Weimarer Republik:Dolch und Blei

SPD - Politikerin Marie Juchacz spricht zum Versailler Vertrag

Die SPD-Abgeordnete Marie Juchacz, eine der ersten Frauen im Parlament, bei einer Ansprache in Berlin.

(Foto: ullstein bild/Robert Sennecke)

Heute vor 100 Jahren wählen in Deutschland erstmals Frauen und Männer frei, geheim und gleich. Doch die Rechten entwickeln ein perfides Instrument, um die Demokratie zu diskreditieren.

Von Robert Probst

Am 6. Februar 1919 hält Friedrich Ebert die Eröffnungsrede der Nationalversammlung, die in Weimar zusammengetreten ist. In einer nüchtern vorgetragenen, von zahllosen Zwischenrufen von links und rechts unterbrochenen Rede erklärt er aller Welt sein Handeln seit dem 9. November und hält fest, was das Reich seither gewonnen hat:

"Das deutsche Volk ist frei, bleibt frei und regiert in aller Zukunft sich selbst." Und er ist froh, nun das Mandat, das die Revolution ihm aufzwang, zurückgeben zu können an den "höchsten und einzigen Souverän in Deutschland".

Nur auf dem "Weg der Gesetzmäßigkeit" ließen sich in Deutschland die notwendigen Veränderungen voranbringen, davon ist der SPD-Vorsitzende überzeugt.

Ebert kann sich bestätigt fühlen. Bei der Wahl zur Nationalversammlung am 19. Januar hat die Mehrheit der Bürger seinen Kurs der vergangenen Wochen bestätigt. 37,9 Prozent der Stimmen für die SPD, stärkste Partei.

Nur 7,6 Prozent für die linke USPD (die KPD verweigert sich der Wahl) - nur wenige wollen also eine proletarische Räteherrschaft oder weitgehende Sozialisierung von Industriezweigen. War es also nicht richtig, den Putschversuch der Linksrevolutionäre Anfang Januar niederzuschlagen?

19,7 Prozent für das Zentrum und 18,6 Prozent für die Deutsche Demokratische Partei (DDP, ehemals Fortschrittliche Volkspartei) - stehen also die bürgerlichen und linksliberalen Gesellschaftsschichten nicht auch hinter der Republik? Und nur etwa 15 Prozent für die konservativen und ultrarechten Parteien - bedeutet das nicht, dass sich auch Bürgertum, Adel, Industriebarone und Großgrundbesitzer langsam mit den neuen Gegebenheiten abfinden?

Und auch der Wahlakt als solcher ist doch ein echter Triumph gewesen. Erstmals in Deutschland: Frauenwahlrecht. Erstmals in Deutschland: Wahlrecht für alle ab 20 Jahren - mit der Folge, dass die Zahl der Wahlberechtigten plötzlich doppelt so hoch ist wie bei der letzten Reichstagswahl 1912.

Erstmals in Deutschland: ein reines Verhältniswahlrecht, um Welten gerechter als das alte preußische Dreiklassenwahlrecht.

Doch der Leiter der provisorischen Reichsregierung ist in der Defensive. Er muss sich rechtfertigen. Ebert fährt fort: "Wir haben den Krieg verloren. Diese Tatsache ist keine Folge der Revolution... Die Revolution lehnt die Verantwortung ab für das Elend, in das die verfehlte Politik der alten Gewalten und der leichtfertige Übermut der Militaristen das deutsche Volk gestürzt haben."

Der Staat, der bald Weimarer Republik heißen wird, ist unter Druck - weiter von links, wie seit Beginn der Revolution, und immer stärker auch von rechts. Die vergleichsweise wenigen Stimmen für die rechten Parteien täuschen. Die alten Eliten, die mit Ausnahme der Fürstenhäuser ihrer Stellungen nicht beraubt wurden, artikulieren immer lauter und aggressiver ihre kategorische Ablehnung der Revolution.

Die traumatische Kriegsniederlage wird in eine einfache Formel gepresst

Denn die Nationalversammlung muss nicht nur über eine Verfassung befinden. Sie hat sich auch auseinanderzusetzen mit den Friedensverhandlungen nach dem Weltkrieg, die zu Jahresbeginn einsetzen und die dem Reich im Sommer einen Vertrag aufzwingen, der von der überwältigenden Mehrheit der Deutschen vehement abgelehnt wird.

