Süddeutsche Zeitung

Türkei:Gründer der Zivilschutzorganisation "Weißhelme" ist tot

Lesezeit: 2 min

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Der Brite James Le Mesurier, bekannt als Gründer der syrischen Zivilschutzorganisation "Weißhelme", ist in Istanbul tot aufgefunden worden. Le Mesuriers Leiche wurde am frühen Montagmorgen vor seinem Haus im zentralen Stadtteil Beyoğlu von Passanten entdeckt. Die Umstände seines Todes seien bislang unbekannt, erklärte das Amt des Gouverneurs von Istanbul und kündigte eine "umfassende Untersuchung" an. Nichts werde ausgeschlossen, weder Selbstmord, noch Mord oder ein Sturz vom Balkon aus dem dritten Stock der Wohnung des Briten.

Die Nachrichtenwebsite Habertürk meldete, der 48-Jährige habe Schnittverletzungen im Gesicht gehabt, Beine und Arme seien gebrochen gewesen. Die Tür zu der Wohnung, in der Le Mesurier seit vier Jahren lebte, sei nur mit einem Fingerabdruck zu öffnen gewesen. Le Mesuriers Ehefrau sagte der Polizei, sie und ihr Mann hätten ein Schlafmittel genommen, sie habe nicht bemerkt, was passiert sei.

Die deutsche Regierung unterstützt die Weißhelme

Der syrische Chef der "Weißhelme", Raed al-Saleh, sagte der britischen Zeitung The Independent: "Wir sind tief betroffen." Die private Zivilschutzorganisation leistete in Syrien humanitäre Hilfe in Gebieten, die nicht unter der Kontrolle der Assad-Regierung standen, was zuletzt immer schwieriger wurde. Die freiwilligen Retter waren nach Bombenangriffen oft als erste zur Stelle. 2016 wurde die Organisation mit dem Alternativen Nobelpreis ausgezeichnet. Le Mesurier organisierte in der Türkei auch die Ausbildung der Helfer.

Die deutsche Regierung unterstützt die "Weißhelme" schon seit Längerem. Das Auswärtige Amt nannte sie "ein Symbol der Hoffnung und Zivilcourage". Die USA hatten erst vor drei Wochen Hilfe in Höhe von 4,5 Millionen Dollar für die Arbeit der rund 3000 Freiwilligen zugesagt und schreiben der Organisation die Rettung von mehr als 115 000 Menschen zu.

Die Weißhelme zogen den Zorn der russischen Regierung auf sich

Bekannt wurden die syrischen Ersthelfer auch durch ihre aktive Öffentlichkeitsarbeit in den sozialen Medien, vor allem aus dem Osten der lange umkämpften Stadt Aleppo. Bei ihren Rettungsaktionen tragen sie Kameras am Körper. Sie dokumentierten dabei immer wieder auch die Brutalität des Assad-Regimes und seit dem aktiven Eingreifen Moskaus in den Krieg auch die seiner russischen Unterstützer. Russische Quellen reagierten darauf mit einer Desinformationskampagne, mit der den "Weißhelmen" unterstellt wurde, sie seien Unterstützer islamistischer Terroristen in Syrien. Erst am vergangenen Freitag beschuldigte das russische Außenministerium per Twitter Le Mesurier persönlich, er sei ein Spion, der auf dem Balkan und im Nahen Osten eingesetzt gewesen sei. Le Mesurier war zwar Ex-Offizier der britischen Streitkräfte. Wie der Guardian 2018 berichtete, hatte er aber lediglich 1999 im Rahmen eines einjährigen Einsatzes bei einer Friedensmission auf dem Balkan eine nachrichtendienstliche Funktion.

Le Mesurier hatte zwar maßgeblichen Anteil an der Gründung der "Weißhelme", er nannte sie aber eine "zu 100 Prozent syrische Organisation", auf die er "unglaublich stolz" sei. In ersten türkischen Reaktionen in sozialen Medien auf seinen Tod hieß es, niemand wisse, wie viele Agenten des syrischen Regimes in der Türkei lebten. Ein Twitter-Nutzer fragte: "Warum sterben kreative, den Frieden liebende Syrer in der Türkei oder werden getötet?" Seit Beginn des syrischen Bürgerkriegs starben in der Türkei bereits mehrere syrische Journalisten unter teils ungeklärten Umständen, in zwei Fällen übernahm der Islamische Staat die Verantwortung für einen Mord.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4676834
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 12.11.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.