Präsidentschaftswahl in PolenÜberall Patrioten

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Rafał Trzaskowski und seine Frau stehen am Sonntag vor einem Fahnenmeer in den polnischen Landesfarben Weiß und Rot. Der Kandidat der Regierung von Donald Tusk will am nächsten Sonntag die Präsidentschaftswahl gewinnen.
Rafał Trzaskowski und seine Frau stehen am Sonntag vor einem Fahnenmeer in den polnischen Landesfarben Weiß und Rot. Der Kandidat der Regierung von Donald Tusk will am nächsten Sonntag die Präsidentschaftswahl gewinnen. (Foto: Omar Marques/Getty Images)

In Warschau kommt es am Sonntag zum Wettstreit der Wahlkämpfer. Die beiden Präsidentschaftskandidaten rufen jeweils ihre Anhänger in die Hauptstadt. Und einer kann sich freuen.

Von Viktoria Großmann, Warschau

Rafał Trzaskowski hat Heimvorteil. Zehntausende, vielleicht Hunderttausend Menschen oder mehr drängen sich am Sonntagmittag vor dem Warschauer Rathaus, die U-Bahn-Züge sind randvoll, nur in kleinen Schritten schaffen es die Menschen auf den schon fast überfüllten Platz. Der Warschauer Bürgermeister Trzaskowski will am Sonntag in einer Woche die polnische Präsidentschaftswahl gewinnen. Er wird von der konservativ-liberalen Regierung Donald Tusks unterstützt. Zuvor hatte er zum „Marsch der Patrioten“ aufgerufen, in seinem Geburts- und Arbeitsort. Bei Weitem nicht nur Warschauer sind gekommen. Viele tragen Schilder mit den Namen ihrer Regionen und Städte vor sich her.

Gleichzeitig beginnt zwei Kilometer entfernt der „Marsch für Polen“. An ihm nehmen die Anhänger von Karol Nawrocki teil, Kandidat der rechtsnationalistischen Partei Recht und Gerechtigkeit, kurz PiS. Nawrockis Marsch kann als Gegendemo gelten, die Kundgebung wurde deutlich später angekündigt. Nawrocki hatte in der ersten Runde der Wahl 29,5 Prozent der Stimmen erhalten, Trzaskowski 31,4. Am kommenden Sonntag gehen die beiden in die Stichwahl, in einer Umfrage vom Freitag standen beide bei 47 Prozent.

„Wir wollen in der EU bleiben“, sagt eine Anhängerin von Rafał Trzaskowski

Sehr ähnlich sind nicht nur die Namen der beiden Kundgebungen. Ähnlich sind auch einige Losungen, Vorwürfe und Versprechen beider Seiten. Es ist ein Kampf um den wahren Patriotismus. Unterscheiden kann man die Teilnehmer des einen und anderen Marsches äußerlich kaum, Alte, Junge, Männer, Frauen, Kinder. Überall ein weiß-rotes Fahnenmeer. Nur, dass auf der Trzaskowski-Demo dazwischen auch EU-Flaggen und die ein oder andere Regenbogenfahne wehen. Bei Nawrocki sieht man vereinzelt USA-Flaggen oder mal auf einem Schild eine durchgestrichene deutsche Flagge - dabei geht es um den alten PiS-Vorwurf, das Tusk-Lager unterwerfe sich Deutschland oder werde gar von diesem gelenkt.

Dieselben Farben, dieselben Gesten, aber sehr andere Ansichten: Karol Nawrocki, Präsidentschaftskandidat der PiS-Partei, kam mit seinen Anhängern zur Gegendemo nach Warschau.
Dieselben Farben, dieselben Gesten, aber sehr andere Ansichten: Karol Nawrocki, Präsidentschaftskandidat der PiS-Partei, kam mit seinen Anhängern zur Gegendemo nach Warschau. (Foto: WOJTEK RADWANSKI/AFP)

Eine ältere Frau mit blondem Kurzhaarschnitt, die sich am Ende der Nawrocki-Demo bei einer Zigarette ausruht, sagt auf die Frage, warum sie Nawrocki für den besseren Präsidenten hält, nur: „Weil er ein Pole ist.“ Ministerpräsident Tusk wird von der PiS-Partei immer wieder als Deutscher bezeichnet, es soll eine Beschimpfung sein. Trzaskowski hat von den Nawrocki-Anhängern den Namen „Bążur“ bekommen - nach dem französischen Gruß „Bonjour“. Trzaskowski ist ausgebildeter Dolmetscher und spricht mehrere Sprachen fließend, darunter Französisch. Einige scheinen darin einen Nachteil zu sehen.

Nicht so ein junger Mann, der mit seiner Mutter aus der etwa 130 Kilometer entfernten Großstadt Łódź angereist ist. Sein Plakat zählt mehrere Dinge auf, die aus seiner Sicht für Trzaskowski und gegen Nawrocki sprechen. Es lässt sich zusammenfassen mit: „Besser jemand, der fünf Sprachen spricht, als ein Schläger.“ Seine Mutter sagt: „Wir wollen in der EU bleiben!“ Und außerdem wolle sie niemanden zum Präsidenten, der vor laufender Kamera Nikotin einnimmt.