Die "Schmach" von Versailles, die Deutschland massive Gebietsabtretungen und Reparationsleistungen in unbeschreiblicher Höhe abfordert und darüber hinaus dem Reich die Alleinschuld für den Krieg aufdrückt, sie lastet wie Blei auf den Politikern in Weimar.

Weimarer Republik - Plakat fuer die Nationalversammlung

Wahlwerbung in den Farben der deutschen Republik.

(Foto: action press)

Und die Rechten haben ein perfides Instrument erdacht, um die Revolution zu diskreditieren: die "Dolchstoßlegende". Demnach sei das deutsche Heer, im Felde unbesiegt, von hinten - also von den Sozialisten - erdolcht worden. Und diese Lüge, befeuert vom Kriegshelden Paul von Hindenburg, entlastet nicht nur Militaristen und Nationalisten.

Ihr Gift wirkt auf Dauer sogar stärker als die Putschversuche von links. Die traumatische Kriegsniederlage wird in eine einfache Formel gepresst. Im Vergleich zur "undurchschaubaren Komplexität des Kriegsgeschehens versprachen die Elemente der ,Dolchstoßlegende' leicht fassbare 'Erklärungen' für das Unerklärliche", schreibt der Historiker Andreas Wirsching. Vom Dolchstoß führt eine Linie zum Schmähwort der "Novemberverbrecher" und zu Attentaten völkischer Verschwörer auf demokratische Politiker.

Der Historiker Robert Gerwarth schildert die Folgen: "Im kollektiven Gedächtnis verschmolzen Revolution, militärische Niederlage und deren unmittelbare Folge - der Versailler Vertrag - allmählich zu einer einzigen Erzählung, in der die Revolution - als Akt des Verrats an den Frontkämpfern - eine vermeintlich unnötige militärische Niederlage zur Folge hatte, und damit waren die Revolutionäre ganz allein für die harten Bedingungen des Pariser Friedensabkommens verantwortlich."

Was die Weimarer Republik erreicht - und wie sie scheitert

Die Akzeptanz der Umwälzungen nimmt immer weiter ab, die allgemeine Unzufriedenheit steigt. Deutschland ist gespalten, die einen wollen mehr Revolution, die anderen zurück zum Obrigkeitsstaat - man wird es bei den Reichstagswahlen 1920 sehen, da hat die Weimarer Koalition aus SPD, Zentrum und DDP keine Mehrheit mehr und wird sie auch nie mehr erreichen.

Und die Unruhen dauern an: Vom Frühjahr 1919 an gibt es weiter Massenstreiks, Arbeiteraufstände, kurzlebige Räterepubliken, staatliche Freikorps-Einsätze mit Hunderten Toten und mehrere Putschversuche von rechts und links. Niemand weiß, was noch alles kommt.

Deutschland: Schuljungen verteilen Wahlflugblaetter fuer die Wahlen zur Nationalversammlung

Neue Zeiten: Schulkinder verteilen Flugblätter vor der Wahl zur Nationalversammlung im Januar 1919.

(Foto: picture alliance / ullstein bild)

Zehn Jahre später hat sich die Republik trotzdem leidlich konsolidiert. Am 6. Februar 1929 spricht Reichstagspräsident Paul Löbe (SPD) über die Zeit seit dem ersten Zusammentreten der Nationalversammlung, und er zählt dabei die Erfolge auf: eine republikanische Staatsform, den Wiederaufbau des Landes in schwerster Zeit, eine freiheitliche Verfassung, die Rettung der Einheit des Reiches und die "Konsolidation der Wirtschaft" in "mühseliger Arbeit".

Man kann das ruhig noch mal in aller Nüchternheit zusammenfassend wiederholen - und auch ergänzen:

  • Der Aufstand ist ursächlich eine Revolution zur Beendigung des Krieges - zwei Tage nach dem 9. November 1918 schweigen die Waffen. Die Revolution stürzt 22 souveräne Fürsten von deutschen Thronen - fast ohne Blutvergießen.
  • Die Revolution bringt Deutschland seine erste Demokratie, und sogar eine besonders fortschrittliche. Das Frauenwahlrecht ist in Europa zu dieser Zeit keineswegs überall selbstverständlich.
  • Die Verfassung verbürgt erstmals die klassischen bürgerlichen Freiheitsrechte, so wie die Revolutionäre von 1848 es erträumt haben. Erstmals werden Frauen staatsbürgerliche Rechte zugestanden.
  • Die Revolution bringt, bei allen Schwächen, den modernen Sozialstaat mit Koalitionsfreiheit, Achtstundentag, Arbeitslosenversicherung und Betriebsrat-Strukturen hervor, wie er auch heute noch existiert.
  • Die Gesellschaft, die seit der Gründung des Kaiserreichs im Obrigkeitsgeist erstarrt war, öffnet sich zumindest in einigen Bereichen der kulturellen Moderne, lässt mehr Teilhabe zu und - in Maßen - auch mehr sexuelle Freiheit.

