Süddeutsche Zeitung

Wo Korruption beginnt:Kleine Geschenke, große Gefahr

Dürfen sie zu Weihnachten die Plätzchen von der netten Omi annehmen? Oder zu Silvester die Krapfen vom Landtagsabgeordneten? Viele Beamte sind verunsichert, wann ihnen die Annahme von Geschenken gefährlich werden kann. Dabei gibt es klare Regeln. Ein Gespräch mit Korruptionsbeamten.

Von Charlotte Parnack, Lüneburg

Der Fall liegt nun schon ein paar Jahre zurück, aber die Brisanz ist den Berichten bis heute anzulesen: "Polizisten aus dem Landkreis Harburg schweigen eisern über Details zur ,Weintrauben-Affäre', die ein ganz heißes Eisen zu sein scheint", schrieb im Januar 2006 das Hamburger Abendblatt.

Dennoch gerieten dann Details an die Öffentlichkeit: über den Kommissar D. der Autobahnpolizei, der 2005 nach einer Lkw-Kontrolle im Landkreis Harburg, Niedersachsen, eine Stiege Weintrauben angenommen hatte. Und über die Folgen der verbotenen Früchte: die Anzeige, die Verurteilung, das liebe Geld und am Ende die verschmähten Krapfen und ein empörter Lokalpolitiker.

Das Ganze gipfelte Jahre später in der durchaus ernst gemeinten Kleinen Anfrage eines SPD-Abgeordneten im niedersächsischen Landtag: "Dürfen wir die Merci-Bonbons nun lutschen oder nicht?" Mitarbeiter eines Straßenbauamts hatten aus Verunsicherung Schokolade im Wert von 1,29 Euro abgelehnt.

Und alles wegen ein bisschen Obst, vier Rispen sollen es gewesen sein. Aber es ist eben Niedersachsen, Wulff-Land, öffentlicher Dienst. Da gerät ein Geschenk, selbst eine Weintraube, leicht unter Verdacht.

Plätzchen von der netten Omi

Sieben Jahre nach der "Weintrauben-Affäre", im Dezember 2013, sitzen zwei Polizisten in einem Büro in Lüneburg. Thomas Ludwig-Dücomy ist Korruptionsbeauftragter der Polizeidirektion, Torsten Oestmann Personalchef. In ihren Abteilungen wurde damals das Disziplinarverfahren gegen D. betreut.

Vor ihnen auf dem Tisch steht ein Teller mit Gebäck, drumherum liegen Broschüren, Gesetze, Belehrungen zur Annahme von Geschenken. Ludwig-Dücomy und Oestmann haben sich bereit erklärt, über den Weintrauben-Fall zu reden - Kommissar D. mag nicht mehr. Bevor Ludwig-Dücomy zu erzählen beginnt, reicht er den Keksteller herum. Aber darf man das jetzt annehmen?

"Geben kann man lernen, nehmen muss man können", schrieb im 20. Jahrhundert der Wiener Dichter Richard Schaukal - der vor seiner literarischen Karriere im Staatsdienst beschäftigt war. Aber Schaukals Satz ist überholt. Heute will auch Nehmen gelernt sein. Vor allem jetzt, vor Weihnachten. Da kommt es ja schnell mal vor, dass eine nette Omi den Polizisten oder Feuerwehrleuten Plätzchen backt. Oder dass ein Nachbar ein Pfund Kaffee auf die Wache bringt.

Wulff und Glaeseker bieten Grund zum Nachdenken

Vor allem jetzt: Das meint aber auch die politische Situation. Aktuell stehen in Hannover der frühere Ministerpräsident Christian Wulff und sein Ex-Sprecher Olaf Glaeseker vor Gericht. Im Fall Glaeseker geht es darum, dass er Flüge und Urlaube im Wert von 12.000 Euro angenommen haben soll.

Im Fall Wulff - der an diesem Donnerstag erneut verhandelt wird - geht es darum, dass er für 753 Euro eine Hotelübernachtung angenommen haben soll. In beiden Fällen geht es letztlich um die Frage, die die Lüneburger Beamten nun anhand von Trauben zu erklären suchen: Wie viel Geschenk ist erlaubt?

Die Obst-Akte in ihrer Behörde ist verjährt, die beiden dürfen nur sagen, was damals aus dem Urteil und der Presse hervorging. "Kommissar D. wurde demnach von einem Kollegen angezeigt", erinnert sich der Korruptionsbeauftragte Ludwig-Dücomy. Die beiden Autobahnpolizisten sollen zusammen Dienst gehabt haben, bei einer Verkehrskontrolle nahm der ältere die Trauben an.

