Süddeutsche Zeitung

Europawahl 2019:Ohne Zuspitzung geht es nicht

Die Christdemokraten setzen auf Spitzenkandidat Manfred Weber für die Europawahl. Der CSU-Mann hat in Frans Timmermans einen starken Gegner - sie müssen darüber streiten, wie die EU mit ihren Feinden umgehen will.

Kommentar von Matthias Kolb

Es spricht für den CSU-Politiker Manfred Weber, dass er die Beweisfotos selbst präsentiert. Seine ersten öffentlichen Auftritte habe er als Gitarrist in einer Rockband absolviert, erzählte der Niederbayer in einem kurzen Video, mit dem er sich als Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei vorstellte. Als Rampensau war der Fraktionschef der Christdemokraten im Europaparlament bisher nicht aufgefallen; jenseits von Brüssel und Bayern ist Weber kaum bekannt. Beides dürfte sich nun ändern: Die EVP geht mit ihm in die Europawahl im Mai 2019.

Damit werden zwei überzeugte Europäer sechs Monate lang im Rampenlicht stehen. Weber muss froh sein, dass er mit dem niederländischen Sozialdemokraten Frans Timmermans einen formidablen Gegenspieler hat. Nie seit der ersten Abstimmung 1979 war eine Wahl fürs Europäische Parlament so wichtig. Die EU steckt in einer Identitätskrise, und manche ihrer Feinde sitzen mittendrin in dieser EU, wie Ungarns autokratischer Premier Viktor Orbán oder Italiens Krawall-Innenminister Matteo Salvini.

Die Wähler verlangen zu Recht, dass klar darüber diskutiert wird, welche Rolle Europa in der Welt spielen will und wie viele Investitionen in Militär und Entwicklungshilfe dazu nötig ist. Der CSU-Politiker Weber will einen EU-Beitritt der Türkei ausschließen; man muss die Meinung nicht teilen, aber diese Klarheit ist gut. Ohne Zuspitzung geht es nicht mehr. Ebenso positiv ist es, dass Timmermans betont, dass die Aushöhlung des Rechtsstaates in Polen, Rumänien und Ungarn nicht hinnehmbar ist.

Der Sozialdemokrat übertreibt nicht, wenn er sagt, dass es diesmal um die "Seele Europas" geht. Ohne unabhängige Gerichte funktioniert auch der Binnenmarkt nicht, auf den gerade die Christdemokraten so stolz sind. Und wer wie Italiens Regierung die vereinbarten Regeln der Euro-Zone mutwillig bricht, bedroht nicht nur die Gemeinschaftswährung. So wird die überfällige Debatte verhindert, wie das Ziel von sich angleichenden Lebensverhältnissen in der Euro-Zone ohne Umverteilung gelingen soll.

Natürlich ist die Blockade vieler Osteuropäer in der Migrationsfrage schwer zu akzeptieren. Aber wer sich als Spitzenkandidat zutraut, künftig die EU-Kommission zu führen, muss Vorschläge präsentieren und sagen, wie man mit der polnischen PiS umgehen will. Das Gebaren des Ungarn Viktor Orbán wird Weber bis zum Wahltag nerven - denn die EVP muss erklären, warum sie mit Fidesz eine Partei in ihrer Fraktionsgemeinschaft haben will, die ihre Mandate mit gelenkten Medien und Fremdenfeindlichkeit gewinnt. Es ist leichter, über europäische Werte zu sprechen als sich mit jenen anzulegen, die sie verletzen.

Als Fraktionschef hat sich der CSU-Mann in Brüssel viel Ansehen erworben, er sieht die Welt nicht nur durch die nationale Brille. Die EVP dürfte die stärkste Kraft im neuen Europäischen Parlament werden, aber ob der 46-Jährige wirklich EU-Kommissionspräsident wird, dürfte davon abhängen, wie erfolgreich die Anti-EU-Kräfte abschneiden. Je mehr Abgeordnete sie stellen, desto eher könnten die Staats- und Regierungschefs den Konflikt mit den Europaparlamentariern wagen und versuchen, einen von ihnen dafür auswählen, den Präsidenten Trump, Putin und Xi entgegenzutreten.

Denn seine Nachteile kann Weber nicht schnell beseitigen: Der 46-Jährige hatte nie ein Regierungsamt inne. Zudem ist er nicht so weltläufig wie etwa der ehemalige Außenminister Timmermans, der fünf Fremdsprachen perfekt beherrscht. Dessen größtes Problem ist sein Parteibuch: Die Sozialdemokraten stecken fast auf dem ganzen Kontinent in der Krise. Aber unabhängig davon, ob und in welcher Funktion Weber und Timmermans nach dem Wahltag weiter im Rampenlicht stehen: Wenn sie offen über die Zukunftsfragen streiten, erweisen sie der EU einen sehr wichtigen Dienst.

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