Washington gegen Ankara:Zwei Präsidenten streiten über einen Pastor

Erdogan in den USA

Eigentlich sind sie Verbündete: Die Präsidenten Donald Trump und Recep Tayyip Erdoğan

(Foto: dpa)
  • Schritt für Schritt haben sich die Beziehungen zwischen Washington und Ankara verschlechtert, nun ist die Lage eskaliert: Die Amerikaner verhängen Sanktionen gegen türkische Minister.
  • Diese sollen maßgeblich daran beteiligt gewesen sein, einen US-Pastor zu kriminalisieren. Die Reaktionen fallen harsch aus.

Von Alan Cassidy und Luisa Seeling

Auch Donald Trumps Sympathie für starke Männer hat Grenzen. Im Fall des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan sind sie nun sichtbar geworden, plötzlich und scharf, ausformuliert von Sarah Huckabee Sanders. Trumps Sprecherin steht am Mittwoch im Presseraum des Weißen Hauses und begründet, warum die US-Regierung gerade zu einer drastischen Maßnahme gegriffen hat: Justizminister Abdulhamit Gül und Innenminister Süleyman Soylu, zwei Vertraute Erdoğans, werden von den USA mit Sanktionen belegt. Die beiden hätten eine führende Rolle bei der Inhaftierung des US-amerikanischen Pastors Andrew Brunson gespielt, sagt Sanders. Brunson sei Opfer einer "unfairen und ungerechtfertigten" Verfolgung durch den türkischen Staat.

Die beiden Minister geben sich unbeeindruckt. Er habe "keinen einzigen Cent" in den USA, twittert Gül am Donnerstag, und Soylu lässt wissen, die Türkei habe nur "einen Besitz in Amerika, und das ist Fetö. Wir werden ihn nicht dort lassen. Wir werden ihn holen." Fetö steht für "Fethullahistische Terrororganisation", die amtliche türkische Bezeichnung für die Bewegung des muslimischen Predigers Fethullah Gülen, der seit den Neunzigerjahren in den USA lebt. Die Regierung macht ihn für den Putschversuch im Juli 2016 verantwortlich und verlangt seine Auslieferung. Das Außenministerium in Ankara nennt die Sanktionen einen "aggressiven Schritt", auf den man "umgehend" reagieren werde. Die Gegensanktionen kamen aber nicht sofort. Möglicherweise will die türkische Seite abwarten, was bei einem für Freitag geplanten Treffen zwischen Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu und seinem US-Kollegen Mike Pompeo herauskommt.

Die Türkei ist, bei allen Schwierigkeiten, ein Verbündeter der USA, ein Nato-Partner, ein Land, in dem Washington Flugzeuge und Soldaten stationiert hat - insofern handelt es sich bei den Sanktionen um einen außergewöhnlichen Schritt. Ein wahrscheinlicher Hintergrund ist das Interesse, das Trump und sein Vizepräsident Mike Pence am Schicksal des evangelikalen Pastors Brunson haben. Sowohl Trump wie auch Pence pflegen enge Bande zu den evangelikalen Christen, sie gehören zu Trumps Stammklientel.

Im Fall des Vizepräsidenten sind diese Bande zudem persönlicher Natur: Pence ist gläubig, der Schutz verfolgter Christen ist ihm ein wichtiges Anliegen. Im Fall von Trump ist die Beziehung eher neuerer, politischer Natur. Sie entstand während seiner Präsidentschaftskampagne, als Trump die Evangelikalen mit dem Versprechen umwarb, nach seiner Wahl sehr konservative Richter zu ernennen. Im Weißen Haus hat Trump einen fast nur mit Evangelikalen besetzten Beirat für Glaubensfragen eingesetzt, und am Mittwoch empfing er eine Gruppe vor allem evangelikaler Pastoren.

Internationale Beobachter halten Vorwürfe gegen Pastor für fabriziert

Die Front, der sich Erdoğan in Washington nun gegenübersieht, ist geschlossen. Bereits am 19. Juli hatte der außenpolitische Aussschuss des Senats einstimmig einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der den Zugang der Türkei zu internationalen Finanzinstitutionen begrenzen soll. Senatoren beider Parteien führten Brunsons Fall als Grund an. Wird der Entwurf Gesetz, so würden die von den USA ernannten Exekutivdirektoren bei der Weltbank sowie bei der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung dazu verpflichtet, gegen weitere Kredite und Hilfsleistungen an die Türkei zu stimmen, bis sich Ankara verpflichte, Repressionen gegen US-Bürger zu unterlassen. Zudem soll sich der US-Direktor beim Internationalen Währungsfonds dafür einsetzen, dass auch dort der Druck auf die Türkei erhöht wird.

