Bundeswehr:Lindner grätscht in die Wehrpflicht-Debatte

Bundeswehr: Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner begrüßt vor Beginn einer Präsidiumssitzung seine Stellvertreterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

Der FDP-Vorsitzende Christian Lindner begrüßt vor Beginn einer Präsidiumssitzung seine Stellvertreterin Marie-Agnes Strack-Zimmermann.

(Foto: Paul Zinken/DPA)

Christian Lindner und Marie-Agnes Strack-Zimmermann gelten nicht als beste Parteifreunde. Nun versucht der FDP-Chef sogar, schon das Nachdenken über das Pro und Contra zur Wehrpflicht zu stoppen.

Von Georg Ismar, Berlin

Christian Lindner gefällt die Debatte gar nicht, und wie dringlich es ihm mit dem Abräumen ist, zeigt der Vorgang selbst. Zuvor hatte sich die Parteikollegin des FDP-Vorsitzenden, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, grundsätzlich Gedanken über die vielen Hürden für eine Rückkehr zur Wehrpflicht gemacht. Sie forderte von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) eine ehrliche Debatte dazu, nachdem der die von der schwarz-gelben Koalition beschlossene Aussetzung der Wehrpflicht im Jahr 2011 als Fehler bezeichnet hatte.

Aus Strack-Zimmermanns Aussagen in der Süddeutschen Zeitung entstand zunächst die Meldung der Deutschen Presse-Agentur, dass sie eine Rückkehr zur Wehrpflicht nicht ausschließe, obwohl sie das vor einem Jahr noch getan hatte. Allerdings war das eine etwas zugespitzte Interpretation ihrer Aussagen - die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses ließ das schnell geraderücken.

Strack-Zimmermann will kein Denkverbot, betont aber auch die Hürden

Die Verteidigungsexpertin hatte zwar gesagt, ein einfaches Ja oder Nein gebe es angesichts der neuen Sicherheitslage in Europa durch Russlands Krieg in der Ukraine nicht. Sie betonte aber besonders die Herausforderungen: von den zweistelligen Milliardenkosten über fehlende Kasernen und mangelnden Wohnraum sowie der Notwendigkeit eines längeren Wehrdienstes wegen der immer komplexeren Waffensysteme bis hin zu der Tatsache, dass heute verfassungsrechtlich auch Frauen herangezogen werden müssten.

Einige Stunden war die Meldung in der Welt, dann schritt Lindner ein. Es wirkte wie ein Zurückpfeifen der forschen Rheinländerin Strack-Zimmermann. Lindner ließ der dpa ein paar knackige Zitate übermitteln, ein bei Politikern beliebtes Mittel, um schnell etwas zu begradigen, denn die Nachrichtenagentur erreicht sofort weit über hundert Medien.

"Die Wehrpflicht steht für die FDP überhaupt nicht zur Debatte. Das ist eine Gespensterdiskussion. Alle Kraft muss darauf konzentriert werden, die Bundeswehr als hochprofessionelle Armee zu stärken", wurde der FDP-Chef und Finanzminister zitiert. Allerdings gibt es sehr wohl auch unter Koalitionspolitikern Bedenken, ob man für eine mögliche Eskalation gut gerüstet sei, zumal die Bundeswehr Probleme hat, guten Nachwuchs zu finden. Dort braucht man mit den hochmodernen Gerätschaften vertraute Soldaten - daher wird sich die Debatte zu diesem Punkt künftig sicher auch um attraktivere Arbeitsbedingungen und bessere Bezahlung drehen.

Der freiwillige Wehrdienst reiche nicht aus, sagen Fachleute

Am weitesten geht der Präsident des Reservistenverbands, der frühere CDU-Bundestagsabgeordnete Patrick Sensburg. "Die Bundesrepublik Deutschland ist nicht zu verteidigen, wenn es denn sein müsste, wenn wir keine Wehrpflicht haben", sagte er dem TV-Sender Welt. Rund 200 000 Soldaten und 100 000 Reservisten reichten für den Ernstfall nicht aus. Die Wehrbeauftragte Eva Högl fordert schon seit Monaten zumindest eine Debatte über bessere Rekrutierungsangebote, zwischen Freiwilligkeit und Verpflichtung gebe es viele mögliche Modelle. Der freiwillige Wehrdienst, den die Bundeswehr anbietet - mit zuletzt 9200 Teilnehmern - reiche nicht, um den benötigten Nachwuchs für die Bundeswehr zu generieren.

Pistorius wiederum verwies darauf, wie prägend und wichtig früher für junge Menschen der Wehr- oder Zivildienst war. Demgegenüber sei heute eine zunehmende Entfremdung zum Staat zu konstatieren. Damit unterstreicht der Verteidigungsminister die damalige gesellschaftspolitische Dimension der Wehrpflicht. Mehr sagt er nicht bisher. Lindner aber will die Debatte gar nicht erst führen und argumentiert: Die junge Generation habe durch die Pandemie schon "so viel verloren, dass jetzt nicht noch über eine neue Dienstpflicht spekuliert werden sollte". Auch den Fachkräftemangel in allen Wirtschaftsbereichen führt der FDP-Chef ins Feld: "Einen ganzen Jahrgang von Ausbildung und Beruf abzuhalten, würde großen Schaden verursachen."

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