"Offenbar hat er sich nicht persönlich bereichert", sagt Ludwig-Dücomy. Vielmehr habe er die Trauben auf der Wache an Kollegen verteilt. Ein teurer Fehler: Das Amtsgericht Winsen verurteilte ihn wegen Korruption zur Zahlung von 4200 Euro. Auch die zweite Instanz brachte keinen Freispruch.

Dann kam auch noch der CDU-Politiker Nobert Böhlke ins Spiel. Und mit ihm die Frage, wann die Polizisten wie viele Krapfen annehmen dürften. Ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, als gerade erst das mit den Weintrauben geklärt war.

Norbert Böhlke ist Landtagsabgeordneter im Landkreis Harburg, jedes Jahr an Silvester bringt er ein Blech Berliner bei der Polizei vorbei - so sagen sie im Norden zu Krapfen. "Das kam immer gut an", sagt Böhlke. Nicht so 2006: Nach dem Weintrauben-Urteil schickten ihn die Beamten mit vollem Blech nach Hause.

Graubereich der Bestechung

Böhlke war sauer. "Ich fand die Zurückweisung unangemessen", sagt er. Inzwischen könne er die Beamten aber verstehen. "Die einen dürfen nicht einmal einen Werbekuli annehmen, beim anderen heißt es plötzlich in Zeitungskommentaren, ein Prozess wegen 753 Euro sei kleinlich", sagt Böhlke. "Ist ja klar, dass da Verunsicherung entsteht."

Thomas Ludwig-Dücomy und Torsten Oestmann aus Lüneburg aber halten daran fest, dass im Weintrauben-Fall nicht überreagiert wurde. "Der Kollege ist durch zwei Instanzen strafrechtlich verurteilt worden. Da können wir als Polizeidirektion nicht den Mantel des Schweigens drüber legen", sagt Oestmann.

Im Gegenteil: Seinerzeit hätten sie die "Weintrauben-Affäre" intensiv unter den Kollegen thematisiert. Das Urteil wurde per Mail verbreitet, der Fall zum Thema von Vorträgen und Dienstbesprechungen. "Es ist immer wieder wichtig, an plastischen Beispielen zu zeigen, wie schnell ein Beamter in den Graubereich der Bestechung oder der Vorteilsannahme rutscht", sagt Ludwig-Dücomy. Dabei sind Schwarz und Weiß in diesem Bereich eigentlich klar geregelt.

Auf dem Tisch liegt ein Heft, "Korruption - Prävention und Bekämpfung" steht darauf. Eine Passage ist gelb markiert: "Erlaubt: geringwertige Aufmerksamkeiten bis zu einem Wert von insgesamt 10 €". Der selbst gebackene Kuchen und das Pfund Kaffee zu Weihnachten sind also kein Problem. Dann ist noch eine Passage angemalt: "Es dürfen keine Geschenke mit Bezug auf das Amt angenommen werden."

Das bedeutet, sagt Oestmann, dass es für Beamte weniger auf den Wert des Geschenks ankomme - sondern auf die Situation, in der sie es annehmen. "Wenn jemand einem Polizisten bei einer Verkehrskontrolle auch nur einen Euro gibt, und der bricht daraufhin die Kontrolle ab, gerät er schon in den Straftatbereich", sagt er. Bei der Amtsausübung kennt das Gesetz keine Kulanz.

Der Griff zum Keksteller - erlaubt

Großzügiger sind die Regeln schon bei der Frage des Werts. "In Ausnahmen sind Geschenke bis 50 Euro erlaubt", sagt Ludwig-Dücomy. Die Annahme solcher Gaben müssen Korruptionsbeauftragte genehmigen - oder sogar das Innenministerium. Vor einigen Jahren etwa habe die Feuerwehr ihrem Kontaktbeamten in einer kleinen Polizeidienststelle zur Pensionierung eine Uhr geschenkt, teurer als zehn Euro, aber unter 50 Euro. Dieser Fall war "problemlos".

Auch komme es vor, dass jemand zu Weihnachten nicht nur ein Pfund Kaffee auf der Wache abgebe, sondern gleich eine ganze Kiste, mit einem Paket für jede Schicht. "Das geht meistens in Ordnung", sagt er. Im Zweifel könnten Kollegen Korruptionsbeauftragte wie ihn fragen.

Ach so, und den Griff zu seinem Keksteller sehe er übrigens gelassen. Der Korruptionsbeauftragte nimmt erneut die Broschüre und liest vor: "Erlaubt: übliche Bewirtung bei dienstlichen Handlungen (Erfrischungsgetränke, ggf. Mittagessen)."

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SZ vom 19.12.2013/gal
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