Nach fünf Jahren im Amt blickt die Wehrbeauftragte Eva Högl auf eine bewegte Zeit zurück. Sie hat rund 400 Truppenbesuche im In- und Ausland absolviert und die wichtigsten Standorte der Bundeswehr besucht. Als „Anwältin der Soldatinnen und Soldaten“ hat sie 12 000 Eingaben gelesen, formelle Beschwerden oder Anregungen, die Soldatinnen und Soldaten ohne Einhaltung des Dienstweges direkt an die Wehrbeauftragte des Deutschen Bundestages richten können.
Vor allem aber wächst der Druck auf die Bundeswehr durch außenpolitische Entwicklungen. Aufgrund der Kriege in der Ukraine und in Nahost, aber auch wegen des unsicheren Kurses der US-Regierung sei es „wichtiger denn je, dass wir eine vollständige einsatzbereite Bundeswehr haben für eine glaubhafte Abschreckung und für wirksame Verteidigung“, sagte Högl bei der Vorstellung des neuen Wehrberichts für das Jahr 2024. Die Bundeswehr habe nach wie vor von allem zu wenig.
Der russische Angriffskrieg hat den Begriff „Zeitenwende“ geprägt. Seitdem hat sich in der Bundeswehr tatsächlich viel getan, sei es beim Personal, beim Material oder bei der Modernisierung der Infrastruktur, schreibt Högl im neuen Wehrbericht. „Die Anstrengungen waren enorm, die Ergebnisse jedoch (noch) nicht überall sichtbar, spürbar oder messbar“. So bräuchten die vielfältigen neuen Ausgaben der Bundeswehr eine ausreichende finanzielle Grundlage. Zwar habe sich die Ausrüstung inzwischen verbessert. Es fehle aber nach wie vor an funktionsfähigem Großgerät und Ersatzteilen.

Der russische Angriff auf die Ukraine biete Deutschland zudem die Möglichkeit, Lehren für das eigene militärische Handeln zu ziehen. Seit Februar 2022 wurde aus den Beständen der Bundeswehr laut Bundesregierung Material im Wert von etwa 5,2 Milliarden Euro an die Ukraine gegeben – Material, dass nun zügig wiederbeschafft werden muss. Für die Zukunft, so Högl, sei ein ausreichender Verteidigungsetat unerlässlich für die Einsatzbereitschaft und Verteidigungsfähigkeit der Bundeswehr, unabhängig von einem Sondervermögen. Zudem sei ein Aufwuchsmodell der Bundeswehr zu erarbeiten. Davon scheint man momentan noch weit entfernt. Doch die besten Waffensysteme nützen wenig, wenn es zu wenige Frauen und Männer gibt, die sie bedienen können. Vollständig einsatzbereites Personal aber sei der Schlüssel für die Verteidigungsfähigkeit unserer Bundeswehr, fasst Högl das Problem zusammen.
Neues Wehrdienstmodell
Dass der Personalzuwachs im Wehrbericht schlecht abschneidet, überrascht nicht. Zwar haben 2024 gut acht Prozent mehr neue Soldatinnen und Soldaten ihren Dienst bei der Bundeswehr angetreten als im Vorjahr. Die Personalstärke lag am Jahresende trotzdem knapp unter dem Niveau des Vorjahres. Denn 20 000 Soldatinnen und Soldaten scheiden jedes Jahr aus dem Dienst aus.
Während der Bedarf also weiter wächst, stagniert die Anzahl der Uniformierten seit Jahren um die 180 000. Wollte die Truppe ursprünglich bis 2031 auf etwas mehr als 200 000 Soldaten wachsen, braucht es nun noch mehr Personal, um im Verteidigungsfall agieren zu können und den neuen Nato-Fähigkeitszielen gerecht zu werden. Auch das stetig steigende Durchschnittsalter in der Bundeswehr erhöht dabei den Druck. War das militärische Personal 2021 noch im Schnitt 33,1 Jahre alt, lag das Alter im vergangenen Jahr bereits bei 34 Jahren. Bei den aktuellen Wachstumsraten gebe es zumindest noch die Hoffnung auf eine moderate Personalsteigerung im kommenden Jahr.
Zum Wehrpflichtgesetz heißt es: Die darin enthaltene Erfassung müsse unabhängig von außenpolitischen Spannungen oder einem Verteidigungsfall wieder aktiviert werden, um ein Lagebild über die relevanten Jahrgänge und deren Bereitschaft für einen Wehrdienst zu erhalten. Auch ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr sei perspektivisch sinnvoll, das unter anderem auch bei der Bundeswehr absolviert werden könnte.
