Weißrusslands Rolle als Friedensmittler:Wenn Lukaschenko flirtet

Weißrusslands Rolle als Friedensmittler: Weißrusslands Präsident Lukaschenko bei einer Pressekonferenz in Minsk Ende Januar.

Weißrusslands Präsident Lukaschenko bei einer Pressekonferenz in Minsk Ende Januar.

(Foto: AFP)
  • In Minsk wollen Deutschland, Frankreich, Russland und die Ukraine über die schwere Krise im Donbass verhandeln.
  • Gastgeber Lukaschenko will sich im November ein weiteres Mal zum Präsidenten wählen lassen. Minsk als Ort, an dem womöglich der Ukraine-Konflikt gelöst wird - eine bessere Werbestrategie lässt sich schwer vorstellen.
  • Als slawischer Bruderstaat und enger Partner Russlands ist Minsk dem Kreml sehr genehm. Doch auch für die Europäer hat Minsk einen Sinn.
  • Die Wirtschaftslage in Weißrussland ist schwierig. Die Abhängigkeit vom russischen Nachbarn hat das Land mit Wucht erfasst.

Von Frank Nienhuysen

Alexander Lukaschenko weiß, wie sich Sanktionen anfühlen. Er war schon lange nicht mehr in Europas Westen. Aber Europas Westen kommt jetzt zu ihm. Die Welt wird an diesem Mittwoch nach Minsk starren, und mittendrin wird dieser großgewachsene Gastgeber mit Schnauzbart stehen, der eigentlich als Europas größter Paria gilt.

Lukaschenko wird Bundeskanzlerin Angela Merkel die Hand reichen und auch dem französischen Staatschef François Hollande. Wladimir Putin und Petro Poroschenko sowieso. An Minsk sind große Hoffnungen geknüpft: Wann hatte die weißrussische Hauptstadt für Berlin oder Paris einen derartigen Symbolwert? Und auch Minsk selbst setzt sehr auf Minsk.

Für den seit 21 Jahren dauerherrschenden Regenten Lukaschenko birgt das Vierertreffen eine große Chance. Wie auch immer das Ergebnis sein wird, es wird genügend Filmmaterial geben, mit dem sich eine hübsche Collage für das weißrussische Staatsfernsehen anfertigen lässt. Lukaschenko am Rande epochaler Friedensgespräche, aber die heimischen Kameraleute dürften ihn wohl ein wenig mehr ins Zentrum rücken - eine Symbolik, die gleich doppelt zählt. Im November will sich Lukaschenko ein weiteres Mal zum Präsidenten wählen lassen. Die Wirtschaftslage in Weißrussland ist schwierig, der rechte Moment also, aus der europäischen Isolation allmählich herauszukommen, einen neuen Gesprächsfaden zum Westen zu knüpfen und diese Botschaft sogleich der eigenen Bevölkerung zu vermitteln.

Sinn für Europas Westen und Putin

Minsk als Ort, an dem womöglich der Ukraine-Konflikt gelöst wird - eine bessere Werbestrategie lässt sich schwer vorstellen. Dass für die Gespräche ausgerechnet Weißrussland ausgewählt wurde, hat gute Gründe: Als slawischer Bruderstaat und enger Partner Russlands ist Minsk zum einen für den Kreml sehr genehm. Als Wladimir Putin dieser Tage in Sotschi mit Lukaschenko über das angestrebte Treffen sprach und ihn bat, als Gastgeber zu helfen, sagte dieser: "Machen Sie sich keine Sorgen, wir organisieren alles." Er habe schon bei den bisherigen Minsker Treffen der Kontaktgruppe "alles so gemacht, wie Sie es gewünscht haben".

Doch auch für die Europäer hat Minsk als Ort einen Sinn. Seit Beginn des Ukraine-Konflikts hat Weißrussland seinen ukrainischen Nachbarn immer wieder unterstützt. Lukaschenko hat sofort die Wahl von Präsident Poroschenko anerkannt, zu ihm ein gutes Verhältnis entwickelt und stets die Einheit des ukrainischen Staatsgebiets betont. Vor allem im Verhältnis zu Russland hält Minsk die Zeit für gekommen, eine gewisse Flexibilität und Eigenständigkeit zu erreichen.

Weißrusslands Wirtschaft in der Krise

Die Abhängigkeit vom großen Nachbarn hat Weißrusslands Wirtschaft mit Wucht erfasst: Mehr als 40 Prozent der weißrussischen Exporte gehen nach Russland. Als dort die Wirtschaft in die Krise geriet, steckte dies auch den Nachbarn an. Weißrussland verarbeitet unter anderem Öl weiter, das in Russland gefördert wird. Der weißrussische Rubel hat im vergangenen Jahr etwa die Hälfte seines Wertes verloren.

Vor wenigen Wochen wechselte Lukaschenko die Regierung aus. Den neuen Ministerpräsidenten Andrej Kobjakow zitierte die regierungskritische Zeitung Nascha Niwa am Wochenende mit zweifelnden Worten gegenüber der von Russland angeführten Eurasischen Wirtschaftsunion. Minsk interessiere vor allem, warum Russland eigentlich die Einfuhr von Obst und Gemüse aus der Europäischen Union verboten hat. Es stört sich daran, dass Moskau im Dezember die Warenkontrollen an der Grenze wieder eingeführt hat, weil es Weißrussland verdächtigte, Lebensmittel aus der EU umzuetikettieren und nach Russland zu bringen.

Lettland will Lukaschenko nach Riga einladen

Minsk braucht Spielraum und kokettiert nun nach allen Seiten. Man orientiere sich "augenblicklich etwas mehr nach Osten und ein bisschen weniger in andere Richtungen", sagte lakonisch Außenminister Wladimir Makej nach einem Bericht von telegraf.by. Im Westen zeigt dies Wirkung. Lettland, das derzeit den EU-Ratsvorsitz hat, kann sich angeblich sogar vorstellen, den autoritären Lukaschenko im Mai zum Treffen der östlichen EU-Partnerschaft nach Riga einzuladen. Das wäre ein politischer Flirt auf offener Bühne.

Brüssel hat allerdings auch reichlich Grund, Lukaschenko zutiefst zu misstrauen. Die Kontrolle über das Internet ist zuletzt verstärkt worden, und Appeasement hatte es ja auch vor der letzten Präsidentenwahl gegeben. Damals war Guido Westerwelle als erster deutscher Außenminister seit 15 Jahren im Minsker Präsidentenpalast zu Besuch. Es war wenige Wochen vor der Wahl, und Lukaschenko versprach eine Abstimmung, die "höchsten demokratischen Ansprüchen" genügen werde. Nach der Wahl ließ er alle Gegenkandidaten festnehmen - der Beginn einer düsteren Epoche.

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