Süddeutsche Zeitung

Weimarer Republik:Der sozialistische Kapitalist, der die deutsche Politik erschütterte

Der Unternehmer Julius Barmat löste in der Zwischenkriegszeit einen politischen Skandal aus - die rechten Parteien schlachteten den Fall antisemitisch aus, wie ein neues Buch dokumentiert.

Rezension von Rudolf Walther

Den Münchner Historiker Martin H. Geyer interessiert, was aus der Mode gekommen ist - die politisch-moralische und sozial-kulturelle Rückseite des Kapitalismus. Einst verstand man darunter erotisch aufgepeppte Sittengeschichten über Unternehmer-Milieus, Playboys und Morde im Rotlichtmilieu. Den neuesten Pitaval beabsichtige Geyer jedoch nicht vorzulegen.

"Pitaval" verweist auf den französischen Juristen und Autor François Gayot de Pitaval (1673-1743), von dem zwischen 1734 und 1741 eine Sammlung von Verbrechensgeschichten in 18 Bänden erschienen ist. Für eine gekürzte deutsche Ausgabe von 1792/95 schrieb Schiller das Vorwort. Eine deutsche Version unter dem Titel "Der neue Pitaval. Sammlung der internationalen Criminalgeschichten aller Länder aus älterer und neuerer Zeit" übertraf das Original mit 60 Bänden. Sie erschien zwischen 1842 und 1890 bei Brockhaus in Leipzig.

Bei Kriegsausbruch schon fast Millionär

Damit will Geyer nicht konkurrieren, aber doch den Zusammenhang von Kapitalismus, Verbrechen und Korruption in der Weimarer Republik darstellen. Er beschränkt sich in seinem mehr als 500 Seiten starken Buch, das akribisch alle Details ausleuchtet, auf eine einzige Person: Julius Barmat, dessen Name einst in allen Zeitungen zum Synonym für das politische System der Weimarer Republik stand ("Barmat-Republik") und dessen Repräsentanten von recht wie von links - manchmal zu Recht, meistens zu Unrecht - als "Barmatiden" angeschwärzt wurden, obwohl Korruption, entgegen der These Max Webers, immer und überall zum Inventar des vermeintlich "rationalen Wirtschaftens" im Kapitalismus gehörte.

Julius Barmat wurde am 18. Dezember 1890 im jüdischen Siedlungsrayon des Zarenreichs in der Nähe von Kiew geboren. Als Schüler schon soll er einer sozialistischen Organisation angehört haben. Zeitlebens achtete er auf gute Kontakte zu Sozialisten und Sozialdemokraten, vor allem solchen, die Regierungsverantwortung trugen oder Regierenden nahestanden.

1907 kam er als Bankangestellter nach Rotterdam, wo er drei Jahre später die Tochter eines Bankiers heiratete. Nach der Revolution von 1907 wurde er als ehemaliger Untertan des Zaren staatenlos und brachte sich und seine Familie als Übersetzer durch.

Schon 1908 begriff er den Handel als Zugangsportal zu vielerlei, ja allem und gründete eine eigene Handelsgesellschaft für den Export von Tulpen, Klavieren und anderem nach Russland. 1912 stieg er in den Immobilienhandel ein. Bei Kriegsausbruch betrug sein Vermögen bereits stattliche 900 000 Gulden.

Im Krieg entdeckte er den lukrativen Handel mit Lebensmitteln für die Mittelmächte und musste - um britische Sanktionen zu vermeiden - seine Firma umtaufen. Nach dem Krieg verlegte er sich auf den Handel mit allem Möglichen sowie auf Kredit- und Devisengeschäfte und andere korruptionsanfällige Warenschiebereien.

Barmat behielt vielfältige Kontakte - zum deutschen Nachrichtendienst, zu den führenden niederländischen Sozialdemokraten, zu den Bolschewiki, deren Friedensoffensive er begrüßte, zu den deutschen Sozialdemokraten Hugo Haase und Luise Kautsky, die bei Kriegsende in Amsterdam über den Frieden debattierten.

Obwohl Staatenloser, erlangte er 1919 ein zeitlich beschränktes Visum für Deutschland, nachdem er über den Privatsekretär Kontakt zum Reichspräsidenten Friedrich Ebert erhalten und auch den sozialdemokratischen Reichskanzler Gustav Bauer kennengelernt hatte. Barmat ließ seine sechs Geschwister nachkommen, die ihn geschäftlich unterstützten.

Im und nach dem Krieg flohen viele Juden aus dem durch den Krieg verwüsteten und verarmten Osten nach Berlin, wo man parteiübergreifend von einer "Ostjudenplage" sprach. Barmat und seine niederländische Frau erhielten 1922 in Berlin eine Aufenthaltsgenehmigung, ein Jahr später eine unbefristete Niederlassungsbewilligung.

In der Zeit der Hyperinflation kaufte sich Barmat mit geliehenem Geld ein großes Konglomerat an Firmen und Banken zusammen. Die durch die Novemberrevolution an die Macht gelangte SPD und mit ihr die anderen demokratischen Parteien waren nicht nur unbeliebt, sondern gerieten in der Zeit von Hunger und Not während der Inflation in den Verdacht von Korruption, Schiebereien und Günstlingswirtschaft.

Die Rechten schmähten die Weimarer Demokratie als "sozialdemokratische Judenrepublik"

Barmat wurde zur Symbolfigur der Kriegs-, Inflations- und Spekulationsgewinnler vor allem, aber nicht nur, bei völkischen und deutschnationalen Antisemiten, nachdem bekannt geworden war, dass ihm die Preußische Staatsbank 34 Millionen Reichsmark geliehen hatte für seine Geschäfte, die oft jenseits der Grenzen "zwischen Usancen und Schlimmerem" (Thomas Mann) lagen.

Im Dezember 1924 kündigte die Staatsbank die Beziehungen zu Barmat, an Silvester wurde er verhaftet. Sein Konzern war pleite. An Barmat und seinen Geschäften kristallisierten sich nun Kapitalismus- und Demokratiekritik von links und rechts, gemischt mit Antisemitismus. 1925 kümmerten sich gleich drei parlamentarische Untersuchungsausschüsse (im Reich, in Preußen und in Sachsen) um den jüdischen Geschäftsmann mit guten Kontakten zur SPD.

Barmat geriet in die Schlagzeilen, nicht zuletzt durch die perfide Pressearbeit der Staatsanwaltschaft und die demagogische Kampagne der Rechtsparteien, die nach Eberts plötzlichem Tod an die Macht drängten - gegen die "sozialdemokratische Judenrepublik" und die "Ostjuden".

Verdächtigungen und Diffamierungen verbanden sich mit Verschwörungstheorien und Korruptionsvorwürfen auch gegen die Justiz. Das brachte die Republik an den Rand des Abgrunds.

Im Prozess gegen Barmat blieb vieles ungeklärt. Er kassierte elf Monate Haft und eine Geldstrafe, die er bis 1933 in Raten bezahlen sollte. Als er am 6. Januar 1938 in U-Haft in Belgien starb, war die Erinnerung an ihn längst bis zur Unkenntlichkeit entstellt und die Geschichte seines Scheiterns im und am Kapitalismus von antisemitischen Legenden und Gerüchten überwuchert. In seiner Detailversessenheit kein bequemes, aber buchstäblich reichhaltiges Buch.

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Quelle:
SZ vom 18.06.2018/odg
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