Was Ägypter über die Präsidentschaftswahl denken:"Alle Kandidaten sind Marionetten des Militärs"

Wer folgt auf Mubarak? 50 Millionen Ägypter sind aufgerufen, einen neuen Präsidenten zu wählen. Wir haben Menschen in Kairo, Alexandria und Gize gefragt, wie sie die Militärherrschaft erleben, was sie sich von den Wahlen erhoffen und für welchen Kandidaten sie gestimmt haben.

Sarah Ehrmann

Noch sind die Wahllokale geöffnet. Bis Donnerstagabend können die Ägypter entscheiden, wer künftig ihr Präsident ist. Die fünf aussichtsreichsten Kandidaten sind: Amr Mussa, ehemals Außenminister des verhassten Despoten Mubarak. Ahmed Schafiq, ein ehemaliger General. Mohammed Mursi, eine Art Not-Kandidat der Muslimbrüder. Abdel Moneim Abul Futuh, ein Mediziner, der unterschiedliche Interessengruppen vereint. Und Hamdi Sabahi, der am ehesten für die Demonstranten auf dem Tahrir-Platz spricht. (Eine Übersicht über die Kandidaten, ihre Vergangenheit und ihre Ziele lesen Sie in diesem SZ-Artikel.)

Egal, wer gewinnt, er bekommt viel zu tun: Faktisch wird Ägypten vom Militär beherrscht, das jüngst von Amnesty International wegen der Gewalt und Unterdrückung des Volkes kritisiert wurde. Wir haben mit Ägyptern darüber gesprochen, wie sie die Lage in ihrer Heimat empfinden und welche Hoffnungen sie mit der Präsidentschaftswahl verbinden.

[] Sally Bondok, 42, Lehrerin in Kairo: "Die Wahl ist ein wichtiger Moment für Ägypten. Natürlich habe ich gewählt, gleich gestern um viertel vor acht, als noch keine Schlangen vor den Wahllokalen waren. Ich will mitentscheiden, wer unser Land regieren wird, und hoffe, dass es dem Präsidenten gelingt, die unterschiedlichen Parteien zu einer konstruktiven Arbeit zusammenzubringen. Wir brauchen Sicherheit, müssen etwas für unsere Wirtschaft und Bildung tun und unsere Außenpolitik verbessern.

Die Kriminalität ist zu einem großen Problem geworden, seit Mubarak weg ist. Ich habe mir vorher nie Gedanken darüber gemacht, wann ich wohin gehe. Doch als mein erwachsener Sohn heute morgen um halb sechs joggen gehen wollte, hatte ich ein mulmiges Gefühl und habe ihn gebeten, besser ins Fitnessstudio zu gehen.

Ich kann verstehen, dass viele enttäuscht und ernüchtert von der Zeit nach Mubarak sind. Sie rufen nach einer Verfassung und halten die Präsidentschaftskandidaten für ungeeignet. Dennoch glaube ich, dass ein Boykott der Wahl das falsche Zeichen wäre. Ich würde lieber ungültig wählen als gar nicht."

[] Hani, 30, IT-Techniker in Kairo: "Ich habe meine Stimme Amr Mussa gegeben, Mubaraks ehemaligem Außenminister. Die Entscheidung fiel im Ausschlussprinzip, vor allem weil ich als koptischer Christ keinen Islamisten wählen möchte. Ahmed Shafiq ist für mich ebenfalls unwählbar, weil in seiner Zeit als Premierminister (29. Januar bis 3. März 2011, Anmerkung der Redaktion) das sogenannte El-Gamal-Massaker geschehen ist: Bewaffnete Schläger sind auf Kamelen in den Tahrirplatz eingefallen, um die Demonstrierenden zu zerstreuen, viele wurden schwer verletzt.

Ich hätte gerne für Khaled Ali oder Abou el-Ezz el-Hariri gestimmt, sie sind exzellente Kandidaten, aber ihre Chancen sind zu gering. Ihnen hat im Wahlkampf das Geld gefehlt.

