Weissrussland:Brüder, mehr nicht

Weissrussland: Alexander Lukaschenko, 65, regiert in Weißrussland seit einem Vierteljahrhundert ohne echte Opposition. Russland nennt er den wichtigsten Partner, doch das Verhältnis zu seinem Kollegen Putin gilt als angespannt.

Alexander Lukaschenko, 65, regiert in Weißrussland seit einem Vierteljahrhundert ohne echte Opposition. Russland nennt er den wichtigsten Partner, doch das Verhältnis zu seinem Kollegen Putin gilt als angespannt.

(Foto: Darko Vojinovic/AP)

Sie wollen enger kooperieren, doch Präsident Lukaschenko schließt eine Vereinigung mit Russland aus - vorerst.

Von Silke Bigalke, Frank Nienhuysen, Moskau/München

Kurz vor einem Treffen mit Kremlchef Wladimir Putin hat Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko versucht, Sorgen vor einer politischen Vereinigung beider Länder zu zerstreuen. "Falls jemand fürchtet, dass morgen ein gemeinsames Parlament gebildet wird: Davon ist nicht die Rede", sagte Lukaschenko am Donnerstag vor weißrussischen Abgeordneten. "Wir werden uns niemals einem anderen Staat anschließen, auch nicht dem verbrüderten Russland." Er werde nicht den unabhängigen, souveränen Staat aufgeben, den er zusammen mit der weißrussischen Bevölkerung aufgebaut habe, sagte Lukaschenko.

An diesem Samstag wollen Lukaschenko und Putin im russischen Sotschi eine vertiefte Integration vereinbaren. Die Ministerpräsidenten beider Länder arbeiten dafür seit Monaten 31 einzelne Kapitel ab, Details sind bisher nicht bekannt geworden. Die russische Zeitung Kommersant berichtete im September jedoch, dass beide Länder ein wirtschaftliches Bündnis bis 2022 anstreben. Demnach gehören zu den Verhandlungspunkten ein einheitliches Steuersystem, ein gemeinsames Zivilrecht, ein Außenhandelsregime und die Regulierung des Energiemarkts. Ob und wie dies verwirklicht werden soll, ist unklar. Da die russische Wirtschaft fast 30 Mal so groß ist wie die weißrussische, wäre das Ungleichgewicht einer solchen Union groß: Minsk müsste sich in vielen Punkten wohl einfach anpassen, etwa das russische Steuersystem übernehmen.

Seit der Annexion der Krim ist Minsk wieder mehr auf Distanz zu Moskau gegangen

In Weißrussland ist deshalb die Angst gestiegen, dass Lukaschenko sich dem stärker gewordenen Druck aus Moskau beugen könnte und sich auch auf eine politische Union mit Russland einlässt. Vor 20 Jahren hatten Russland, damals angeführt von Boris Jelzin, und Weißrussland einen Vertrag über einen Unionsstaat unterzeichnet, der unter anderem eine gemeinsame Währung, nationale Symbole, einen Ministerrat und ein gemeinsames Parlament vorsieht. Mit Leben gefüllt wurde das bisher allerdings nicht. Das Verhältnis hat sich vielmehr verschlechtert. Seitdem Russland die Krim annektiert hat, ist Lukaschenko auf Distanz gegangen. Die Annexion hat er nicht anerkannt, der Streit über Energielieferungen hat sich verschärft, während Minsk das Verhältnis zur Europäischen Union verbessert hat. Die meisten Sanktionen sind aufgehoben, vor wenigen Wochen besuchte er Österreich, am Dienstag unterstützte er in Belgrad den Wunsch Serbiens für einen EU-Beitritt, der in Moskau mit Argwohn gesehen wird.

Moskau hat vor etwa einem Jahr einen neuen Weg gefunden, Druck auf Minsk auszuüben. Es geht dabei um das sogenannte russische "Steuermanöver": Moskau hat in diesem Jahr begonnen, die Exportzölle für Öl und Gas zu senken und stattdessen die Förderung zu besteuern. Es verlagert die Kosten auf die Abnehmer, etwa in Weißrussland. Minsk aber ist daran gewöhnt, russisches Öl und Gas günstig und zollfrei zu bekommen. Weil es nun deutlich mehr zahlt, hat Lukaschenko Entschädigung von Moskau gefordert. Der Kreml nutzt diesen Hebel: Eine Kompensation will er nur für mehr Integration zahlen, wie sie der alte Unionsvertrag von 1999 vorsieht. Putin stellt Lukaschenko vereinfacht gesagt vor die Wahl zwischen mehr Geld oder mehr Souveränität.

Ein Unionsstaat, so unwahrscheinlich er ist, wird in Moskau auch vor dem Hintergrund diskutiert, dass Putins letzte Amtszeit 2024 endet und er nicht wieder antreten darf. Ein neues Staatsgebilde könnte das Problem womöglich lösen. Es wäre riskant, nicht nur weil eine Union teuer werden könnte für Moskau. Sie dürfte Putin auch keine Beliebtheitspunkte einbringen: Nach einer Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts Vziom halten 48 Prozent der Russen eine Union mit Weißrussland für unnötig und wollen lieber gute nachbarschaftliche Beziehungen. Nur 18 Prozent sind für die Union, 17 Prozent wollen Weißrussland als Region eingliedern.

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