Wehrdienst in Deutschland:"Die Schikanen waren mir zuwider"

Der Wehrdienst in Deutschland steht vor dem Aus. Sechs Politiker und ein Schriftsteller erinnern sich an ihr Leben als Soldat: Die einen hassten Befehl und Gehorsam, die andere schwärmen noch heute von ihrer Zeit bei der Bundeswehr. In Bildern.

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Christian Ströbele

Quelle: dpa

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Der Wehrdienst in Deutschland steht vor dem Aus. Sechs Politiker und ein Schriftsteller erinnern sich an ihr Leben als Soldat: Die einen hassten Befehl und Gehorsam, die andere schwärmen noch heute von ihrer Zeit bei der Bundeswehr. In Bildern.

Hans-Christian Ströbele: Hart geschliffen

Ich gehörte zu einem der ersten Jahrgänge, die eingezogen wurden, und war 1959 in Aurich in Ostfriesland bei der Luftwaffe. Unter der Grundausbildung habe ich erheblich gelitten - ich empfand es als zutiefst verstörend, wie wir darauf trainiert wurden, ohne nachzudenken automatisch auf Befehle zu reagieren. Wir wurden hart geschliffen. Die Schikanen waren mir zuwider. Es ging oft nur darum, Leute fertig zu machen, indem man 20 Mal um den Platz laufen oder durch Pfützen robben musste. Ich habe versucht, mich dem zu entziehen.

Damals kamen fast alle Ausbilder, Unteroffiziere und der Feldwebel aus der alten Wehrmacht. Sie hatten noch die gleiche Einstellung zum Soldatentum wie zur Nazizeit und schwärmten von ihren Heldentaten. Diese Kontinuität zur NS-Zeit war unübersehbar und unüberhörbar. Sie brachten uns auch Lieder aus der Wehrmacht bei. Ich habe dann auch die Beförderung zum Gefreiten abgelehnt. Positiv habe ich den Zusammenhalt mit den Kameraden in Erinnerung, sonst nicht viel.

Hans-Christian Ströbele, geb. 1939, ist Bundestagsabgeordneter der Grünen.

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Quelle: dpa

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Edmund StoiberFür den Frieden

Nach dem Abitur habe ich ganz selbstverständlich den Wehrdienst bei den Gebirgsjägern in Bad Reichenhall angetreten. 15 Monate Wehrdienst - was für ein gravierender Einschnitt in die Freiheiten eines jungen Mannes! Der Rhythmus der Bundeswehr war streng und fordernd. Aber Millionen Deutsche haben den Dienst geleistet für Frieden, Freiheit und Demokratie: Deutschland und Europa waren vom Eisernen Vorhang durchtrennt, dahinter stand hochgerüstet die Militärmaschine des totalitären Warschauer Pakts. <NO1>Diese Bedrohung ist - auch dank kluger Politik - Geschichte.

Heute geht es um andere Gefahren. Die Wehrpflicht ist ein Grundrechtseingriff, der jahrzehntelang gerechtfertigt, notwendig und erfolgreich war. Wenn die Wehrpflicht keine sicherheitspolitische Begründung mehr hat, muss sie ausgesetzt werden. Deutschland mutig gestalten: Das ist die Aufgabe der Politik.

Edmund Stoiber, geb. 1941, ist Ehrenvorsitzender der CSU.

Johannes Kahrs

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Johannes Kahrs: Vorgelebte Führung

Als ich 1984 in Schwanewede meinen Wehrdienst im Panzergrenadierbataillon 321 antrat, hatte ich nach dem Abitur erst einmal nur ein Ziel: nicht mehr rumsitzen. Dass ich dafür am richtigen Ort war, machte uns der Zugführer, Feldwebel Dolata, von der ersten Sekunde an deutlich. Wir hatten keine Zeit, uns zu langweilen. Täglicher Sport, die Übungen im Gelände, Schießen, Hindernisbahn und das "Leben im Felde" mit Gepäckmärschen waren eine andere Welt. Ich war begeistert. Der so raue wie fürsorgliche Umgang bei den Grenadieren, die Kameradschaft und die vorgelebte Führung durch den Kompaniechef und seinen "Spieß", Hauptfeldwebel Somnitz, haben mich dazu gebracht, Reserveoffizier zu werden. Gelernt habe ich fürs Leben: Führung ist unverzichtbar, findet von vorne statt, der Fisch stinkt vom Kopf her.

