Weißrussland:Signale nach allen Seiten

Weißrussland: Ein Soldat der belarussischen Armee gibt in einem Wahllokal in Minsk seinen Stimmzettel für die Parlamentswahl am Sonntag ab.

Ein Soldat der belarussischen Armee gibt in einem Wahllokal in Minsk seinen Stimmzettel für die Parlamentswahl am Sonntag ab.

(Foto: Sergei Grits/AP)

Am Sonntag wird ein Parlament gewählt. Spannender ist für viele, wie sich das Verhältnis zu Russland und der EU entwickelt.

Von Frank Nienhuysen, München/Minsk

Wie sehr die Wünsche von Präsident Alexander Lukaschenko in das weißrussische Parlament fließen, wird sich bei der Wahl an diesem Sonntag erweisen. Lukaschenko hatte vor einigen Wochen gesagt, wenn ein Drittel der Abgeordneten Frauen wären, wäre dies "ein stabiles Parlament". Die Männer würden dann "keinen Unsinn machen, nicht springen und nicht rennen - es wäre ihnen peinlich vor den Frauen". Eine dieser Frauen könnte "Miss Belarus 2018" sein, die Schönheitskönigin Maria Wassiljewitsch, die schon bei einem Festball mit dem Präsidenten getanzt hat, ihn bei einem Hockeyspiel begleitet hat und auch bei der Tausendjahrfeier der Stadt Brest.

Wassiljewitsch tritt in einem Stadtteil von Minsk an und will im neuen Parlament ihre Stimme für die junge Generation erheben. Ihr Wahlkreis-Konkurrent Nikolaj Maslowskij, ein Blogger und IT-Spezialist, sagte zwar: "Ruhig, Mascha, ich bin Maslowskij, du wirst nicht Abgeordnete." Doch er könnte sich irren. Dass die 22-Jährige Abgeordnete wird, halten die weißrussischen Medien für sehr wahrscheinlich.

Mehr als 80 Entsandte der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) werden die Parlamentswahl an diesem Sonntag beobachten. Eine Reihe von Oppositionspolitikern darf nicht antreten, Studierende der Technischen Universität klagten nach einem Bericht des Exilsenders Belsat über Druck, dass sie bereits Tage vor dem Sonntag ihre Stimme abgeben sollten. Aber selbst wenn der OSZE-Bericht wieder gravierende Mängel in Sachen demokratische Wahlen auflisten sollte: Für die meisten europäischen Staaten dürfte sich damit nicht viel ändern. Ob sich das Land bewegt, definiert sich auch auf anderen Ebenen. Am Dienstag hat Präsident Lukaschenko erstmals seit dem Abbau der Sanktionen in Österreich ein Land der Europäischen Union besucht. Es gilt als weiterer Schritt einer langsamen Annäherung, die auch der Westen feststellt. Zuletzt einigte sich Minsk mit Brüssel auf ein erleichtertes Visaverfahren, und mit Washington auf die Rückkehr von Botschaftern. Lukaschenko sprach in Wien davon, außenpolitisch gehe es darum, "Brücken zu schlagen zu den wichtigsten geopolitischen Zentren". Ein besseres Verhältnis zur EU und den USA, engere Kontakte, mehr Investitionen, all das spielt in den Minsker Planungen derzeit eine gewichtige Rolle.

"Weißrussland will vermeiden, dass es dominiert wird von Russland. Und deshalb versucht es, in der Außenpolitik eine eigenständigere Rolle zu spielen", sagt Alexander Verschbow, der frühere Nato-Vizegeneralsekretär der Süddeutschen Zeitung. "Aber wegen seiner Geschichte, seiner Geografie und dem Unionsvertrag mit Russland ist sein Spielraum begrenzt."

Wie sich das Verhältnis zum großen Nachbarn Russland entwickelt, bewegt viele Weißrussen derzeit mehr als der Ausgang der Parlamentswahl. Oppositionelle rechnen sich ohnehin keine Chancen aus; bei der vergangenen Wahl hatten es nur zwei Regierungskritiker ins Parlament geschafft. Präsident Lukaschenko betont beinahe bei jedem Auftritt die Souveränität seines Landes. Er lobt die gestärkten Beziehungen zum Westen und kritisiert auffallend häufig Moskau; erst am Donnerstag beklagte er, dass Weißrussland die gemeinsamen Grenzkontrollen um viele Male effizienter ausübe als Russland dies tue. Und der Staatssekretär im Sicherheitsrat, Stanislaw Sas, erzählte dieser Tage vom russischen Vorschlag, einen Luftwaffenstützpunkt in Weißrussland zu bauen. Er machte deutlich, dass sein Land derzeit nicht sonderlich viel davon hält. Seitdem Russland die Krim annektiert hat, ist man vorsichtig geworden. Der Begriff Souveränität hat Konjunktur, die weißrussische Sprache wird gefördert wie noch nie seit Ende der Sowjetunion. Trotz dieser Melange aus Distanz und betonter Eigenständigkeit sind viele Weißrussen beunruhigt wegen der vielen, auch widersprüchlich wirkenden Signale. Vor allem jene junge Menschen, die stärker auf die EU setzen.

Minsk und Moskau schnüren gerade ein großes Paket, das beide Länder stärker zusammenführen dürfte. Vor allem in Russland wird auf eine vertiefte Integration gedrängt. Am 8. Dezember soll in Moskau dazu ein sogenannter Fahrplan unterzeichnet werden. Wohin dieser Fahrplan führt, ist allerdings nicht ganz klar. Im Kern geht es um wirtschaftliche Fragen, unter anderem um ein einheitliches Steuersystem. Die weißrussische Regierung macht deutlich, dass bei all den Verhandlungen mit Moskau die eigenen Interessen entscheidend seien, andernfalls würde das Paket eben nicht unterzeichnet. Kritiker befürchten aber, dass Weißrusslands Zukunft als souveräner Staat auf dem Spiel stehen könnte.

Einige von ihnen haben zu einer Presseveranstaltung geladen. Ein Apartmentblock im Minsker Zentrum: Kleine Schilder mit Pfeilen weisen den verschlungenen Weg über Korridore hinauf in den sechsten Stock. Beinahe versteckt ist der kleine Presseclub. Es gibt ein paar Stühle, bunte Sitzsäcke, und ein paar alternative Ansichten. Andrej Yahorau gehört zur "Kampagne gegen Integration", er sagt, er befürchte, "dass die Integration eine Art Anschluss Weißrusslands an Russland bedeutet" und damit den Verlust "eines großen Teils der Souveränität".

Den Beteuerungen der weißrussischen Führung, gerade dies eben nicht zuzulassen, traut Yahorau nicht. Der Politologe sagt, "wie können wir das glauben, wenn sie nicht die vorläufigen Dokumente offenlegen, die bereits im September unterzeichnet wurden". Ein gemeinsames Steuerrecht mit Russland würde ja schließlich fast alle Bürger und Unternehmer in unserem Land betreffen, sagt er. "Wir wollen es so belassen, wie es ist. Wir haben genug Integration mit Russland."

Vor allem viele Jugendliche hoffen auf mehr Nähe zur EU und dürften künftig die verbilligten Visa nutzen. Andererseits ist allen klar, wie wichtig Russland für das Land ist. Möglichst offen sein nach allen Seiten, damit könnten die meisten Weißrussen leben. Aber diese Frage ist wohl zu grundsätzlich, als dass sie das Parlament entscheidet.

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