Süddeutsche Zeitung

Wehrausgaben:Panzer, Truppen und Missionen

  • Die Nato streitet über eine gerechte Lastenteilung.
  • Unklar ist, wie sie bemessen werden soll. Dazu gibt es vier unterschiedliche Positionen.
  • Ein Problem ist, dass das ausgegebene Zwei-Prozent-Ziel der Komplexität der Thematik nicht gerecht wird.

Von Stefan Kornelius

Seitdem es die Nato gibt, heißt das Schlüsselwort zum Verständnis der Allianz Lastenteilung. Wer zahlt was, wer tut was, wer bekommt was? Diese Dreieinigkeit der Sicherheitspolitik lässt sich in immer neue Statistiken, Grafiken und Rechenmodelle packen. Aber niemals in der Geschichte der Allianz kam es dabei zu einem Ergebnis, das alle Mitglieder des Bündnisses zufriedengestellt hätte.

Seit Anfang der 2000er-Jahre benutzen die Statistiker eine Messlatte, die gröber nicht hätte ausfallen können. Nachdem die Friedensdividende nach Ende des Kalten Krieges eingefahren war und die Allianz neue Defizite bei Ausrüstung, Einsatzbereitschaft und damit auch Lastenteilung aufgetürmt hatte, kreiste die Diskussion um die nationalen Verteidigungsbudgets. Diese sollten - so wurde es von Deutschland unter rot-grüner Führung auf dem Nato-Gipfel 2002 beschlossen - bei zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) liegen. Es dauerte noch einmal zwölf Jahre bis zum Gipfel in Wales 2014, ehe dieses Zwei-Prozent-Ziel zur festen Politik erklärt wurde - allerdings auch nicht wirklich felsenfest. Zeitpunkt für diesen imaginären Zieleinlauf sollte das Jahr 2024 sein. Selbst dann, so gestanden sich die Mitglieder großzügig zu, wollten sie die zwei Prozent "anpeilen" oder sich ihnen "annähern". Nach einer wirklich harten Verpflichtung klingt das nicht.

Dennoch sind die ominösen zwei Prozent inzwischen zum beliebten Kampfmittel mutiert, weil sich hinter der simplen Zahl viele komplizierte Probleme bequem verstecken lassen. Das beginnt mit der Berechnungsgröße: Warum eigentlich Bruttoinlandsprodukt? Ist Verteidigung etwa konjunkturabhängig? Und was macht ein Land, dessen BIP sinkt - oder überproportional steigt, wie etwa Deutschland?

Der Rechenansatz hat viele Schwächen

Der Streit im Streit dreht sich um die vielen Schwächen dieses Rechenansatzes: Was eigentlich sagen zwei Prozent über die Einsatzbereitschaft aus, was über die Bewaffnung, was über die militärische Risikoverteilung? Welche Ausgaben gehören bitte sehr hinein in die Berechnung der zwei Prozent: auch die Entwicklungshilfe, Geld für Flüchtlinge, der Haushalt für den Autobahnbau, weil auf den Straßen auch irgendwann Panzer fahren sollen? Und was macht man mit einem Staat, der zwar zwei Prozent ausgibt, den Verteidigungsetat aber als eine Art Arbeitsbeschaffungsprogramm ansieht und insofern 80 Prozent für Personalkosten ausweist?

Selbst wenn man den größten Verteidigungshaushalt in der Nato betrachtet, stellt man fest, dass die USA ihre 3,6 Prozent in aller Welt ausgeben, also nicht nur zugunsten des Nato-Bündnisgebiets.

Vier Lager streiten um die richtige Bemessung der Lastenteilung

Vier Lager haben sich gebildet, die über die richtige Bemessung der Lastenteilung streiten. Im größten Lager sitzen die Planer und Ausrüstungsexperten. Sie berechnen militärische Schlagkraft und das Inventar. Ihre Messdaten sind die Beschaffungsetats und die Entwicklungsbudgets.

Lager zwei bemisst Bündnistreue in Einsätzen und Entsendungen. Wie viele Soldaten befinden sich also im Ausland? Wie teuer ist die Entsendung? Wie ausdauernd ist ein Land? Lager drei bemüht sich um eine Quantifizierung der Risiken: Versteckt sich ein Land mit seinen Soldaten im Hauptquartier oder gehen die Truppen tatsächlich Gefahren ein? Diese Kategorisierung ist besonders für Afghanistan beliebt. Es gibt sogar Statistiken, die stellen Ranglisten über die Zahl der Gefallenen oder Verwundeten auf, gemessen an der Bevölkerungsgröße des jeweiligen Landes.

Die vierte Kategorie ist neu und liegt der deutschen Regierung am Herzen: der Beitrag zu Sicherheit und Verteidigung in Europa. Damit soll ausgedrückt werden: Europa ist das zentrale Bündnisgebiet, es geht um europäische Stärke - und auch um die Emanzipation von den USA.

Wie schwer die richtige Balance ist, formulierte der jetzige US-Verteidigungsminister James Mattis vor zwei Jahren: "Wenn sie das Außenministerium nicht voll ausstatten, dann muss ich eben mehr Munition kaufen." Die Bundesregierung hat sich ihrem Schicksal gefügt und weiß, dass sie wegen ihrer geringen Verteidigungsausgaben den Lastenteilungssturm besonders hart abbekommen wird. Allerdings hat auch sie ihre Statistik: Sollten die Pläne aufgehen, wird Deutschland zwischen dem Wales-Gipfel und 2024 sein Budget um 80 Prozent gesteigert haben. Immerhin.

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SZ vom 10.07.2018/kiju
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