Süddeutsche Zeitung

Warum das Betreuungsgeld schlechte Familienpolitik ist:Gebt uns Zeit, nicht Geld

Das Betreuungsgeld ist eine falsche Investition und symptomatisch für eine Politik, die das grundsätzliche Dilemma der Familien nicht löst: Das Engagement im Beruf steht auf der gesellschaftlichen Prioritätenliste ganz oben - und nicht die Familie. Wir müssen vom Anspruch der Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit und der stetigen Produktivitätssteigerung abrücken, wenn wir uns mehr Kinder wünschen.

Corinna Nohn

Die Kinder von armen Eltern sind dem Staat weniger wert als die Kinder der anderen. Das ist die grundfalsche und bittere Konsequenz der jüngsten Pläne für das Betreuungsgeld: Hartz-IV-Empfänger, die ihre kleinen Kinder zu Hause erziehen, müssen sich den Zuschuss auf die Sozialleistung anrechnen lassen. Es ist nicht das erste Mal, dass der Staat Milliarden für Familien ausgibt und die Bedürftigsten von der Leistung ausschließt. Auch bei Kindergeld und Elterngeld profitieren die Armen nicht; auch dort erhalten Besserverdiener unter dem Strich höhere Zuschüsse als die Normalverdiener.

All das mag rechtlich begründbar sein. Aber es ist eine Investition an falscher Stelle und ein armseliges Signal: Es geht der Familienpolitik offensichtlich nicht grundsätzlich darum, Paare zur Familiengründung zu ermuntern, Eltern zu unterstützen und so die Gesellschaft am Leben zu erhalten. Sondern es geht ihr vorrangig um die Förderung der Gut- und Besserverdiener. Die sind ja auch die Einzigen, die freiwillig auf die Idee kommen können, dass ein Elternteil bei den Kindern zu Hause bleibt. Allein ihnen winkt nun das Betreuungsgeld. Denn die Geringverdiener, etwa die Verkäuferin und der Fliesenleger, haben nicht die Wahl, ob sie für 150 Euro daheim bleiben oder nicht. Sie müssen beide arbeiten, weil sie auf keinen Euro verzichten können; sie müssen froh sein, wenn sie ihren Arbeitsplatz behalten; sie müssen zwei Jobs und Familienleben vereinbaren.

Diese Vereinbarkeit ist der Knackpunkt aller familienpolitischen Ziele - sei es die höhere Geburtenrate, die Chancengleichheit, seien es mehr Mütter im Beruf. Man kann es in jedem Entwicklungsland beobachten: Sobald Frauen der Gleichberechtigung näher kommen, sich besser qualifizieren und selbst Geld verdienen, sinkt die Geburtenrate. Sie steigt erst wieder, wenn Beruf und Familie harmonieren. Dies muss im Mittelpunkt kluger Familienpolitik stehen. Das Betreuungsgeld ist keine kluge Investition, es ist symptomatisch für eine Familienpolitik, die der grundsätzlichen Frage ausweicht: Welche Arbeitswelt wünscht sich die Gesellschaft - und worauf ist sie bereit zu verzichten, wenn Frauen mehr Kinder bekommen?

Wer ideale Politik für Familien machen möchte, muss von anderen Idealen abrücken, zum Beispiel vom Ziel der immer weiter steigenden Produktivität, des stetigen Wirtschaftswachstums. Mütter sind nicht einfach, wie Wirtschaftsvertreter meinen, eine "stille Reserve", die man in berufstätige "Fachkräfte" verwandeln kann. Fachkraft sein bedeutet, Zeit zu investieren in Aus- und Weiterbildung - Zeit, die dann notgedrungen irgendwo anders fehlt. Deshalb schwingt in der endlosen Debatte ums Betreuungsgeld so viel Empörung und Verbitterung mit. In dieser Debatte geht es um die gesamtgesellschaftliche Prioritätenliste, auf der zurzeit das Engagement im Beruf ganz oben steht und nicht die Familie. Es gilt, dies zu ändern.

Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit ist ein Ideal

Es gibt zwar kaum noch ein Unternehmen, das sich nicht familienfreundlich nennt. Aber tatsächlich ist die Vereinbarkeit von Familie und Beruf letztlich doch gar nicht erwünscht. Mittlerweile arbeitet zum Beispiel jeder zweite Beschäftigte in Deutschland außerhalb des Zeitfensters neun bis 17 Uhr - also in Schichtarbeit, nachts, am Wochenende.

Das macht ein Familienleben kompliziert und trifft die Verkäufer im Supermarkt genauso wie die Notfallchirurgin oder den Manager, der Überstunden macht; ihnen hilft auch ein Ganztagskrippenplatz nicht viel. Aber die Menschen wünschen sich, dass das so ist: Sie möchten samstagnachmittags einkaufen, sie fordern von Dienstleistern Rund-um-die-Uhr-Erreichbarkeit, sie wollen nach 17 Uhr noch einen Arzttermin vereinbaren können. Sie wünschen sich obendrein mehr ehrenamtliches Engagement - aber keiner sagt, wo das neben Job und Kindererziehung noch Platz haben soll. Man kann das nicht alles haben.

Nun heißt es oft, dass sich mehr Menschen die Arbeit teilen sollen, um dann mehr Zeit fürs Private haben. Das entspricht dem Ideal vieler junger Paare, funktioniert aber ohne Kompromisse nur bei einfachen Tätigkeiten. Je weiter der Job vom Fließband entfernt ist, desto einfacher und produktiver ist es aus betriebswirtschaftlicher Sicht, wenn ein Kopf zu 120 Prozent mit einer Sache befasst ist, anstatt dass sich zwei Köpfe die Arbeit teilen. Der Erfolg der deutschen Wirtschaft baut zunehmend auf Kreativität, Innovationen und jene Überstunden, welche gerade die Qualifizierten leisten. An diesem Dilemma kann auch der Kita-Ausbau nur wenig ändern. Jedenfalls legen das die Beispiele Schweden oder Frankreich nahe: Dort funktioniert die Vereinbarkeit von Familie und Beruf angeblich so viel besser als in Deutschland, aber dort sind Wochenarbeitszeit und Produktivität pro Kopf geringer.

Junge Eltern merken schnell, dass sie sich entscheiden müssen. Sie müssen zugunsten des Familienlebens auf Überstunden, auf Zeit für Hobbys und Lebensstandard verzichten. Übertragen auf das große Ganze heißt das: Wenn das Gemeinwesen mehr Kinder und zugleich mehr Fachkräfte haben will, dann muss es Abstriche machen bei den kommerziellen und wirtschaftlichen Errungenschaften, die den hohen Lebensstandard sichern.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1341940
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 26.04.2012/fran
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.