Gedenken an Schrecken der Nazi-Herrschaft:Positive Botschaft

Gedenken an Schrecken der Nazi-Herrschaft: Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede in Warschau.

Frank-Walter Steinmeier bei seiner Rede in Warschau.

(Foto: Kacper Pempel/REUTERS)

Warum der Bundespräsident in Warschau eine gelbe Blume trug.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Die Bastelanleitung für die gelben Papiernarzissen gibt es auf der Homepage des Museums für die Geschichte der polnischen Juden in Warschau. In sechs Sprachen, darunter neben Polnisch auch Deutsch und Hebräisch. Den Sprachen der drei Präsidenten also, die sich an dem kalten und verregneten Aprilmittwoch in dieser Woche in Warschau vor dem Mahnmal für die Helden des Ghetto-Aufstandes die Hände reichten. Ein Bild für die Geschichtsbücher, ein Zeichen der Versöhnung in Zeiten höchst angespannter Beziehungen zwischen den jeweiligen Regierungen.

Die Narzissen dominieren um diese Jahreszeit jeden Park und jeden Grünstreifen in Warschau, die Winter sind lang und dunkel, der Frühling ist eine Verheißung. Doch was ist in Polen schon unpolitisch? Die gelben Frühlingsblumen, echte und solche aus Papier, sind in Warschau auch das unübersehbare Zeichen des Gedenkens an die Menschen, die von den deutschen Besatzern im Zweiten Weltkrieg in das Ghetto gezwungen und fast alle ermordet wurden. Alle drei Präsidenten trugen bei ihren Reden eine solche Papierblüte am Revers.

Nicht nur sie. Etwa 450 000 Blumen wurden auf den Straßen von sechs polnischen Städten verteilt, die Zahl soll an die Zahl der Toten im Warschauer Ghetto erinnern. Man erhält die Blume als geschlossene Knospe, auf der das Datum 19.04.1943 zu lesen ist. Dann kann man sie zu voller Blüte aufklappen. Viele Menschen kaufen aber auch echte Narzissen, um sie an einem der Gedenkorte niederzulegen.

Marek Edelman machte die Blumen zum Symbol. Edelman, einer der Anführer des Ghetto-Aufstandes, erzählte Hanna Krall für ihr Buch "Dem Herrgott zuvorkommen" davon, dass er jedes Jahr am 19. April von einer Unbekannten einen Strauß gelbe Narzissen erhalte. Er legte diese dann am Mahnmal in Warschau nieder.

Doch sieht die aufgeklappte Blüte nicht irgendwie auch aus wie ein Davidstern? Und damit wie das Kennzeichen, das die Nazis den Juden aufzwangen? Und wenn ja, darf man das tragen? Ja, die Blüte sieht aus wie ein Davidstern, und das soll sie auch. Und warum sollte man das nicht tragen dürfen, lautet dann in Polen die Antwort. Tatsächlich trugen die Juden im Warschauer Ghetto keinen gelben Stern. Stattdessen mussten sie eine weiß-blaue Armbinde ebenfalls mit dem Davidstern tragen. Dennoch ist die Bedeutung natürlich bekannt.

Ewa Budek vom Jüdischen Museum Polin hat die Blumenaktion im Jahr der Eröffnung des Museums, zum 70. Jahrestag des Aufstandes, 2013 erdacht. Sie erklärte später dem Magazin Polityka, sie habe ein Symbol finden wollen, das die Bedeutung des Tages weit über die Gedenkfeiern und Reden hinaus in die Bevölkerung trägt. Dabei habe sie auch die Mohnblüte inspiriert, die man in Großbritannien und dem Commonwealth zur Erinnerung an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs trägt. Die Papierblume beziehe sich auf den Stern, erklärte sie. "Wir kehren jedoch die von den Deutschen auferlegte negative Stigmatisierung um und zeigen, dass das Symbol eine positive Botschaft trägt: gemeinsame Erinnerung und Solidarität." Die Aktion bekommt jedes Jahr ein anderes Motto. In diesem Jahr lautete es "Die Erinnerung bringt uns zusammen". In Bezug auf die Präsidenten hat das nun funktioniert.

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