Bundestagswahl:"Ich habe die Schnauze voll von Menschen, die 'ne rechtsradikale Partei wählen"

Wanderwitz besucht Haus der Sorben

Marco Wanderwitz (CDU), Ostbeauftragter der Bundesregierung, bei einem Besuch im Haus der Sorben vor der Reiter-Figurine "Krabat in Paradeuniform auf geschmücktem Pferd".

(Foto: Robert Michael/D)

Die zwei Pole der CDU-Strategie im Osten: Während Hans-Georg Maaßen in Thüringen AfD-Wähler umwirbt, setzt Marco Wanderwitz, der Ostbeauftragte der Bundesregierung, in Sachsen auf radikale Abgrenzung.

Von Antonie Rietzschel, Hohenstein-Ernstthal

Marco Wanderwitz weiß schon, wie sie losgehen, die Gespräche mit Menschen, die ihm ordentlich die Meinung sagen möchten. "Eigentlich wollte ich nicht mit Ihnen reden" - den Satz hört der CDU-Abgeordnete im Wahlkampf öfter. Meist bricht es dann aus den Leuten heraus, so auch am Mittwochmorgen auf dem Wochenmarkt in Hohenstein-Ernstthal. Es riecht nach Grillhähnchen. Eine ältere Frau spricht Wanderwitz widerwillig an: 45 Jahre Arbeit, 1000 Euro Rente. Ob das aus seiner Sicht reiche. "Das entspricht ...", setzt Wanderwitz an, wird jedoch unterbrochen: "... Ihrem Gehalt, oder was?" "Sie sind etwas aggressiv", entgegnet er. "Wenn ich Sie sehe, ja." Wanderwitz schaut auf das hellblaue Tütchen in der Hand der Frau, vollgestopft mit Flyern der AfD. "Da sind Sie doch bei denen gut aufgehoben." Als Wanderwitz später am Stand gefragt wird, warum er nicht versucht, die Leute zu überzeugen, sagt er: "Ich habe die Schnauze voll von Menschen, die 'ne rechtsradikale Partei wählen."

Der Wahlkreis 163 reicht vom tiefsten Erzgebirge bis an die Ränder des Leipziger Umlands. 2002 hat Marco Wanderwitz hier zum ersten Mal das Direktmandat geholt. Selbst 2017 gewann Wanderwitz mit klarem Vorsprung, während sich andere Wahlkreise blau färbten. Die Hoffnung, dass parteiinterne Machtkämpfe und eine zunehmende Radikalisierung die Zustimmungswerte der AfD schrumpfen lassen, hat sich nicht erfüllt. Stattdessen droht die Partei in einigen ostdeutschen Bundesländern wieder stärkste Kraft zu werden. Die Versuche der CDU, die AfD zurückzudrängen, könnten in diesem Bundestagswahlkampf nicht unterschiedlicher sein: In Thüringen umwirbt der ehemalige Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen AfD-Wähler mit radikalen Positionen - in Sachsen setzt Marco Wanderwitz, der Ostbeauftragte der Bundesregierung, auf radikale Abgrenzung.

Freunde wollten weg aus Sachsen

Es ist nicht so, als hätte Wanderwitz es nicht mit Reden versucht. 2016, zum Beispiel, folgte er der Einladung der asylfeindlichen Initiative "Heimattreue Niederdorf". Auf deren Kundgebung versuchte Wanderwitz, die Haltung der Bundesregierung zu erklären, gab sich in Asylfragen als Hardliner. Neben ihm stand der Organisator, eine Mütze in den Farben der Reichsflagge auf dem Kopf. Die Menschen hörten Wanderwitz zu. Am Ende gab es ein wenig Applaus, aber auch Buhrufe.

Die Demonstrationen gegen die Unterbringung von Geflüchteten im Erzgebirge, die Ausschreitungen vor Asylunterkünften in Freital und Heidenau - Wanderwitz hat das sehr geprägt. Freunde sprachen davon, wegzugehen aus Sachsen. Er selbst habe nie darüber nachgedacht, sagt Wanderwitz. "Aber ich hatte das Gefühl, mich positionieren zu müssen, wenn das hier meine Heimat bleiben soll", sagt er.

Als Björn Höcke bei einem Auftritt in Dresden das Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schande" bezeichnete, twitterte Wanderwitz: "Das ist ein Nazi. Und er ist dort nicht der einzige". Nach Nazi-Aufmärschen in Chemnitz 2018 erklärte er, seine Partei habe "beim Rechtsextremismus viele Jahre nicht richtig hingeschaut und nicht richtig hingelangt". Als Wanderwitz im Frühjahr 2020 Christian Hirte als Ostbeauftragten ablöste, galt das als klares Statement im Richtungsstreit der CDU im Umgang mit der AfD.

