Weißrussland:Repression am Tag der Freiheit

Viele Bürger im Land erzürnt ein Dekret von Präsident Lukaschenko. Demonstrationen aber erstickt der im Keim.

Von Julian Hans, Moskau

Weißrussland: Polizisten versperren einer Protestantin in Minsk den Weg.

Polizisten versperren einer Protestantin in Minsk den Weg.

(Foto: Sergei Grits/AP)

Als der "Tag der Freiheit" zu Ende ging, waren 700 Menschen in Haft. Gejagt auf den Straßen der weißrussischen Hauptstadt von Polizisten in Kampfmontur, in fensterlose Gefangenenbusse gestoßen und auf Wachen in der Stadt verteilt. Der vergangene Samstag, so hofften Regimegegner, sollte ein neuer Höhepunkt der Protestwelle gegen die Politik von Alexander Lukaschenko werden, einer Protestwelle, die seit Februar im ganzen Land anschwillt. Aber die Frauen und Männer, die es trotz geschlossener U-Bahn-Stationen ins Stadtzentrum geschafft hatten, wurden eingesammelt, bevor die Demonstration überhaupt beginnen konnte.

Sie wollten ihre Wut über ein als "Schmarotzer-Steuer" berüchtigtes Dekret des Präsidenten kundtun, das alle Arbeitsfähigen zu einer Abgabe von umgerechnet 220 Euro verpflichtet, wenn sie weniger als 183 Tage im Jahr einer geregelten Arbeit nachgehen. Die Summe entspricht etwa einem Monatslohn, wegen der Wirtschaftskrise und den niedrigen Löhnen im Land sehen sich viele Menschen dazu gezwungen, sich mit Gelegenheitsjobs durchzuschlagen oder im Ausland zu arbeiten. Etwa 400 000 der knapp zehn Millionen Einwohner sind von dem Gesetz betroffen.

Der Staatschef hatte verlangt, Regimekritiker "wie Rosinen aus dem Kuchen" herauszupicken

Zwar hat Lukaschenko die Vollstreckung vorerst ausgesetzt und das Gesetz dem Kabinett zur Überarbeitung übergeben. Aber auch viele bisher unpolitische Weißrussen empfinden ihre Lage inzwischen als so hoffnungslos, dass sie ihre Angst vor Repressionen vergessen und ihre Verzweiflung auf die Straße tragen.

Die Opposition hoffte, den sozialen Protest der Verzweifelten in einen politischen umzuwandeln. Vor 99 Jahren, am 25. März 1918, hatte eine Volksversammlung erstmals die Unabhängigkeit Weißrusslands erklärt, die allerdings nicht von Dauer war. Seit den 1990er-Jahren begeht die Opposition das Datum als "Tag der Freiheit".

Schon im Vorfeld nahm die Polizei zahlreiche Regimekritiker fest. Lukaschenko hatte verlangt, sie "wie Rosinen aus dem Kuchen" herauszupicken und damit Bilder wie nach den Präsidentschaftswahlen 2010 zu vermeiden, als es zu Zusammenstößen zwischen Polizei und Demonstranten auf offener Straße kam. Danach hatte die Europäische Union Einreiseverbote gegen die weißrussische Führung verhängt.

Spezialeinheiten stürmten am Samstag das Büro der Organisation Wiasna (Frühling) und nahmen etwa 60 Mitarbeiter fest. Sie hatten in den vergangenen Wochen die Protestaktionen im Land beobachtet und dokumentiert. Die Europäische Union verurteilte das Vorgehen der Behörde als unverhältnismäßig und verlangte die umgehende Freilassung aller Festgenommenen. "Die Unterdrückung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit steht im Widerspruch zur Politik der Demokratisierung, zu der sich Weißrussland bekannt hat", hieß es in einer Mitteilung.

Erst vor einem Jahr hatte Brüssel die Sanktionen gegen die Führung in Minsk weitgehend aufgehoben. Die Entscheidung fiel, nachdem die Präsidentschaftswahl im Oktober 2015 zwar weder frei noch fair, jedoch immerhin ohne gewaltsames Vorgehen gegen Oppositionelle abgelaufen war. Zudem hatte Lukaschenko sechs Regimegegner aus der Haft entlassen, deren Freilassung die EU seit Langem gefordert hatte. Seit Russland im März 2014 die ukrainische Halbinsel Krim annektierte, ist auch das Verhältnis zwischen Minsk und Moskau abgekühlt. Alexander Lukaschenko bemüht sich um gute Beziehungen und einen Ausgleich zwischen den beiden großen Nachbarn Ukraine und Russland.

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