Süddeutsche Zeitung

Wege aus der Euro-Krise:Reformen ja, aber bitte entschleunigt!

Schuldenunion? Bankenunion? Politische Union? Der Wunsch nach einem radikalen Umbau Europas ist verständlich. Klug ist er nicht. Die Euro-Turbulenzen sind nicht die Ursache, sondern nur Ausdruck des eigentlichen Problems: Weder die Bürger, noch der Rest der Welt traut Europa. Statt hektischer Reformen sollten die Probleme einzeln gelöst werden.

Martin Winter

In diesem Sommer, in dem offensichtlich die Schlussrunde der Eurokrise eingeläutet wird, hat die deutsche Politik die Lust am Räsonieren über die Zukunft Europas gepackt. Sozialdemokraten und Grüne plädieren für eine europäische Schuldenunion samt Banken- und Fiskalunion. Kurz gesagt sind sie dafür, die staatliche Hoheit über den eigenen Haushalt an Brüssel abzugeben. Mancher Christdemokrat schlägt, wenn auch etwas vorsichtiger, in eine ähnliche Kerbe. Und außerdem weist die CDU gerne auf ihre Beschlusslage hin, Europa zu einer politischen Union zu entwickeln - was auch immer das im Einzelnen heißen mag. Und weil das alles tief ins Grundgesetz eingreifen würde, wird zugleich einer, wenn möglich raschen, Volksabstimmung das Wort geredet.

Gemach, ist man da versucht zu sagen. Es ist ja wahr, dass die Europäische Union auf die Stürme der globalisierten Welt schlecht vorbereitet ist. In der großen Finanzkrise ist die Union in ihrer politischen Gesamtstruktur vermessen und für instabil befunden worden. Aber bevor der Kernbestand der nationalen Souveränität vorauseilend geopfert wird, wäre es ratsam zu ergründen, ob es überhaupt einen Altar gibt, auf dem irgendetwas zu opfern lohnte.

Jenseits des deutschen Tellerrandes finden sich nämlich keine europäischen Staaten und Völker, bei denen eine große Mehrheit bereit wäre, den Schritt vom Bund souveräner Staaten zum europäischen Bundesstaat zu tun. Ob am Ende selbst die Deutschen diese Souveränität preisgeben wollen, mag ebenfalls bezweifelt werden. Der große Sprung in ein neues Europa, von dem heute einige träumen, würde zu kurz geraten. Diese Krise hat die europäischen Völker einander nicht näher gebracht, sondern dem europäischen Vorhaben gegenüber eher skeptischer werden lassen. Vor sieben Jahren ist ein europäischer Verfassungsvertrag in diversen Volksabstimmungen kläglich untergegangen, obwohl der die nationale Souveränität fast gar nicht berührte. Einem Vertrag, der die Nationen zu europäischen Bundesstaaten herabstuft, blüht mit Sicherheit ein härteres Schicksal.

Die Realität in Europa lässt sich durch Wünsche nicht verdrängen. Dazu gehört eine zweite Erkenntnis: Selbst wenn es gelänge, einige Völker davon zu überzeugen, die Kernbestände ihrer Souveränität auf die europäische Zentrale zu übertragen, wird das neue Europa kleiner sein, viel kleiner als das jetzige. Angeführt von Großbritannien werden einige vom europäischen Zug absteigen. Dann entstünde ein Kerneuropa, das vermutlich zu klein wäre, um in der Welt eine maßgebliche politische Stärke zu entwickeln.

Es ist verständlich, dass gerade in Deutschland der Wunsch wächst, Europa jetzt radikal umzubauen. Klug ist er nicht. Dieser Umbau würde die Völker überfordern und eher zum Zerfall denn zum Zusammenwachsen Europas führen. Gerade weil dessen Krise weiter und tiefer reicht als ihre Vorgänger, muss man sich vor der Illusion hüten, dass es schnelle und einfache Rezepte gibt.

Eine Schuldenunion mag kurzfristig die Märkte beruhigen, stabilisieren wird sie die EU auf Dauer nicht. Denn die Turbulenzen um die gemeinsame Währung sind nicht die Ursache, sondern nur ein Ausdruck des eigentlichen Problems der Europäischen Union: Es wird ihr nicht getraut. Sie schafft es, weder die Welt noch die eigenen Bürger davon zu überzeugen, dass sie die Rolle einer starken und zuverlässigen Macht ausfüllen kann. Dafür läuft in der EU zu viel gegen- und durcheinander. Nicht nur bei Wirtschaft und Finanzen, sondern auch in der Außen- oder Sicherheitspolitik. Europa hat den Rest der Welt noch nicht überzeugt, dass es tatsächlich und unumkehrbar zusammengewachsen ist.

Eine hektische Reform wird wieder nur Stückwerk sein. Das würde das Misstrauen nur verstärken, zumal wenn die Reform von Deutschland eingefordert wird. Deswegen gilt es, die Debatte zu entschleunigen: Vor allem die reformskeptischen Staaten müssen zunächst sagen, was Europa in Zukunft sein will und wozu es fähig sein soll. Diese zentrale Frage nach der Identität der Europäischen Union kann nicht aus der Panik der Krise heraus beantwortet werden - das führt unweigerlich in ein Desaster.

Wer Europa helfen will, sollte aufhören, über Großlösungen zu phantasieren. Die Krise und die grundlegende Verfasstheit der EU lassen sich nur nacheinander lösen. Zunächst muss die Euro-Krise beigelegt werden, notfalls durch den Rauswurf Griechenlands und eine massive Marktintervention der Europäischen Zentralbank. Nur wenn die Panik vorbei ist, finden die Mitgliedsstaaten und die Völker die Ruhe, sich über Europas Finalität zu verständigen.

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SZ vom 20.08.2012/schu
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