Es geht um Details in diesen letzten Tagen des Wahlkampfs und gleichzeitig um alles: Kann die Regierung Tusk ihren Kurs zurück zu Rechtsstaatlichkeit, Gewaltenteilung, europäischer Zusammenarbeit fortsetzen? Oder wird die PiS-Partei durch ihren Präsidentschaftskandidaten Tusks Regierung blockieren, das Verfassungsgericht in ihrer Macht behalten, weiter straffällige und verurteilte PiS-Politiker begnadigen, wie es Präsident Andrzej Duda bereits getan hat?

Über den 42-jährigen Nawrocki, der in Geschichte promoviert hat, waren schon bisher einige Skandale bekannt geworden. Nun kam heraus, dass er vor Jahren an Hooligan-Massenschlägereien teilgenommen hat. Nawrocki bekennt sich dazu. Als er in der vergangenen Woche öffentlich darauf angesprochen wurde, erklärte er, er halte „sportliche Betätigung“ für sehr wichtig. „Ehrenvolle Kämpfe“ seien nichts, wofür er sich schäme.

Karol Nawrocki hat zugegeben, vor einigen Jahren an Hooligan-Schlägereien teilgenommen zu haben

Während der TV-Debatte am Freitag hatte Nawrocki sich, während Trzaskowski sprach, hinter vorgehaltener Hand etwas in den Mund geschoben. Sein Wahlkampfteam räumte später ein, es habe sich um sogenanntes Snus gehandelt, Tabak, der oral eingenommen wird. Eine Geste, die bei einigen Zuschauern nur den Verdacht bestärkte, dass der Präsidentschaftskandidat möglicherweise nicht über ausreichende Manieren verfügt.

Nawrocki hatte in der Diskussion Trzaskowski zu große Nähe zu Frankreich vorgeworfen. Außerdem lasse der Warschauer Oberbürgermeister seinen Wahlkampf von „Deutschen und Soros“ finanzieren. Gemeint ist der US-Milliardär und Philantroph George Soros, ein gebürtiger Ungar jüdischer Herkunft.

Trzaskowski, promovierter Geisteswissenschaftler, der mit seinen 53 Jahren auf eine lange politische Laufbahn zurückblicken kann, hatte zu Nawrocki gesagt, dass dessen Pläne und Ansichten dem russischen Präsidenten Wladimir Putin in die Hände spielten. Etwa, dass Nawrocki eine Nato-und EU-Mitgliedschaft der Ukraine infrage stelle und ständig die EU attackiere.

Sicherheit ist eines der großen Themen im polnischen Wahlkampf. Eine Ipsos-Umfrage, die am Freitag veröffentlicht wurde, hatte ergeben, dass sich die Befragten mit einem Präsidenten Trzaskowski sicherer fühlen würden - vor allem die Frauen. Unter diesen hat Trzaskowski ohnehin mehr Fans.

Überraschungsgast aus Rumänien: Der Bukarester Bürgermeister Nicușor Dan (rechts), der vor einer Woche die Präsidentschaftswahl in seinem Land gewonnen hat, wünscht dem Warschauer Bürgermeister Trzaskowski Glück.
Überraschungsgast aus Rumänien: Der Bukarester Bürgermeister Nicușor Dan (rechts), der vor einer Woche die Präsidentschaftswahl in seinem Land gewonnen hat, wünscht dem Warschauer Bürgermeister Trzaskowski Glück. (Foto: SERGEI GAPON/AFP)

Auch Sława gehört dazu. Die 51-Jährige hat zur Demo in Warschau ein Schild mitgebracht: „Frauen, geht zur Wahl.“ Trzaskowski stehe für die Demokratie und den Rechtsstaat, sagt sie, und er werde sich auch für Frauenrechte einsetzen. Sie weiß, dass er allein als Präsident nicht über eine Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen entscheiden könnte. Premier Tusk, der ein solches Gesetz befürwortet, kann es innerhalb seiner vielstimmigen Koalition nicht gegen einen christlich-konservativen Partner durchsetzen. Für Sława aber zählt auch die Haltung Trzaskowskis zu diesem Thema.

Tatsächlich hat Trzaskowski mehrmals erklärt, Frauen müssten selbst entscheiden dürfen. In Polen gilt ein Abtreibungsverbot mit nur zwei streng geregelten Ausnahmen, die kaum zur Anwendung kommen.

Wie viele Menschen an beiden Märschen teilnahmen, war bis zum Sonntagabend nicht genau bekannt. Der öffentlich-rechtliche Sender TVP Info zitiert Schätzungen, nach denen etwa 140 000 Menschen zur Unterstützung des Warschauer Bürgermeisters kamen und etwa 50 000 zu PiS-Kandidat Karol Nawrocki.

Vertreter aller Regierungsparteien, darunter in der ersten Wahlrunde unterlegene Präsidentschaftskandidaten, hatten auf Trzaskowskis Demo gesprochen. Als besonderer Gast war der vor einer Woche zum neuen Präsidenten Rumäniens gewählte pro-europäische Politiker Nicușor Dan aufgetreten. „Rumänien hat gewonnen, Polen wird gewinnen“, rief er der Menge zu.

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