Die Vorwürfe gegen Brunson halten nicht nur US-Politiker, sondern auch viele internationale Beobachter für fabriziert. Gut zwei Jahrzehnte lebte der heute 50-Jährige unbescholten als Pastor einer presbyterianischen Missionsgemeinde in Izmir. Im Oktober 2016, ein paar Monate nach dem gescheiterten Putsch, kam er in Haft. Brunson drohen bis zu 35 Jahre Gefängnis, er soll spioniert haben und an der Putschplanung beteiligt gewesen sein, außerdem habe er Terroristen unterstützt, Fetö und die Kurdenguerilla PKK. Ein christliches Kurdistan habe er errichten wollen, so die Anklage, als Beleg führt sie einen Zeugen an, der behauptet, Brunson habe Bibeln mit PKK-Logo verteilt. Richtig ist, dass Brunson einer Missionsgemeinde vorsteht, die allerdings nie über 40 Mitglieder hinausgewachsen ist; auch ist er, wie er selbst einräumt, öfter in den kurdisch geprägten Südosten des Landes gereist, um Flüchtlinge zu betreuen. Für verschwörerische Umtriebe aber gibt es nach Ansicht zahlreicher Experten keine Beweise. Brunson beteuert seine Unschuld. Für die US-Regierung steht außer Frage, dass er eine politische Geisel ist.

Washington gegen Ankara: Die türkische Justiz wirft dem US-Pastor Andrew Brunson (Mitte) vor, am Putschversuch 2016 beteiligt gewesen zu sein. Zahlreiche Beobachter halten die Anklage für fabriziert.

Die türkische Justiz wirft dem US-Pastor Andrew Brunson (Mitte) vor, am Putschversuch 2016 beteiligt gewesen zu sein. Zahlreiche Beobachter halten die Anklage für fabriziert.

(Foto: Emre Tazegul/AP)

Vor Kurzem hatte es noch so ausgesehen, als komme Bewegung in den Fall. Es habe, berichtete die Washington Post, zwischen Trump und Erdoğan beim Nato-Gipfel eine Absprache gegeben. Demnach habe sich Trump bei der israelischen Regierung für die Freilassung einer dort inhaftierten Türkin eingesetzt und im Gegenzug Brunsons Freilassung erwartet. Die Türkin kam frei, Brunson zunächst nicht; eine Woche und einige zornige Trump-Tweets später wandelte das Izmirer Gericht die Haft in Hausarrest um, offiziell wegen Gesundheitsproblemen des Pastors. Das reicht Washington nicht.

Vermutet wird, dass Erdoğan den USA weitere Zugeständnisse abringen wollte: Oben auf der Wunschliste steht Gülens Auslieferung. Auch wenn Ankara betont, im Fall Brunson nichts tun zu können, die Justiz sei ja unabhängig, so war es doch Erdoğan selbst, der im Jahr 2017 einen Tausch vorgeschlagen hatte nach dem Prinzip: Ihr bekommt euren Geistlichen, wir bekommen unseren.

Die jüngste Eskalation könnte die Türkei teuer zu stehen kommen, die Wirtschaft ist ohnehin angeschlagen, nun stürzte die türkische Lira weiter ab. Ginge es nur nach ökonomischen Erwägungen, müsste Erdoğan einlenken, zu groß ist der Schaden, den weitere Sanktionen anrichten würden. Innenpolitisch aber nützt ihm der Streit. Am Donnerstag veröffentlichten vier Parteien eine Erklärung: Erdoğans AKP, ihr Partner MHP - und zwei Oppositionsparteien, die Mitte-links-Partei CHP und die rechte Iyi-Partei. Man verurteile die Sanktionen und sei solidarisch mit allen Schritten, die die Regierung ergreifen werde, heißt es darin. Auch die Front, der sich Trump in Ankara gegenübersieht, ist zumindest erst einmal geschlossen.

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