Süddeutsche Zeitung

Youtube-User stellen Fragen an Kanzlerin:"Frau Merkel, haben Sie mich aufgegeben?"

Lesezeit: 3 Min.

Wer die Kanzlerin sprechen will, muss Politiker sein, Journalist oder Mitglied einer Lobby. Normalbürger haben es dagegen schwer - es sei denn, sie nehmen an der neuen Internet-Kampagne der Regierung teil: Von Freitag an will Merkel Fragen von Youtube-Nutzern beantworten. Was sind das für Leute und was wollen sie wissen? Viele Beiträge sind eher Hilferufe als konkrete Fragen.

Jakob Kienzle und Michael König

Ob Angela Merkel vorher mal in Schwäbisch Gmünd angerufen hat? Dort hätte man der Kanzlerin sagen können, dass Kommunikation im Internet bisweilen unberechenbar ist. Als das baden-württembergische Städtchen den Namen eines neuen Tunnels online zur Abstimmung stellte, votierte die Facebook-Gemeinde mehrheitlich für Bud Spencer als Namensgeber. Ähnliche Probleme hatte einst der Otto-Versand, der im Netz ein Fotomodell für seinen Weihnachtskatalog suchte. Es gewann: "Der Brigitte", ein von der Kampagne genervter Mann in Frauenkleidern.

Merkel bekommt es nun voraussichtlich mit Drogen zu tun, mit viel Kritik - und persönlichen Hilferufen. Die Kanzlerin hatte die Nutzer der Internetplattform Youtube aufgerufen, ihr Fragen zu stellen. Knapp 1800 Vorschläge gingen ein. Zehn sollen von der CDU-Chefin persönlich beantwortet werden. Welche, das haben die User per Votum entschieden. Von diesem Freitag an will Merkel in Videobotschaften antworten. An erster Stelle steht eine Frage zur Legalisierung von Cannabis, eingereicht vom "Hanfverband": Wie Merkel dazu stehe, die Droge zu legalisieren und Suchtprävention über Cannnabissteuern zu finanzieren.

Ob Euro-Krise, der Mindestlohn oder das Betreuungsgeld - die aktuelle Tagespolitik spielt bei der Aktion eine untergeordnete Rolle. In die Top Ten haben es Fragen nach der Zulässigkeit von Parteispenden und Nebentätigkeiten von Politikern geschafft. Außerdem die Frage, warum sich die Prüfung von Online-Petitionen so lange hinzieht, und die Forderung, mehr in Bildung zu investieren. Viele der knapp 1800 Fragen kommen von Menschen, die mit ihrer Situation unzufrieden sind - und die Regierung dafür mitverantwortlich machen.

Zum Beispiel ein anonymer User, der erzählt, dass er trotz abgeschlossener Berufsausbildung und mehreren Jahren Arbeitserfahrung seit Jahren arbeitslos ist. "Hat die Politik, haben Sie mich aufgegeben?", fragt er.

Oder Sinan: "Ich bin 16 und muss jetzt schon Angst um meine Zukunft haben, weil Geld, das nicht vorhanden ist, in das Ausland gesteckt wird anstatt in die Bildung", schreibt er. "Ist Ihnen egal, was mit D. passiert, nachdem Ihre Amtszeit abgelaufen ist?"

"Sie wird sich in Ausreden flüchten"

Der Youtube-Nutzer Kalib hat seine Frage in einem Video gestellt. Im dicken Pullover sitzt er in seiner Wohnung mit vorgezogenen Vorhängen. Von Merkel will er wissen, warum der Heizkostenzuschuss für Wohngeldempfänger gestrichen und trotz steigender Energiepreise nicht wieder eingeführt wurde. "Frau Merkel, da muss was geändert werden", sagt er.

Seinen Unmut hat Kalib in der Vergangenheit schon in Leserbriefen geäußert, die er an Zeitungen schickte. Jetzt hätte er gerne eine Antwort von der Kanzlerin persönlich. Auch wenn er sich davon nicht viel verspricht, wie er im Gespräch mit sueddeutsche.de sagt: "Sie wird sich in Ausreden flüchten, die ihr ihre Berater zurechtgestrickt haben."

Viele User sind skeptisch, doch die Regierung wertet die Aktion schon jetzt als Erfolg. "Das Interesse hat unsere Erwartungen weit übertroffen", sagte Steffen Seibert in einer Videobotschaft. Der twitternde Regierungssprecher gilt als einer der Vorreiter der digitalen Kommunikationsoffensive der schwarz-gelben Regierung. Die Youtube-Kampagne ist der nächste Schritt.

Binnen weniger Wochen - das älteste abrufbare Video stammt vom 12. Oktober 2011 - hat der Regierungskanal etwa 2500 Abonnenten gefunden. Zum Vergleich: CDU.tv, der offizielle Kanal der Merkel-Partei, wird seit 2009 mit Videos befüllt - und hat nur knapp 100 Abonnenten mehr.

Im Vergleich zur gesamten Bevölkerung sind das verschwindend geringe Werte - doch scheinen Merkel und die CDU verstärkt darauf zu achten, ihre Politik dem Netzpublikum näher zu bringen, unabhängig von der Reichweite. Der Erfolg der Piraten (8,9 Prozent bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus, acht Prozent in bundesweiten Umfragen) scheint manch einen in der Regierungspartei aufgeschreckt zu haben, wie etwa auch die Twitter-Bemühungen von Peter Altmaier, Parlamentarischer Geschäftsführer der Unionsfraktion, zeigen.

Ob die Youtube-Kampagne tatsächlich ein Erfolg ist, bleibt abzuwarten. Schon jetzt zeichnet sich jedoch ab, dass sie junge Leute erreicht.

Der 15-jährige Fabian freut sich, dass er einer der Ersten ist, die beim Bürgerinterview auf Youtube der Kanzlerin ihre Fragen einreichen. Er möchte von Merkel wissen, ob sie vorhat, das Internet stärker zu überwachen. Offline beteiligt er sich bislang noch nicht politisch - fürs Wählen ist er noch zu jung. Im Gespräch mit sueddeutsche.de erklärt er: "Ich bin sehr gespannt, wie sich unsere Frau Kanzlerin macht, ob sie ihrer Linie treu bleibt und uns das erzählt, was wir gerne hören würden, oder auch mal ein wenig polarisiert."

Student Daniel hat die Kanzlerin in seinem Videobeitrag für ihr Handeln in der Eurokrise kritisiert. "Ich habe der Bundeskanzlerin keine Frage im eigentlichen Sinne gestellt. Ich nutze dieses Kommunikationsangebot auch, um mich einzumischen und meine Meinung zu sagen."

Wie Hunderte anderer Youtube-Nutzer, die ihre Fragen gepostet haben, warten Fabian und Daniel nun auf die Antworten der Kanzlerin. Ob dabei viel herauskommt, ist fraglich. Die Regierung hat schon angekündigt, die beliebtesten Einsendungen um "ähnliche Fragen" zu ergänzen.

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