Wannsee-Konferenz:Kaltblütige Planung eines Völkermords

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75. Jahrestag der Wannsee-Konferenz

Vor 75 Jahren wurden in dieser Villa am Wannsee administrative und rechtliche Fragen zum Massenmord an den europäischen Juden verhandelt.

(Foto: dpa)

Im Januar 1942 planten hochkarätige Vertreter des Nazi-Staates die "Endlösung der Judenfrage". Manchen ging es auch um ihre eigenen Aufstiegschancen.

Von Barbara Galaktionow

Am 20. Januar 1942 kommen in einer schmucken Villa am Berliner Wannsee 15 Männer zusammen. Es handelt sich um eine "Besprechung mit anschließendem Frühstück" , so heißt es in der Einladung. Reinhard Heydrich, Chef der Sicherheitspolizei und SS-Obergruppenführer, hat das Treffen veranlasst, das wohl nicht einmal zwei Stunden dauert. Die Ergebnisse werden im Anschluss in einem 15 Seiten umfassenden Protokoll zusammengefasst, ganz wie es sich für behördliche Vorgänge gehört. Das Thema der kurzen Konferenz ist monströs: Die "Gesamtlösung der Judenfrage" in Europa, also der systematische Massenmord an den europäischen Juden.

Das Ziel

75 Jahre später ist in der Öffentlichkeit die Vorstellung immer noch verbreitet, dass damals der Holocaust "beschlossen" worden sei, dass vom Wannsee quasi das Startsignal für den Völkermord ausging. ("Das steht sogar noch in vielen Schulbüchern", sagte Historiker Thomas Sandkühler von der Berliner Humboldt-Uni der Nachrichtenagentur epd.)

"Es gibt ein Bedürfnis, dieses unglaubliche Geschehen des Judenmords an einem konkreten Ereignis beziehungsweise einem Ort und Zeitpunkt festzumachen", sagt dazu Hans-Christian Jasch, Leiter der Gedenkstätte im Haus der Wannsee-Konferenz. "Doch auf der Wannsee-Konferenz wurde nicht die Entscheidung zum Genozid getroffen."

Die Ermordung der Juden war Anfang 1942 bereits in vollem Gang. Mindestens eine halbe Million Menschen waren zu diesem Zeitpunkt getötet worden, vor allem in den besetzten Gebieten in Polen und der Sowjetunion. Und das NS-Regime hatte auch schon damit begonnen, deutsche Juden nach Osten zu deportieren.

Bei der Konferenz am Großen Wannsee ging es also um etwas anderes als eine Grundsatzentscheidung zur Judenvernichtung. Es ging um die Klärung administrativer und rechtlicher Fragen. Reinhard Heydrich, Chef des Reichssicherheitshauptamts, arbeitete seit Anfang 1941 daran, einen "Gesamtplan" für die Deportation der Juden aus Europa zu entwickeln.

Im Vorfeld des Treffens habe es bereits eine ganze Reihe von Besprechungen gegeben, sagt Historiker Peter Longerich, der erst vor Kurzem ein Buch über die Wannsee-Konferenz vorgelegt hat (Longerich, Peter: Wannseekonferenz. Der Weg zur "Endlösung", München 2016). Dabei sei es auf Sachbearbeiter-Ebene um Themen wie den Staatsbürgerschaftsentzug, die Konfiszierung jüdischer Vermögen oder die Frage, wer als Jude gelte und also deportiert werden könne, gegangen.

"Die Wannsee-Konferenz diente nun dazu, auf der Staatssekretärsebene diese Fragen abschließend zu klären", so Longerich. Das gelang auch weitgehend. Umstritten blieb damals allerdings vorerst die Frage, inwieweit "Mischlinge" oder Juden aus "Mischehen" in die Deportationen einzubeziehen seien.

Die Teilnehmer

Dass es sich bei der Zusammenkunft am Wannsee nicht um die entscheidende Konferenz handelte, darauf deutet auch schon die die Zusammensetzung der Teilnehmer. Hier kamen eben nicht die obersten Entscheider zusammen, nicht Hitler, Himmler oder Göring.

Es tagten allerdings hochkarätige Vertreter des Staatsapparats in Berlin und den besetzten Gebieten und SS-Funktionäre, die die "Scharnierebene zwischen Politik und Verwaltung" bildeten, wie Gedenkstättenleiter Jasch sagt, Mitherausgeber eines gerade erschienenen Buches zum Thema (Jasch, Hans-Christian / Kreutzmüller, Christoph (Hg.): Die Teilnehmer. Die Männer der Wannsee-Konferenz, Berlin 2017).

Anwesend waren einige hochrangige Vertreter von SS oder Gestapo wie Otto Hofmann, Chef des SS-Rasse- und Siedlungshauptamts, oder Gestapo-Chef Heinrich Müller, vor allem aber Staatssekretäre verschiedener Ministerien, beispielsweise Alfred Meyer (Reichsministerium für die besetzten Ostgebiete), Wilhelm Stuckart (Reichsministerium des Inneren) oder Josef Bühler (Regierung des Generalgouvernements in Krakau).

Adolf Eichmann, der schon bald eine zentrale Rolle bei der Vernichtung der Juden in Europa spielen sollte, nahm als ein Referatsleiter im Reichssicherheitshauptamt an der Besprechung teil (hier als PDF eine Liste aller Teilnehmer vom Haus der Wannsee-Konferenz).

Die Männer, die da am Wannsee über die den Vollzug der "Endlösung" berieten, kamen mit wenigen Ausnahmen aus eher bürgerlichen Elternhäusern. Mit einem Durchschnittsalter von 42 Jahren waren sie vergleichsweise jung - und sahen sich noch nicht am Ende der Karriereleiter angekommen.

Das Mitwirken an der Judenvernichtung war für sie auch ein Mittel, um sich zu profilieren. "Bei der biografischen Betrachtungsweise wird doch deutlich, dass die Judenpolitik für die Teilnehmer an der Wannseekonferenz auch so eine Art Tummelplatz war, auf dem sie ein Politikfeld besetzen und sich durch besonders radikale Ideen profilieren konnten", sagt Jasch.

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