Wehrbericht:Zehn Jahre Vorlauf für neue Fliegerhelme

Wehrbericht: Nato-Übung auf dem Truppenübungsplatz Klietz in Sachsen-Anhalt und Brandenburg im Jahr 2021: Die Bundeswehr ist seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine noch stärker in der Bündnisverteidigung gefragt.

Nato-Übung auf dem Truppenübungsplatz Klietz in Sachsen-Anhalt und Brandenburg im Jahr 2021: Die Bundeswehr ist seit dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine noch stärker in der Bündnisverteidigung gefragt.

(Foto: Jana Neumann/obs)

Schnellere Entscheidungen, schlankere Prozesse, zusätzliche Milliarden: Die Wehrbeauftragte Eva Högl fordert mehr Tempo bei der Reform der Bundeswehr. Und sie macht auf die gestiegene Belastung der Truppe aufmerksam.

Von Mike Szymanski

Die Wehrbeauftragte des Bundestages, Eva Högl, übt deutliche Kritik an der schleppenden Umsetzung der Zeitenwende-Politik für die Bundeswehr. Trotz eines "epochalen Umbruchs", der durch Russlands Angriff auf die Ukraine ausgelöst wurde, und 100 Milliarden Euro zusätzlich in Form eines Sondervermögens für die Modernisierung der Truppe, habe sich 2022 viel zu wenig getan. "Bezeichnend ist, dass bis zum Ende des Berichtsjahres kein Euro aus dem Sondervermögen ausgegeben wurde", schreibt Högl in ihrem Wehrbericht für 2022, der am Dienstag veröffentlicht wurde.

Högl führt darin aus, dass die Soldatinnen und Soldaten seit Ankündigung des Sondervermögens bei nahezu all ihren Truppenbesuchen eine enorme Erwartungshaltung zum Ausdruck gebracht hätten. Bei der Ausrüstung müsse sich die Lage schnell bessern. Die Wehrbeauftragte warnte, diese Erwartungen zu enttäuschen. Ebenso gelte es ihrer Ansicht nach, "das Momentum des hohen gesellschaftlichen Rückhalts für die Verbesserung der Ausrüstung und Ausstattung zu nutzen".

Nur, die seit Jahren für die Bundeswehr zutreffende Aussage: "Es dauert alles viel zu lang", habe sich Högl zufolge auch mit Blick auf das Sondervermögen "leider bestätigt". An die Adresse von Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), der erst im Januar die Führung des Ressorts von der erfolglosen Parteikollegin Christine Lambrecht übernommen hatte, sagte sie: "Die angestoßene Reform der Beschaffungsprozesse muss mit Hochdruck beschleunigt werden."

Die Wehrbeauftragte, in geheimer Wahl vom Bundestag ernannt, wacht über den Zustand der Bundeswehr. Högl ist zugleich Ansprechpartnerin für die Belange der Soldaten und wird deshalb auch als deren "Anwältin" betrachtet. Högl gehört der SPD an. Als Wehrbeauftragte soll sie überparteilich agieren.

Ihr Bericht listet abermals eklatante Fälle auf, in denen Soldatinnen und Soldaten teils seit mehr als zehn Jahren auf versprochenes Material warten. Beispielsweise reiche die Beschaffung neuer Fliegerhelme für Hubschrauberpiloten bis ins Jahr 2013 zurück. Dabei hätten die US-Streitkräfte solche Helme seit den 1990er-Jahren im Einsatz, auf dem Markt seien sie zu haben.

Högl habe das Ministerium mit der Frage konfrontiert, warum die Beschaffung so lange dauere. Man habe ihr erklärt, dass sich erst Heer, Luftwaffe und Marine abstimmen mussten, welche Anforderungen sie jeweils an neue Helme hätten, dann habe sich herausgestellt, dass luftfahrtrechtliche Zulassungen notwendig seien. Von Sommer 2023 an sollen die neuen Helme an die Besatzungen ausgeliefert werden.

Högl regt an, "zumindest zeitweise - bis Änderungen umgesetzt sind - in Teilen auf das bestehende Regelwerk zu verzichten". Ginge es nach ihr, sollte die Bundeswehr in einem "stetig zu aktualisierenden Bericht" Auskunft geben über den Stand von Bestellungen, Ausgaben und Anschaffungen aus dem Sondervermögen. Damit könne für mehr Transparenz gesorgt und der Druck erhöht werden, die Bundeswehr schnell besser auszustatten.

