Süddeutsche Zeitung

Wassermangel in Indien:Gefährlich trocken

Bangalore ist Indiens Fenster in die Zukunft, auch im negativen Sinne: Wegen Wassermangels kam es zu Ausschreitungen, sie könnten sich in ganz Indien wiederholen.

Von Arne Perras, Delhi

Am 12. September war plötzlich alles anders. Die Metropole Bangalore, sonst als Aushängeschild indischer Innovation in der ganzen Welt bekannt, zeigte auf einmal ein furchterregendes Gesicht. Wut tobte sich auf den Straßen des Hightech-Standorts aus, der sonst Bilder eines erfindungsreichen und friedlichen Aufschwungs produziert. Randalierer zündeten Autos und Busse an, zwei Menschen kamen im Chaos ums Leben. Drei Tage herrschte Ausgangsperre, die Mitarbeiter der IT-Unternehmen des "indischen Silicon Valley", der Biotechnik-Start-ups und der Luft- und Raumfahrtbranche mussten eine Zwangspause einlegen. Und nur langsam kehrte wieder Ruhe ein in der drittgrößten Metropole Indiens mit ihren 11,5 Millionen Bewohnern.

Über die Wasserverteilung wird gestritten, seit die Kolonialherren sie regelten. Jetzt brennen Autos

Der Zorn, der in Gewalt umschlug, war einem sehr existenziellen Bedürfnis entsprungen: dem Verlangen nach Wasser. Im Süden Indiens macht sich Angst breit, es könnte schon bald nicht mehr reichen. Der Bundesstaat Karnataka mit seiner Hauptstadt Bangalore liegt im Streit mit seinem Nachbarn Tamil Nadu, beide beklagen, dass ihnen jeweils zu wenig Wasser aus dem Kaveri River zugebilligt werde. Der Strom entspringt in der Bergkette der Westghats und windet sich über 760 Kilometer in südöstlicher Richtung durch Karnataka und Tamil Nadu, wo sich der Fluss schließlich in einem Delta in den Golf von Bengalen ergießt. Der Kaveri ist eine der großen Lebensadern Indiens, am Tropf des Flusses hängen zwei große Bundesstaaten, in denen so viele Menschen wohnen wie in Deutschland und Frankreich zusammen: 140 Millionen Inder. Sie machen allerdings kaum mehr als ein Zehntel der Gesamtbevölkerung aus.

Bereits unter der britischen Kolonialherrschaft wurden Regeln festgelegt, wie das Wasser des Stroms aufzuteilen sei. Streit darüber gab schon lange, doch nie zuvor eskalierte er so wie in diesem Jahr. Die höchsten Richter Indiens mahnten, niemand dürfe das Gesetz in die eigenen Hände nehmen, doch genau das geschah im Chaos in Bangalore. Ein wütender Mob zündete Autos und Busse mit Nummernschildern aus Tamil Nadu an. Es dauerte nicht lange, bis im Nachbarstaat aus Rache Fahrzeuge aus Karnataka attackiert wurden. Premierminister Narendra Modi sprach von einer "qualvollen Lage" und rief in dieser Woche zu Ruhe und Mäßigung auf.

Auslöser des Aufstands war ein Beschluss des obersten indischen Gerichts. Demnach ist Karnataka verpflichtet, pro Sekunde 340 000 Liter Wasser nach Tamil Nadu fließen zu lassen. Viel zu viel, protestierten die Leute am Oberlauf des Kaveri. Viel zu wenig, beklagten die Leute an seinem Unterlauf. In beiden Staaten sorgen sich die Farmer um ihren Reis, der ohne ausreichende Bewässerung nicht gedeiht. Gibt die Krise einen Vorgeschmack auf etwas, das Indien nun häufiger und heftiger erschüttern könnte - Revolten oder gar Kriege wegen Wassermangels? Zumindest ist erkennbar, dass die Spannungen zunehmen. Der Soziologe Venni Krishna kommt in einer Studie zu dem Schluss, dass bereits mehr als 200 Konflikte in Indien auf Umweltprobleme zurückgehen, 59 davon wurzeln im unzureichenden Wassermanagement. Ein Kolumnist der Hindustan Times glaubt deshalb, dass die Gewaltausbrüche in Südindien tatsächlich erst der Anfang sind, er hält ähnliche Zusammenstöße auch in anderen Teilen Indiens für wahrscheinlich, wenn sie nicht rechtzeitig von den Bundesstaaten entschärft werden.

Die Nerven vieler indischer Farmer liegen bereits blank, weil ihnen große Dürreperioden in den vergangenen Jahren schlechte Ernten bescherten. In diesem Jahr fiel der Monsun erstmals wieder besser aus, was mancherorts die Lage entspannte. "Der Regen variiert stark von Region zu Region", sagt die Umweltexpertin Sunita Narain vom "Centre for Science and Environment" in Delhi. "Das Einzugsgebiet des Kaveri hat diesmal wenig abbekommen, deshalb gibt es Ärger."

Der Bedarf an Wasser ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Zum einen intensivieren die Bauern die Landwirtschaft, "in Tamil Nadu ernteten die Bauern früher nur einmal im Jahr Reis, jetzt gibt es wegen der Bewässerungsmöglichkeiten zwei Ernten", sagt Narain. Und in Karnataka bauen sie neben Reis inzwischen auch viel Zuckerohr an, das hohen Wasserbedarf hat. Zusätzlich verbrauchen die wachsenden Städte mehr Flusswasser als früher, Bangalore bezieht 80 Prozent seines Bedarfs aus dem Kaveri. Damit fehlt inzwischen der nötige Puffer, um bei schwankenden Regenfällen die Bedürfnisse aller noch zu decken.

Dennoch hält Expertin Narain es für falsch, die simple Gleichung aufzumachen, nach der allerorts in Indien immer mehr Menschen immer weniger Wasser zur Verfügung hätten. Die Verteilung sei sehr ungleich und häufig schwer absehbar: Extreme Wettersituationen wie Dürre, Stürme und Überschwemmungen nehmen zu, der Wasserhaushalt im Hochgebirge verändert sich wegen der schmelzenden Gletscher - all diese Entwicklungen schreiben Wissenschaftler dem Klimawandel zu. "Das macht die Lage in Indien äußerst komplex, der Streit um den Kaveri ist kein Einzelfall. Viele Gegenden leiden unter heftigem Wasserstress", warnt Narain. Auch die Grundwasserspiegel sind vielerorts dramatisch gefallen.

"Wir brauchen ein weit besseres Wassermanagement", meint deshalb die Umweltaktivistin. "Wir müssen Wege finden, sorgfältiger mit dieser Ressource umzugehen und die Verschwendung einzudämmen." Die Möglichkeiten, Wasser zu sparen, sind noch lange nicht ausgeschöpft. In Bangalore scheint der Reformbedarf besonders groß zu sein, wie eine Studie schon 2013 nahelegte: Ihr Titel: "Wohin verschwindet all das Wasser?" Darin wertete Autor Krishna Raj die Daten der städtischen Wasserwerke aus und zeichnete ein alarmierendes Bild: Nahezu jeder zweite Liter geht wegen Missmanagement oder undichter Leitungen verloren. Unter allen indischen Städten verschwendet nur Kalkutta noch mehr.

Weil die Wirtschaft jedoch weiter wächst, steigt auch der Verbrauch: Allein in Bangalore soll er in den kommenden neun Jahren um 71 Prozent in die Höhe schnellen. Welches Gesicht die Stadt in Zukunft zeigen wird, hängt auch davon ab, ob dieser Bedarf gestillt werden kann.

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Quelle:
SZ vom 20.09.2016
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