Lukaschenko unterdrückt Opposition:"Wie in der Stalin-Zeit"

Seit Mitte Dezember sitzen mehrere Oppositionspolitiker in Weißrussland im Gefängnis. Die Tochter des inhaftierten Dichters Wladimir Nekljajew spricht über Alleinherrscher Lukaschenko, die Fehler der EU und ihre Angst vor dem KGB.

Oliver Das Gupta

Bei der Präsidentschaftswahl am 19. Dezember durften neun Kandidaten gegen den weißrussischen Alleinherrscher Alexander Lukaschenko antreten. Was als Annäherung an die EU interpretiert wurde, erwies sich als Illusion: Am Wahlabend ließ Lukaschenko die Sicherheitskräfte auf Demonstranten einprügeln. Sieben der neun Gegenkandidaten wurden verhaftet und sind bis heute in Haft - darunter auch der 64 Jahre alte Dichter Wladimir Nekljajew (Uładzimier Niaklajeŭ), der schwer am Kopf verletzt wurde. Dem inhaftierten Andrej Sannikow wird verboten, seinen dreijährigen Sohn zu sehen. 600 Personen wurden festgenommen, 24 sitzen noch in Haft. Um auf die Lage in Weißrussland aufmerksam zu machen, reist Nekljajews Tochter mit anderen Oppositionellen momentan durch europäische Hauptstädte. Die 30-jährige Eva Nekljajewa ist keine Politikerin - sie beschäftigt sich eigentlich mit Theater.

Presidential candidate Vladimir Neklyayev lies on a street after he was beaten during a rally in Minsk

Am Abend des 19. Dezember 2010, kurz nachdem die Wahllokale geschlossen wurden, wurde der oppositionelle Präsidentschaftskandidat Wladimir Nekljajew brutal zusammengeschlagen. Seither sitzt er in Minsk im Gefängnis und hat keinen Kontakt zu seiner Familie.

(Foto: REUTERS)

sueddeutsche.de: Frau Nekljajewa, Ihr Vater wurde am Wahlabend von weißrussischen Sicherheitskräften schwer verletzt und festgesetzt. Wie geht es ihm?

Eva Nekljajewa: Wir wissen es nicht. Wir bekommen kaum Informationen - weder über ihn noch über die anderen politischen Gefangenen in Weißrussland. Mein Vater ist nach seiner Festnahme im Gefängnis wegen seines Blutdrucks fast gestorben. Er verlor sein Bewusstsein und hatte möglicherweise einen Schlaganfall.

sueddeutsche.de: Wann haben Sie das letzte Mal von ihm gehört?

Nekljajewa: Die letzte mir bekannte Tatsache ist, dass sein Anwalt am 29. Dezember ins Gefängnis zitiert wurde. Es sollte ein Verhör mit meinem Vater stattfinden. Die Vernehmung wurde abgesagt, weil es meinem Vater gesundheitlich offensichtlich so schlecht ging, dass er nicht sprechen konnte. Die Gebühren wurden uns trotzdem berechnet. Wir Angehörigen der Gefangenen werden vom Geheimdienst KGB "besucht" und man schlägt uns schmutzige Deals vor. Das alles erinnert inzwischen an die Stalin-Zeit.

sueddeutsche.de: Eine Freilassung der Regimekritiker ist nicht zu erwarten: Nun erklärt die Regierung, neben anderen Oppositionellen würde auch Ihrem Vater der Prozess gemacht. Wie soll Europa reagieren?

Nekljajewa: Einig und stark sollte die EU Position beziehen. Wir erwarten, dass die europäischen Länder sämtliche Beziehungen zur weißrussischen Regierung ruhen lassen, bis alle politischen Gefangenen freigelassen werden. Lukaschenkos Diktatur reagiert nur auf Druck.

sueddeutsche.de: Sprechen Sie sich auch für Wirtschaftssanktionen aus?

Nekljajewa: Das wäre ein weiterer Schritt. Aber zunächst sollten sämtliche gemeinsamen ökonomische Programme gestoppt werden, die in irgendeiner Weise Lukaschenkos Regime nutzen. Die Gelder kommen nicht der Bevölkerung zugute, sondern fließen in die Ausbildung und Ausrüstung der Polizei und Sicherheitskräfte. Es profitieren genau diejenigen, die brutal gegen friedliche Bürger vorgehen. Weißrussland ist ohnehin ein Polizeistaat. In keinem anderen europäischen Land ist der Anteil von Polizisten an der Bevölkerung so hoch.

sueddeutsche.de: Die EU versuchte zuletzt mit einer Politik von Wandel durch Annäherung die Verhältnisse in Weißrussland zu verbessern. War diese Strategie ein Fehler?

Nekljajewa: Ich bin keine Politikerin, ich will einen Vergleich aus meinem Berufsfeld machen, dem Theater: Wir haben mit Frauen gearbeitet, die von ihren Ehemännern immer wieder geschlagen worden waren. Diese Frauen glaubten, dass sich ihre Männer ändern würden. Nach dem Motto: Er hat eine schwere Kindheit gehabt, er ist doch eigentlich kein schlechter Mensch, eines Tages erkennt er, was er tut. Die Frauen warteten Jahr um Jahr, bis es irgendwann so schlimm wurde, dass sie zur Polizei gingen.

sueddeutsche.de: Und was geschah dann?

