Für die einen ist es ein Kristallisationspunkt ihrer Geschichte und von überragender symbolischer Bedeutung, für die anderen ist es leider nach wie vor ein relativ blinder Fleck. Das ist soeben wieder klar geworden bei den Gedenkfeiern zum 80. Jahrestag des Warschauer Aufstands von 1944. In Deutschland fehlt noch immer sehr viel Wissen um den Aufstand der polnischen Heimatarmee. Das ist umso bedauerlicher, wenn man die Verheerungen bedenkt, die Wehrmacht und SS bei der Niederschlagung des Aufstands in der Hauptstadt des Nachbarlandes angerichtet haben. Heinrich Himmler sagte es im September 1944 ganz offen: „Außerdem habe ich gleichzeitig den Befehl gegeben, dass Warschau restlos zerstört wird. (...) Der Befehl lautet: Jeder Häuserblock ist niederzubrennen und zu sprengen.“ Am Ende des Krieges waren gerade einmal zehn Prozent der Häuser unzerstört.
150 000 zivile Tote nach zwei Monaten Kampf
Abhilfe kann da die Lektüre des schmalen Bandes „Der Warschauer Aufstand 1944“ aus der Feder des Osteuropa- und Holocaustexperten Stephan Lehnstaedt schaffen. Der Reclam-Verlag hat seit einigen Jahren die verdienstvolle Reihe „Kriege der Moderne“ aufgelegt, ein großer Fokus liegt auf Einzeldarstellungen zum Zweiten Weltkrieg auf dem neuesten Forschungsstand. Herausgegeben wird die Reihe vom Zentrum für Militärgeschichte und Sozialwissenschaften der Bundeswehr. Einige militärisch-taktische Details sind aus diesem Grund für Laien recht speziell, ebenso die Karten, jedoch ist die Reihe durchaus auch auf Volksbildung angelegt.
Lehnstaedt erklärt fundiert das deutsche Besatzungsregime in Polen, den dortigen Widerstand und wie Ende Juli 1944 die „Armia Krajowa“ sich gegen die Deutschen erhob – ohne große Aussicht auf Erfolg und ohne die Unterstützung der Roten Armee, die keine Anstalten machte, den Polen zu Hilfe zu kommen. Er porträtiert die handelnden Personen auf beiden Seiten und analysiert, wie die Besatzer nach ersten Verlusten auf brutalste Art und Weise reagierten und Kämpfer und Zivilisten ohne Unterschied ermordeten. 150 000 zivile Tote, Hunderttausende Deportierte und die symbolische und reale Zerstörung Warschaus waren die Folge. Herausragend auch die Auswahl der zahllosen, teils kaum bekannter Fotos. Dieses monströse Kriegsverbrechen sollte 80 Jahre später endlich in den Köpfen der Deutschen einen angemessenen Platz finden.