Johannes Kahrs, geb. 1963, ist SPD-Abgeordneter im Bundestag.

Joseph von Westphalen

Quelle: dpa

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Joseph von Westphalen: Welch ein Irrenhaus

In dieser Bundeswehr, die sich als "Schule der Nation" verstand, lernte man hautnah das System von Befehl und Gehorsam kennen, das jedes Militär zusammenhält. Ekelhaft. Bellende Vorgesetzte musste man so angrinsen, dass sie merkten, wofür man die hielt: für Idioten. Es war mehr ein Irrenhaus als eine Schule. Offiziere faselten etwas von einem "Auftrag". Im Ernstfall hätte man sich krank gemeldet.

An die wehrpflichtigen Bundeswehrzeiten kann man jedoch insofern mit einer gewissen Wehmut zurückdenken, als zum größten Teil vollkommen unwillige Soldaten rekrutiert wurden, und dieser Unwille und die Uneffektivität waren das einzig Erträgliche an diesem deutschen Militär. Es hätte nie funktioniert. Trotz aller scharfer Munition war die Bundeswehr keine wirklich geladene Waffe.

Joseph von Westphalen, geb. 1945, ist Schriftsteller.

Joachim Herrmann

Quelle: AP

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Joachim Herrmann: Ohne Zeit zum Gammeln

Ich habe meinen 15-monatigen Grundwehrdienst in Mellrichstadt und Hammelburg abgeleistet. Das berüchtigte Gammeln habe ich dabei nicht erlebt. Ich bin zunächst als Kraftfahrer und später als Reserveoffizier ausgebildet worden. Da war für Leerlauf oder Müßiggang kein Platz.

Es war insgesamt eine sehr anstrengende Zeit, aber auch eine interessante Erfahrung in einem völlig neuen Umfeld unmittelbar nach dem Abitur und vor meinem Studium. Daran, dass mir als Wehrdienstleistender nie langweilig wurde, war ich natürlich auch selbst schuld, weil ich mich für die Laufbahn als Reserveoffizier entschieden habe und zum Beispiel beim Unteroffizierslehrgang ordentlich gefordert war.

In den letzten drei Monaten meines Wehrdienstes 1976 konnte ich schließlich als Fahnenjunker und somit Gruppenführer in der Kompanie erste Führungserfahrungen sammeln. Zwei Jahre später habe ich im Rahmen einer Wehrübung auch den Zugführerlehrgang absolviert, übrigens im Wettbewerb mit Zeitsoldaten als Lehrgangsbester.

Joachim Herrmann (CSU), geb. 1956, ist bayerischer Innenminister.

Beck kuendigt Verfassungsklage zu ZDF-Staatsvertrag an

Quelle: ddp

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Kurt Beck: Ein Soldat fragt nicht!

1968, während des Grundwehrdienstes, hieß es, ich sei ein kräftiger neunzehnjähriger Kerl und solle zunächst Ausbilder werden. Nie werde ich die Antwort vom Spieß vergessen, als ich an die Zusage auf Fortbildung und Studium erinnerte, die mir gegeben worden war. Er brüllte mich an: Ein Soldat frage nicht, wohin er versetzt werde! Er erfahre das drei Tage vorher, nachzulesen am Schwarzen Brett. Innerlich sah ich mich jahrelang auf irgendwelchen Kasernenhöfen stehen und junge Soldaten herumkommandieren.

Folglich weigerte ich mich, die Verpflichtung für vier Jahre beim Bund zu unterschreiben. Eigentlich hätte ich nun die normale Wehrpflicht ableisten müssen. Doch bevor es dazu kam, zog ich mir bei Schnee und Eis einen komplizierten Knöchelbruch zu. Ich wurde ausgemustert.

Kurt Beck (SPD), geb. 1949, ist Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz.

© SZ vom 17.10.2010/aho
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