Süddeutsche Zeitung

Wehrpflicht-Debatte:Von der Leyen will keine "Wehrpflicht alten Zuschnitts"

  • Sowohl Verteidigungsministerin von der Leyen als auch Bundeskanzlerin Merkel lehnen eine Rückkehr zur Wehrpflicht ab.
  • Auch Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg zeigt sich skeptisch. Unter ihm war die Wehrpflicht ausgesetzt worden.
  • Der Chef des Paritätischen Wohlfahrtsverbands plädiert dafür, lieber die Bundesfreiwilligendienste attraktiver zu machen.
  • Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) will die deutsche Bevölkerung über das Vorhaben abstimmen lassen.

Eine von Teilen der CDU angeregte Wiederbelebung der Wehrpflicht oder Schaffung einer allgemeinen Dienstpflicht stößt auf ein geteiltes Echo. Bundesverteidigungsministerin Ursula von der Leyen macht sich Forderungen nach der Wiedereinführung nicht zu eigen. Der Weg zurück in eine Wehrpflicht alten Zuschnitts wäre nach so langer Zeit sehr schwierig, daher stelle sich diese Frage für die Ministerin nicht, sagte ihr Sprecher Jens Flosdorff in Berlin.

Zugleich begrüße von der Leyen die Diskussion um ein allgemeines Dienstjahr als gut und wichtig. Sie lenke den Blick auf Themen, die sowohl für die Gesellschaft als auch für die Bundeswehr enorme Bedeutung hätten. "Aus Sicht der Ministerin geht es bei dieser Debatte um ein allgemeines Dienstjahr, nicht um ein Wiederaufleben der alten Wehrpflicht und auch nicht um eine Diskussion, die auf ein kurzfristiges Ergebnis zielt", erklärte Flosdorff. Schon heute biete die Truppe bis zu 12 500 Stellen für freiwillig Wehrdienstleistende, von denen gewöhnlich 8500 besetzt seien. Dies werde aktuell für Rekrutierung und Nachwuchsgewinnung als ausreichend angesehen.

Auch die stellvertretende Regierungssprecherin Ulrike Demmer betonte, es werde keine Rückkehr zur alten Wehrpflicht geben: "Die Widerrufung der Aussetzung der Wehrpflicht steht überhaupt nicht zur Debatte."

Auch der Deutsche Paritätische Wohlfahrtsverband lehnt die Rückkehr zur Wehrpflicht oder die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht ab. "Ein solcher Schritt wäre mit enormen Verfassungshürden verbunden und würde auch internationales Recht bis hin zu den Menschenrechten berühren", sagte Hauptgeschäftsführer Ulrich Schneider der Rheinischen Post.

Statt solche "Gespensterdebatten" zu führen, müsse der Bundesfreiwilligendienst attraktiver gemacht werden. Schneider forderte eine Erhöhung des Taschengelds von derzeit 300 Euro pro Monat, Entlastungen bei Nahverkehrstickets und mehr Teilzeitangebote für die sogenannten Bufdis, die in sozialen, ökologischen oder gesellschaftlichen Bereichen eingesetzt werden. "Wir Wohlfahrtsverbände wollen keine Rückkehr zu einem Zwangsdienst, wir setzen auf Freiwilligkeit", betonte er. Derzeit seien 39 000 Teilnehmer beim Bundesfreiwilligendienst im Einsatz. "Wenn wir die nötige Finanzierung gesichert bekämen, könnten wir auch mehr junge Menschen beschäftigen."

Auch der nordrhein-westfälische Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) plädierte dafür, die Freiwilligendienste zu stärken. So könne man diese beispielsweise bei der Berufsausbildung etwa in Gesundheits- und Sozialberufen anrechnen, sagte er der Rheinischen Post. Die allgemeine Dienstpflicht lehnte Laumann dagegen ab. "Ich möchte später nicht von jemandem gepflegt werden, den der Staat dazu gezwungen hat", argumentierte er. Zudem sehe er juristische Probleme. "Ich bin mir nicht sicher, ob unsere Verfassung so eine Dienstpflicht im sozialen Bereich überhaupt erlaubt. Ich glaube, so was ist nur im Zusammenhang mit der Landesverteidigung möglich."

Der frühere Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der einst die Abschaffung der Wehrpflicht initiiert hatte, hält eine Grundgesetzänderung für nötig und warnt vor "exorbitanten Kosten". "Die notwendigen Finanzmittel für bis zu 700 000 junge Menschen pro Jahr würden erhebliche Einschnitte in anderen Bereichen nach sich ziehen. Nicht zuletzt bei der Ausrüstung der Bundeswehr."

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Fritz Felgentreu, sieht erhebliche rechtliche Schwierigkeiten. "Zwangsdienste sind nach europäischem Recht menschenrechtswidrig", sagte er der Welt. Ob eine rechtskonforme Umsetzung möglich wäre, sei "völlig offen". Er beobachtet allerdings Sympathien für die Idee "in fast allen politischen Lagern". Dabei gehe es jedoch "weniger um das Stopfen von Personallücken als um Fragen des staatsbürgerlichen Bewusstseins und des gesellschaftlichen Zusammenhalts".

Grundsätzlich aufgeschlossen gegenüber einer Dienstpflicht zeigte sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU). "Eine Dienstpflicht kann dazu beitragen, sowohl die Herausforderungen im Sozialen als auch bei der Verteidigung unseres Landes besser zu bewältigen", sagte er der Bild-Zeitung. Er regte aber eine Volksbefragung zum Thema an.

FDP-Chef Lindner: Freiheitsentzug und Verschwendung von Lebenszeit

FDP-Chef Christian Lindner kritisierte eine Wehr- oder Dienstpflicht scharf. Auf Twitter schrieb er am Sonntag von "Freiheitsentzug, Volkserziehung und Verschwendung von Lebenszeit". Und ergänzte: "Ökonomischer Unsinn und verfassungsrechtlich fragwürdig, wenn es keine Bedrohung gibt."

Doch auch in der FDP gibt es andere Sichtweisen. Bremens FDP-Fraktionschefin Lencke Steiner sagte der Bild-Zeitung: "Ich bin persönlich für ein verpflichtendes Jahr, egal ob Wehrpflicht oder soziales Jahr. Es ist wichtig, früh Verantwortung zu übernehmen und zu lernen, für andere einzustehen."

Die Diskussion war aufgekommen, nachdem CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer aus Gesprächsrunden mit der Parteibasis das Bedauern über das Ende der Wehrpflicht und den Wunsch nach einer ersatzweisen Dienstpflicht mitgebracht hatte.

Eine Rückkehr zur reinen Wehrpflicht wie vor 2011 wird in den Parteien allerdings von kaum jemandem außer der AfD ernsthaft befürwortet: Zu ungeeignet erscheint sie für die Bedürfnisse einer modernen Armee. Kramp-Karrenbauer will nun die Frage eines allgemeinen Dienstes, der gleichermaßen für Männer und Frauen offen steht, in die Diskussion für das neue CDU-Grundsatzprogramm einbringen. Dabei wäre auch zu erörtern, ob es einer Pflicht bedarf oder stärkerer Anreize für freiwillige Dienste.

Wer zur Bundeswehr will, kann sich auch bisher schon für bis zu 23 Monate verpflichten. Zudem war nach Aussetzung der Wehrpflicht und damit auch des alternativen Zivildienstes der Bundesfreiwilligendienst geschaffen worden, mit Stellen im sozialen, ökologischen und sonstigen gesellschaftlichen Bereich sowie im Zivil- und Katastrophenschutz.

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