Mir ist jetzt vor allem die kommende Verfassung wichtig. Ich frage mich, ob sie den Staat in einen säkularen oder einen religiösen verändern wird, in dem religiös motivierte Diskriminierung an der Tagesordnung sein wird. Es geht um individuelle Freiheit, Menschenrechte, das Gesundheitssystem und Mindestlohn. In den vergangenen 15 Monaten wurden sechs Kirchen angegriffen, ohne juristische Konsequenzen. Immer noch verschwinden Personen nach Demonstrationen oder werden verletzt, es gab schreckliche Übergriffe von Seiten des Militärs. Ich war selbst betroffen, und möchte deshalb nicht, dass mein Nachname genannt wird."

[] Maged Butter, 28, Architekt in Alexandria: "Meine Stimme ist der Boykott. Ich misstraue der Armee und dem Obersten Militärrat, daher wähle ich nicht. Seit 60 Jahren beherrschen uns die Militärs, seit Mubaraks Sturz haben sie Kriegsverbrechen begangen und 12.000 Zivilisten vor Militärgerichten abgeurteilt. Unter Mubarak waren diese Militärprozesse viel weniger verbreitet.

Die Armee hat Blut an ihren Händen - wie sollte ich glauben, dass sie über Nacht zu den Guten geworden sind? Ich werde nicht Teil ihres Spiels sein, denn nichts anderes sind die Wahlen. Alle Kandidaten sind Marionetten des Militärs - keiner von ihnen würde das Militär für Verbrechen im vergangenen Jahr zur Rechenschaft ziehen. Aber wie soll ein neuer Präsident regieren, wenn jetzt schon klar ist, dass er Ungerechtigkeiten nicht nachgehen wird?

Es ist so, als käme ein Dieb in dein Haus und will dir alles nehmen. Du schaffst es nicht, dich gegen ihn zur Wehr zu setzen. Er zieht also bei dir ein und bedient sich an deinen Sachen. Irgendwann sagt er: 'Okay, wir spielen ein Spiel. Wenn du gewinnst, bekommst du alles zurück.' - Würdest du ihm trauen? Das ist unsere Situation. Die Armee hat die Kontrolle übernommen, verkündet, 'das ist unser Ägypten'. Jetzt bieten sie uns ein Spiel an. Doch ohne mich.

Außerdem gibt es noch keine fertige Verfassung. Ein Präsidentschaftskandidat kann sich doch nicht um einen Job bewerben, wenn er gar nicht weiß, unter welchen Bedingungen er antritt. Es gibt keinen echten Vertreter der Tahrir-Jugend in der Wahl. Selbst Khaled Ali gehört nicht mehr zu uns, denn indem er sich auf die Kandidatur eingelassen hat, hat er sich mit der Armee verbündet. Er ist für uns unwählbar."

[] Salwa Belal, 31, Assistentin aus Gizeh: "Ich werde sicher noch wählen, bisher habe ich es nur noch nicht geschafft. Ich habe mich auch noch nicht zwischen Hamdin Sabahi und Abdel Moneim Abul Futuh entscheiden können. Auch wenn Futuh einst bei den Muslimbrüdern war, und ich die nie wählen würde, käme er für mich in Frage. Schließlich ist er schon lange aus der Partei ausgetreten. Nun ist er in erster Linie Politiker.

Bei den Muslimbrüdern würde man nicht die Person, sondern die Partei wählen. Außerdem sind sie bereits im Parlament gescheitert: Ägypten ist in einer Phase, wo man selbst kleinste Veränderungen bemerkt, aber die haben einfach gar nichts erreicht. Dabei denke ich, dass Probleme wie ständige Verkehrsstaus oder die hohen Preise für Nahrung lösbar sein müssten.

Aber besonders wichtig ist mir, dass kein Anhänger des alten Regimes, wie Amr Mussa oder Ahmed Schafiq Präsident wird, das ist die Hauptsache."

Was erwarten Sie von den Wahlen in Ägypten? Diskutieren Sie mit uns bei Google Plus, Facebook oder Twitter!

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