Webseiten für Flüchtlinge:Hilfe, die verpufft

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Flüchtlinge nutzen ihr Smartphone vor allem für Facebook und WhatsApp - und weniger, um im Netz zu surfen. (Foto: Sean Gallup/Getty Images)

Das Netz bietet viele Webseiten für Flüchtlinge. Doch kaum jemand kennt sie. Die Teilnehmer des "Digitalen Flüchtlingsgipfels" wollen das ändern.

Von Ruth Eisenreich, Berlin

Schon mal von InfoCompass gehört? Das ist eine Webseite, die auf einer Landkarte Serviceangebote für Geflüchtete in Berlin verzeichnet. Oder von Arriving in Berlin? Eine Webseite, die auf einer Landkarte Dienstleistungen für Geflüchtete in Berlin verzeichnet. Oder von Willkommensnetz, HelpCamp und Clarat? Drei Seiten, die genau dasselbe tun.

Als im Sommer und Herbst die Behörden von der Ankunft Hunderttausender Flüchtlinge überfordert waren und allerorts Ehrenamtliche spontan einsprangen, da wollten unabhängig voneinander auch viele technikaffine Menschen helfen. Sie investierten Zeit und Energie in die Entwicklung von Apps und Webseiten, die den Helfern die Koordination erleichtern oder den Geflüchteten selbst beim Ankommen helfen sollen. Aber diese Angebote doppeln sich oft, und viele kommen gar nicht bei der Zielgruppe an. Um das zu ändern, hat das Bundesinnenministerium gemeinsam mit verschiedenen Initiativen am Dienstag zu einem "Digitalen Flüchtlingsgipfel" in der Bertelsmann-Stiftung in Berlin geladen. Etwa 130 Menschen sind gekommen, es sind mehr Sakkos als Kapuzenpullis zu sehen. Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) spricht das Grußwort. Es gebe "viele gute Anwendungen", sagt er, aber sie erzielten oft nicht die gewünschte Reichweite und Wirkung, und vielfach werde "das Rad immer wieder neu erfunden."

Joana Breidenbach ist Kulturanthropologin und Gründerin des Thinktanks "betterplace lab", das die Konferenz mitorganisiert hat. Es gebe viel guten Willen und viel Kreativität, sagt auch sie. Aber eine "Ökonomie der Eitelkeit" halte verschiedene Gruppen davon ab, ihre Ressourcen sinnvoll zu bündeln. Und die Doppelungen seien nicht das einzige Problem.

Breidenbach und ihre Kollegen haben im Frühling für eine Studie 108 Flüchtlinge in Griechenland, der Türkei und Jordanien befragt und festgestellt: Obwohl die meisten Geflüchteten Smartphones besitzen, kommen digitale Angebote, die ihnen helfen sollen, oft nicht bei ihnen an. Die Seite refugeeinfo.eu etwa. Die sei eigentlich sehr durchdacht und in den griechischen Lagern massiv beworben worden, sagt Breidenbach, "aber kein Einziger von den Flüchtlingen, mit denen wir dort geredet haben, kannte die Seite." Das Problem laut Breidenbach: "Wir schließen von uns auf andere, aber weite Teile der Welt haben ein anderes Konzept davon, was das Internet ist". Flüchtlinge nutzten am Handy vor allem Facebook und WhatsApp. Oft hätten sie keine E-Mail-Adresse, wie man sie für viele Dienstleistungen braucht; auch das Konzept einer Webseite sei vielen fremd. Zudem sei in ihren Herkunftsländern das Vertrauen in Institutionen meist niedrig, sie setzten daher bei der Informationsbeschaffung eher auf private Netzwerke als auf fremde Institutionen.

Auch in Deutschland gingen manche Angebote an den Bedürfnissen der Zielgruppe vorbei, sagt Breidenbach. So existierten etliche Apps für frisch angekommene Flüchtlinge nur auf Deutsch. "Die Deutschen planen für die Flüchtlinge, ohne sie zu fragen", sagt der syrische Youtuber Firas Alshater beim digitalen Flüchtlingsgipfel und erntet dafür den kräftigsten Applaus des Vormittags.

© SZ vom 15.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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