Ein Ostbeauftragter hat kein Budget, er sitzt auch nicht am Kabinettstisch - auf politische Entscheidungen hat er kaum Einfluss, dafür auf Debatten. Wanderwitz ist ein eifriger Twitterer, Interviewanfragen schlägt er selten aus. Im Mai, kurz vor der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, sollte er in einem Podcast die hohen Zustimmungswerte für die AfD im Osten erklären. Teile der Bevölkerung hätten "gefestigte nicht demokratische Ansichten", sagte Wanderwitz. Mit Blick auf die AfD-Wähler sprach er von Menschen, "die teilweise in einer Form diktatursozialisiert sind, dass sie auch nach dreißig Jahren nicht in der Demokratie angekommen sind". Nur ein geringer Teil der AfD-Wähler sei "potenziell rückholbar". In manchen ostdeutschen CDU-Verbänden warfen sie Wanderwitz Wählerbeschimpfung vor, die Kanzlerin distanzierte sich von seinen Aussagen. Michael Kretschmer versprach: "Gerade für mich galt immer, wir sprechen mit jedem." Wanderwitz sagt, er habe eine niedrigere Schmerzgrenze als Sachsens Ministerpräsident.

Die AfD macht Stimmung gegen den "Ostbeschimpfungsbeauftragten"

Das ist auch in Hohenstein-Ernstthal zu spüren. Fast schon schroff geht Wanderwitz mit denjenigen um, die sich gemeint fühlen. "Wir sind in der DDR nicht rechtsradikal aufgezogen worden", sagt ein älterer Herr. "Das habe ich doch auch gar nicht gesagt", antwortet Wanderwitz. Eine Lehrerin kommt ihm zu Hilfe. "Aber wir sind doch in einer Diktatur groß geworden - und ich stelle an mir fest, dass ich manchmal sehr viel weniger hinterfrage."

Eine Frau mit Einkaufskorb bleibt vor Wanderwitz stehen. "Mir ist es gut gegangen in der DDR", sagt sie. Er sei der "unbeliebteste Mann" in der ganzen Stadt, ruft jemand in Malerkluft. Eine pensionierte Ärztin erklärt: "Ich habe Sie gewählt, damit Sie die Belange der Region vertreten - nicht damit Sie sagen, wir wären nicht mehr für die Demokratie zu gebrauchen." Es sind Sätze, die einen Politiker nicht kaltlassen sollten. Doch Wanderwitz sagt nur: "Sie müssen mich ja nicht wählen." Es soll gelassen klingen - aber seine Hände umklammern fest eine der Grillzangen, die er als Geschenk verteilt.

Er ist auch Spitzenkandidat der CDU in Sachsen. 2019 gewann die Partei mit einer Anti-AfD-Kampagne die Landtagswahlen, aktuell wirbt sie mit dem Slogan "Macher statt Spalter" um Unterstützung. Zumindest nach außen scheint es so, als stünde die Mehrheit hinter Wanderwitz. Tatsächlich finden mittlerweile aber auch seine Sympathisanten, dass Wanderwitz der AfD unnötig Munition für den Wahlkampf geliefert hat. Seit Wochen macht die Partei Stimmung gegen den "Ostbeschimpfungsbeauftragten". Der Spitzenkandidat der Partei, Tino Chrupalla, warnte bei einer Wahlkampfveranstaltungen: "Wer CDU in Sachsen wählt, wählt Wanderwitz! Überlegen Sie sich das!"

Wanderwitz ist zum Feindbild rechtsextremer und verschwörungstheoretischer Gruppen geworden. In Telegram-Chats wird dazu aufgerufen, seine Veranstaltungen zu stören. Mitte September besuchte er gemeinsam mit Kretschmer ein Museum in Oelsnitz, um mit Kulturschaffenden und Kommunalpolitikern zu diskutieren. Als die beiden Politiker mit dem Auto vorfuhren, standen da etwa hundert Menschen mit Trillerpfeifen. Die Polizei postierte sich vor den Eingängen. In Zwönitz konnte der CDU-Politiker seinen Infostand gar nicht erst aufbauen.

Wanderwitz, der einen Hang zu dramatischen Metaphern hat, spricht von einem "Abnutzungskrieg" zwischen Rechtsradikalen und Demokraten, der sich noch Jahre hinziehen werde. Wanderwitz möchte ihn gerne gewinnen, auch wenn er am 26. September verlieren sollte.

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