Was Strom kosten darf:Die Energie-Lüge

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Was kostet Energie? Von "bezahlbarem Strom" zu sprechen, ist im Grunde Betrug. Es ist eine Scheinwelt, in der Energie so billig ist, dass sie hemmungslos verschleudert werden kann, die wahren Kosten sind weit höher, als sie auf den Stromrechnungen erscheinen. Eine verantwortliche Energiepolitik wird teurer für den Verbraucher. Aber sollte es uns das nicht wert sein?

Patrick Illinger

Was kostet Energie? Einen Euro und siebzig Cent pro Liter Super-Benzin würde vielleicht ein Autofahrer antworten. 100 Dollar das Barrel Rohöl könnte ein Börsenmakler vorrechnen. Und eine Familie müsste auf die knapp 25 Cent verweisen, die ihr Stromanbieter für die Kilowattstunde in Rechnung stellt. Doch alle diese Antworten sind falsch.

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Auch Windräder sind hässlich: Die billige, nachhaltige, umweltneutrale, Landschaften erhaltende und autarke Energiequelle gibt es nicht.

(Foto: dpa)

Die wahren Kosten von Energie liegen viel höher; wahrhaben möchte das aber niemand. Das ist in Deutschland das große Problem der festgefahrenen Debatte über die Energie der Zukunft. Strom müsse "bezahlbar" bleiben, fordern jene Volksvertreter, die noch vor wenigen Wochen leidenschaftlich für die Kernkraft eintraten und nun, weil das nicht mehr opportun erscheint, mit schmaleren Lippen die Nachteile eines Atomausstiegs betonen. Bezahlbar? Das klingt konsensfähig. Aber im Grunde ist es Betrug.

Der Begriff "bezahlbar" als Synonym für "so billig wie bisher" suggeriert, die heutige Welt könne unverändert erhalten bleiben. Es ist eine Scheinwelt, in der Energie so billig ist, dass sie hemmungslos verschleudert werden kann. Es ist eine Welt, in der sich kaum jemand darum schert, ob sein Computer über Nacht ausgeschaltet ist, wie viel der Kühlschrank verbraucht und wie viel Wärme durch schlecht gedämmte Fenster verpufft.

In dieser Welt kostet ein 159-Liter-Fass Erdöl weniger als eine Nacht im Mittelklassehotel. Menschen pendeln mit Autos zur Arbeit, die so viel Leistung haben wie vor hundert Jahren ein ganzes Elektrizitätswerk.

In dieser Welt kann man eine 60-Watt-Glühbirne 37 Stunden lang brennen lassen zum Preis einer Standard-Briefmarke. Natürlich profitiert die Industrie von diesen Preisen. In den meisten Fabriken zählt nur die Produktivität der Maschinen, die Zuverlässigkeit und die Anschaffungskosten. Der Energieverbrauch ist eine Marginalie in der Bilanz.

Wer mit "bezahlbar" den Erhalt dieses Zustands meint, verschweigt unwissentlich oder arglistig die wahren Kosten von Energie. Sie liegen weit höher, eigentlich kein Wunder, wenn täglich weltweit 86 Millionen Fässer Öl verbrannt werden, wenn 400 zum Teil veraltete Kernkraftwerke dampfen, wenn Hunderte Kohlekraftwerke in Asien die Luft verpesten und fruchtbare Äcker mit Raps für Biodiesel bepflanzt werden.

Kriege um Öl sind die Folge, verschmutzte Küsten, steigende Meeresspiegel, verstrahlte Landschaften, Feinstaub, Atommüll, Nahrungsknappheit und, ja, auch ästhetische Einbußen wie Windräder vor dem Wohnzimmerfenster.

Wer seriös über Energie reden will, muss anerkennen, dass die wahren Kosten des globalen Energiehungers nie auf Stromrechnungen erscheinen, sondern von der Gemeinschaft getragen werden. Das ist nicht nur der Fall, wenn eine Ölplattform wie im Golf von Mexiko abbrennt oder ein Kernkraftwerk wie in Japan explodiert.

Energieverbrauch erzeugt ständig Kosten, die auf unterschiedlichste Weise beglichen werden müssen, oft auch mit Menschenleben. Hunderttausende Chinesen sterben jährlich an der Luftverschmutzung. Vor allem aber, und das ist die abscheulichste Art, die Kollateral-Kosten des heutigen Energiehungers zu verschleiern, werden Erblasten aufgehäuft: verbrauchte Ressourcen, verstrahlte Endlager, eine mehrere Grad wärmere Erdatmosphäre.

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