Probleme bei Auslandseinsätzen
Die Stationierung einer schweren Kampfbrigade der Bundeswehr in Litauen war bereits 2023 beschlossen worden. Es gilt als Leuchtturmprojekt des amtierenden Verteidigungsministers Boris Pistorius (SPD). Mittlerweile wurde das notwendige Regierungsabkommen zwischen Deutschland und Litauen durch den Deutschen Bundestag ratifiziert, noch in diesem Jahr soll ein führungsfähiger Brigadestab vor Ort geschaffen werden, Soldaten klagen allerdings über die wenig konkreten Eckdaten rund um den Einsatz. Wann genau er beginnen soll und wie lange sie vor Ort sein müssten, sei nach wie vor nicht klar. Spätestens 2027 soll die Kampfbrigade mit 4800 Soldatinnen und Soldaten vollständig einsatzfähig sein. Stationiert sind deutsche Bundeswehrsoldaten als Teil eines Nato-Kampfverbands in Litauen bereits seit 2017.
Die Bundeswehr wurde zuletzt auch immer wieder in anderen Regionen eingesetzt. So übernahm sie etwa für neun Monate den Schutz und die Überwachung des Luftraums über Estland, Lettland und Litauen. Ebenso beteiligte sich Deutschland mit Soldaten an einer Operation im Roten Meer in Reaktion auf die Angriffe der Huthi-Miliz in Jemen auf die internationale Schifffahrt. Zum ersten Mal seit mehr als 20 Jahren passierte zudem ein Schiff der Deutschen Marine die Straße von Taiwan.
Neue Formen der Kriegsführung
Besonders der Einsatz von Drohnen und entsprechende Abwehrsysteme haben zuletzt an Relevanz in der Bundeswehr gewonnen. Soldaten betonen angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine regelmäßig, wie wichtig Übungen der Bundeswehr mit den unbemannten Fluggeräten sind. Zu Verunsicherungen auch in der Truppe haben zuletzt mehrere Drohnensichtungen über Bundeswehrstandorten geführt. Zwar sei im Hinblick auf Drohnenabwehr nachgerüstet worden, heißt es im Wehrbericht, dennoch seien „weitere Bemühungen dringend notwendig“. Wer für die Drohnenflüge über Bundeswehrstandorten verantwortlich ist, ist nach wie vor unklar.

Zustand der Kasernen
Dem Wehrbericht zufolge befinden sich viele Kasernen in Deutschland in einem beklagenswerten Zustand. Die Gründe dafür seien vielfältig, etwa fehlende finanzielle Mittel, Personalmangel oder die ausgelastete Baubranche. In einigen Fällen seien zudem einst beschlossene Standortschließungen später revidiert worden, die Standorte wurden allerdings in der Zwischenzeit nicht weiter gepflegt.
Frauen in den Streitkräften
Frauen sind in der Bundeswehr mit anteilig 13,6 Prozent immer noch stark unterrepräsentiert. Besonders under den Berufssoldatinnen fällt das auf. Dort lag der Anteil bei 9,35 Prozent. Und „Soldatinnen in herausgehobenen Führungsfunktionen sind noch immer so selten, dass sie namentlich bekannt sind“, heißt es im Wehrbericht.
Geschlechtsspezifische Straftaten
Geschlechtsspezifische Vergehen und Übergriffe gehören noch lange nicht der Vergangenheit an. Mehr als 370 Verdachtsfälle von Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung nennt der Bericht der Wehrbeauftragten, dazu 48 Fälle von „sexualisiertem Fehlverhalten“. Wie groß das Dunkelfeld ist, ist unklar. Das Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr wurde mit einer entsprechenden Untersuchung beauftragt.
Extremismus
Insgesamt 275-mal wurde die Wehrbeauftragte im Jahr 2024 auf Fälle von Extremismus innerhalb der Truppe aufmerksam gemacht – ein Höchstwert im Vergleich zu den fünf Jahren davor. Häufig handelte es sich um rechtsextremistische Vorkommnisse in Form verbaler Entgleisungen innerhalb oder außerhalb des Dienstes oder Mitgliedschaften in verfassungsfeindlichen Gruppierungen. In diversen Fällen sei berichtet worden, dass Soldatinnen und Soldaten das Lied „L'amour toujours“ umgedichtet hätten. Statt des Originaltexts sei dazu die Parole „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus“ gesungen worden. Auch einige wenige Fälle des Hitlergrußes werden im Wehrbericht erwähnt.