer machen. Die Aufhebung der umstrittenen Beschränkung hatte 2016 nur kurzzeitig zu einem leichten Anstieg der Geburten geführt. Doch ist die Zahl seither jedes Jahr weiter gefallen.

Experten begründen die geringe Zahl neuer Geburten damit, dass Paare, die in der Regel selbst als Einzelkinder aufgewachsen sind, es als normal empfinden würden, nur ein Kind zu bekommen. Auch werden hohe Kosten für Wohnraum, Ausbildung und Gesundheit sowie die schwindende Bereitschaft zur Heirat als Gründe für die niedrige Geburtenrate angeführt. Laut Vorhersagen dürfte das Milliardenvolk in einigen Jahren anfangen zu schrumpfen.

Indien: Das Land in Südasien ist offiziell das zweitbevölkerungsreichste Land der Welt, mehr als 1,3 Milliarden Menschen leben dort - etwa ein Sechstel der Menschheit. Noch dürfte die relativ junge indische Bevölkerung weiter wachsen und China laut neuem UN-Bericht 2023 überholen. Aber auch in Indien geht die Geburtenrate zurück: Seit einiger Zeit haben Inderinnen nach offiziellen Zahlen im Schnitt nur noch zwei Kinder in ihrem Leben - etwa zehn Prozent weniger als bei vergleichbaren Zahlen fünf Jahre davor und weniger als die für eine stabile Bevölkerung nötige Reproduktionsrate von 2,1.

Laut Bericht nutzen inzwischen rund zwei Drittel der Paare Verhütungsmittel, während dies vor fünf Jahren erst jedes zweite Paar tat. Da die Bevölkerung noch sehr jung ist, wird sie trotz niedrigerer Geburtenzahlen noch weiter wachsen, sagen Experten. Noch in den 1960er-Jahren gebar eine Frau in Indien im Schnitt etwa sechs Kinder. Viele befürchteten eine explosionsartige Bevölkerungsentwicklung und dadurch unter anderem Probleme bei der Nahrungsproduktion.

Afrika: Kein Erdteil wird auf absehbare Zeit so wachsen wie das in weiten Teilen unterentwickelte Afrika. Etwa 1,4 Milliarden Menschen leben nach Angaben der Deutschen Stiftung Weltbevölkerung derzeit auf dem Kontinent. Und es werden immer mehr: Bis 2050 wird sich die Bevölkerung auf rund 2,5 Milliarden erhöhen. Bis zum Ende des Jahrhunderts werden etwa dreimal so viele Menschen in Afrika leben wie heute, knapp 4,3 Milliarden - etwa 40 Prozent der Weltbevölkerung.

Die Staaten mit dem rasantesten Anstieg sind vor allem zehn Länder, aus denen 2050 mehr als die Hälfte aller neugeborenen Menschen stammen werden: Nigeria, Äthiopien, Ägypten, Demokratische Republik Kongo, Tansania, Südafrika, Kenia, Uganda, Algerien und Sudan. Doch auch auf Afrika wird der globale Trend eines verlangsamten Wachstums durchschlagen, die Wachstumsrate bei der Bevölkerung wird für 2100 auf 0,6 Prozent geschätzt.

Der Ausblick: Der Vorhersage nach werden in diesem Jahrhundert immer mehr einkommensstarke Länder - wie heute bereits Japan - in eine negative Bevölkerungsentwicklung abrutschen. Für eine stabile Wachstumsrate wären Länder wie Deutschland auf Migration angewiesen. Die UN raten im Bericht: "Alle Länder, unabhängig davon, ob sie einen Nettozustrom oder -abzug von Migranten verzeichnen, sollten Schritte unternehmen, um eine geordnete, sichere, reguläre und verantwortungsvolle Migration zu erleichtern."

Die Vereinten Nationen schauen in ihrem Ausblick bewusst bis ins Jahr 2100. Nach derzeitiger Prognose wird dieses Jahr ein besonderer Wendepunkt in der Weltgeschichte: Die Gesamtbevölkerung soll dann schrumpfen. Experte Wilmoth zufolge sind die Informationen über eine Entwicklung in 80 Jahren jedoch mit Vorsicht zu genießen. "Für die nächsten 30 oder 40 Jahre wissen wir ziemlich genau, was mit der Bevölkerung der einzelnen Länder und weltweit passieren wird. Aber darüber hinaus fängt man an, zwei oder drei Generationen in die Zukunft zu blicken. In diesem Zeitrahmen gibt es viel mehr Unsicherheit."

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