Der Verteidigungshaushalt müsse "stetig und in deutlichen Schritten" wachsen

Die Wehrbeauftragte wiederholte ihre Forderung nach zusätzlichen Milliarden. Die 100 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen reichen Högl zufolge nicht aus, um die Bundeswehr zu modernisieren. Sie teile die Einschätzung von Militärexperten, wonach die Truppe insgesamt 300 Milliarden Euro benötige. Deshalb müsse der reguläre Verteidigungsetat "stetig und in deutlichen Schritten" erhöht werden. Ausdrücklich unterstütze sie daher die Forderung des Verteidigungsministers, den Wehretat um zehn Milliarden Euro zu erhöhen. "Ich drücke die Daumen, dass er sich durchsetzt", sagte sie am Dienstag.

Die Forderung fällt inmitten der Haushaltsberatungen der Bundesregierung. Verteidigungsminister Pistorius verlangt zehn Milliarden Euro zusätzlich im Jahr. Angesichts begrenzter Mittel gibt es allerdings im Ampelbündnis heftigen Streit darüber, wo Prioritäten gesetzt werden sollen.

Högl macht in ihrem Jahresbericht auch auf die gestiegenen Belastungen für die Soldatinnen und Soldaten aufmerksam. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges hat die Bundeswehr ihre Präsenz an der Nato-Ostflanke deutlich verstärkt. Von 2025 an muss sie mit mindestens 30 000 Soldaten doppelt so viele Frauen und Männer für die Nato in Bereitschaft halten wie heute, und dies dann permanent. Die neuen Aufgaben in der Landes- und Bündnisverteidigung würden angesichts "begrenzter Ressourcen" zwangsläufig den Spielraum der Bundeswehr reduzieren, in Konflikten auf anderen Kontinenten eingesetzt zu werden. Högl führt als Beispiel die Marine an, die stark unter dem Sparkurs der vergangenen Jahrzehnte gelitten hat und Prioritäten einfordere.

Mit Sorge sieht Högl, dass die Bundeswehr angesichts der neuen Aufgaben personell nicht so wächst wie beabsichtigt. Zum Ende des Jahres hätten 183 051 Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr gedient, ein leichtes Minus gegenüber dem Vorjahr. Dabei soll die Truppe bis 2031 auf 203 000 Frauen und Männer anwachsen.

Auch die Zahl der Bewerber sei zurückgegangen, immerhin um elf Prozent. Von den Zeitsoldatinnen und -soldaten, die von Januar bis Mai 2022 ihren Dienst bei der Bundeswehr begannen, hätten 27 Prozent innerhalb der ersten sechs Monate Probezeit den Dienst wieder quittiert, im Heer waren es sogar fast 33 Prozent. "Die Bundeswehr muss ihre bisherigen Anstrengungen zur Personalgewinnung nochmals massiv verstärken", verlangt Högl. Bei den Laufbahnen oberhalb der Mannschaftsdienstgrade seien Stand Ende 2022 knapp 19 000 Posten unbesetzt geblieben - fast 16 Prozent.

Alarmiert zeigt sich die Wehrbeauftragte über die gestiegene Zahl an Meldungen von sexuellen Übergriffen. 2022 seien ihrem Amt 357 Verstöße gegen die sexuelle Selbstbestimmung gemeldet worden, gegenüber 303 im Vorjahr. Das seien mehr als vor der Corona-Pandemie, in der sich Soldaten deutlich weniger begegnet waren.

Eine bundeswehrinterne Untersuchung hätte festgestellt, dass 80 Prozent der Betroffenen Frauen seien, bei einem Drittel der Fälle sei Alkohol im Spiel gewesen. "Das ist nicht hinzunehmen", erklärte Högl. Sie forderte die Vorgesetzten auf, konsequenter einzuschreiten und solche Fälle härter zu ahnden. Rechtsextremismus bleibe weiter ein Problem, dem die Bundeswehr aktiv entgegentreten müsse. Die Zahl der gemeldeten Fälle sei im Berichtszeitraum allerdings geringfügig zurückgegangen. "Die seit Jahren verfolgte Null-Toleranz-Politik ist richtig", so Högl.

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