Nekljajewa: Die ersten Fragen der Polizei lauten: 'Warum haben Sie so lange gewartet? Wie konnten Sie ernsthaft glauben, dass ein Mensch friedlich wird, dem Gewalt Spaß macht?' Ähnlich ist die Problematik mit dem Lukaschenko-Regime. Von selbst wird es nicht friedlich und demokratisch.

sueddeutsche.de: Sie halten es also für naiv, dass die Europäer dachten, Lukaschenko würde sich freiwillig ändern?

Nekljajewa: Lukaschenko gefällt es, Menschen weh zu tun, er gibt direkte Befehle, junge Leute und Frauen auf der Straße zu schlagen. Ich frage Sie: Wie kann man glauben, dass sich ein solcher Mensch zum Guten wandelt? Wie kann man als moralischer Politiker mit solch einer Person überhaupt reden?

sueddeutsche.de: Wenn Sie dem Regime die Wandlungsfähigkeit absprechen, was bleibt dann für eine Lösung? Revolution?

Nekljajewa: Eine friedliche Umwälzung wie bei der Orangefarbenen Revolution 2004 in der Ukraine ist bei uns derzeit undenkbar. In Weißrussland liefe das nicht ohne Blutvergießen ab, denn dort gibt es einen repressiven Staatsapparat, der sich nicht scheut, Gewalt einzusetzen. Deshalb: Wir wollen keine Revolution und lehnen Gewalt ab. Wir sind friedliche Menschen und wollen friedlichen Wandel.

Lukaschenkos doppeltes Spiel

sueddeutsche.de: Ein möglicher Schlüssel läge im Kreml: Moskau könnte Druck auf Minsk ausbauen.

Eva Neklyayeva

Sie will auf das Schicksal ihres Vaters und der weißrussischen Opposition aufmerksam machen: Die 30 Jahre alte Eva Nekljajewa.

(Foto: AP)

Nekljajewa: Nicht, solange Lukaschenko sein doppeltes Spiel treiben kann: Mal kümmert sich der Kreml um ihn, damit Weißrussland nicht in Richtung Europa tendiert. Mal neigt er sich den Europäern zu - die hofieren ihn sofort mit Blick auf Russland.

sueddeutsche.de: Dazu müssten sich der Westen und Russland verständigen.

Nekljajewa: Es ist eine Schande! Warum haben all die klugen Politiker dieses durchsichtige Spiel Lukaschenkos nicht schon längst zunichtegemacht? Europa hat die Zügel schleifen lassen, die bisherigen Rezepte waren wirkungslos. Nun sollte man eine völlig neue Weißrussland-Politik beginnen.

sueddeutsche.de: Also: Politik auf die harte Tour?

Nekljajewa: Aber nur, was die Funktionsträger und Handlanger des Regimes angeht, nicht die weißrussische Zivilgesellschaft.

sueddeutsche.de: Welche konkreten Schritte meinen Sie?

Nekljajewa: Zum Beispiel einen Visa-Bann für alle diejenigen, die für die Verfolgung und Drangsalierung der Oppositionellen verantwortlich sind. Es ist auch im Interesse der EU, dass in Berlin, Paris und London keine gefährlichen Menschen herumlaufen, für die es normal ist, Gewalt einzusetzen.

sueddeutsche.de: Wie kann Europa der Bevölkerung in Ihrem Land helfen?

Nekljajewa: Die EU könnte die Einreise von weißrussischen Zivilisten erleichtern, damit die Menschen in Europa studieren können oder einfach sehen, wie das Leben in einer freien und demokratischen Gesellschaft ist. Die Gebühren für ein Schengen-Visum könnten abgeschafft oder auf einen symbolischen Betrag gesenkt werden. Derzeit beträgt der Preis 60 Euro - dabei verdienen die Weißrussen im Schnitt weniger als 300 Euro pro Monat. Polen hat angekündigt, die regimekritischen und zwangsexmatrikulierten weißrussischen Studenten an polnischen Universitäten aufzunehmen. Das wirkte in Minsk: Der Massenrauswurf wurde zurückgenommen.

sueddeutsche.de: Können deutsche Politiker im Besonderen etwas tun?

Nekljajewa: Sogar sehr viel. In der weißrussischen Bevölkerung ist der Eindruck verbreitet, Berlin unterstütze Lukaschenko. Das hat wohl mit der Politik der vergangenen Jahre zu tun, auch mit den erwähnten Programmen. Ich weiß, dass man in Deutschland sehr kritisch über das Regime in Minsk denkt. Deutsche Politiker sollten das laut und deutlich aussprechen. Ich hoffe auch darauf, dass aus Deutschland klare und laute Unterstützung für die politisch Verfolgten kommt.

sueddeutsche.de: Frau Nekljajewa, dieses Interview werden wohl auch die Lukaschenko-Leute lesen. Wann kehren Sie wieder zurück nach Minsk?

Nekljajewa: Das weiß ich nicht. Momentan nicht, dazu bin ich nicht mutig genug.

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