Und nicht zuletzt hat Friedrich Ebert die Einheit des Reiches bewahrt. Separatistische Bestrebungen im Süden und im Westen sind schon Ende 1918 ein ernstes Problem für die Regierung.

Der Zorn richtet sich vor allem gegen Preußen und die Hauptstadt Berlin, den Hort des Militarismus. Auch mit der Entscheidung, die Nationalversammlung in Weimar tagen zu lassen - außerhalb Preußens, auf halber Strecke zwischen München und Berlin - hat Ebert ein Auseinanderbrechen des Staatsgebildes verhindert.

Paul Löbe fährt 1929 fort: "Wir wissen, dass die schweren Schläge, die unser Land und Volk erlitt, noch nicht verwunden sind, aber wir setzen die Arbeit fort in der Zuversicht, dass das deutsche Volk, politisch gereift, befähigt sein wird, sein Schicksal mit eigenen Händen zu gestalten und unser Land der vollen Freiheit und sozialen Gerechtigkeit zuzuführen."

Das bleibt ein frommer Wunsch. Am 30. Januar 1933 kommt Adolf Hitler legal an die Macht. Dafür gibt es viele Gründe, manche haben mit den Folgen der Revolution zu tun, andere nicht. Aber im Frühjahr 1929 ist die Zukunft des Reiches offen.

Dann verengen sich die Spielräume drastisch mit Beginn der Weltwirtschaftskrise. Mit dem Blick von heute lässt sich Löbes Rede noch hinzufügen: Dass die Demokratie in Deutschland nur 14 Jahre hält, spricht nicht gegen sie. Das aus dem Weltkrieg scheinbar als Sieger hervorgegangene parlamentarisch-demokratische System verliert in Europa schnell an Boden.

In kaum einem der in den Jahren 1918/19 demokratisierten Staaten überdauert die neue Staatsform die 1920er- und 1930er-Jahre. Und: Zwischen 1917 und 1923 finden in Europa knapp 30 politische Revolutionen statt. Anderswo geht es im Allgemeinen gewalttätiger zu, und die Erfolge sind deutlich weniger nachhaltig als in Deutschland.

Weder Revolutionshelden noch Revolutionsmythos

Ja, 1918 bringt weder Revolutionshelden hervor noch einen Revolutionsmythos. Weder die Zeitgenossen noch später die Historiker feiern die Errungenschaften, sie sprechen lieber - je nach Sichtweise - von einer "gescheiterten", "halben", "überflüssigen", "verratenen" "widersprüchlichen" oder der "seltsamsten" Revolution.

Das alles hat vor allem mit Friedrich Ebert zu tun. Als dieser, seit 1919 Reichspräsident - und diffamiert von einer Hasskampagne der Rechten -, im Februar 1925 stirbt, schreibt der pazifistische und sozialistische Publizist Kurt Hiller einen Nachruf in der Weltbühne: "Er handelte stets als Demokrat, das heißt: als ein Mann, für den der Wille der Mehrheit, mag er bedingt sein, wodurch auch immer, mag er enthalten, was er wolle, die Richtschnur des Handelns abgibt; als Sozialist handelte er gerade in den entscheidenden Augenblicken nicht. Pazifistische Revolutionarität, proletarische Revolutionarität waren ihm fremd; sooft er Gelegenheit gehabt hätte, sie zu betätigen, unterstützte er bewusst und mit bestem Gewissen die, die sich ihnen entgegenstemmten."

Das war nicht positiv gemeint. Aber es stimmt. Mit dieser Überzeugung führte Friedrich Ebert Deutschland durch eine Revolution, die er nicht wollte, die zu akzeptieren fast allen gesellschaftlichen Kräften schwerfiel - die ihm und seinen Mitstreitern aber trotz alledem gelungen ist.

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