Weimarer Republik:Das Netz der Mörder

Außenminister Walther Rathenau (1867 bis 1922) auf dem Weg zur Weltwirtschaftskonferenz in Genua.

Außenminister Walther Rathenau (1867 bis 1922) auf dem Weg zur Weltwirtschaftskonferenz in Genua.

(Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Vor 100 Jahren töteten zwei Männer der "Organisation Consul" Außenminister Walther Rathenau. Martin Sabrow erzählt die Geschichte dieser völkischen Putschisten und erklärt, wie aus der Niederlage im Weltkrieg der Rechtsterrorismus in Deutschland erwuchs.

Von Cord Aschenbrenner

Man schreibt das Jahr 1922, ein politischer Mord ist geschehen. Das Opfer ist der Außenminister. Die Mörder können nach ihrer Tat, die sie an einem Junitag in Berlin begehen, unbehelligt verschwinden. Über Wochen fahndet die Polizei nach ihnen, schließlich stellt sie die Männer auf einem Burgturm in der Provinz. Der eine stirbt durch eine Polizeikugel, der andere tötet sich selbst. Der ermordete Minister ist der umstrittenste einer Reihe von Männern, auf die innerhalb weniger Monate Anschläge verübt werden. All diese Attentate sind von einer geheimen Organisation geplant. Ihr Ziel es ist, Unruhen auf der Linken auszulösen, auf die dann mit einem Putsch von rechts reagiert werden soll, um die verhasste demokratische Regierung der Republik zu stürzen.

Klingt arg konstruiert? Wie der Plot einer siebenteiligen ARD-Ermittlerserie, angesiedelt in der Weimarer Republik und geschrieben von einer Drehbuchautorin mit einem Hang zu Verschwörungsszenarien?

Komplott zur Beseitigung der Republik

Doch es war genauso wie oben geschildert. Nachzulesen ist es in einem erhellenden, sehr präzise und gut geschriebenen Buch des mittlerweile emeritierten Berliner Zeithistorikers Martin Sabrow. Er erzählt in dieser Neuausgabe seiner Dissertation von 1992 die nicht allzu bekannte Geschichte eines rechten Geheimbundes, der mit einem charismatischen und antidemokratischen Ex-Marineoffizier an der Spitze ein Komplott zur Beseitigung der Weimarer Republik geschmiedet hatte. Das prominenteste Opfer war deren jüdischer Außenminister Walther Rathenau.

Der 1867 geborene Rathenau war Aufsichtsratsvorsitzender der von seinem Vater gegründeten AEG gewesen, Ingenieur, Schriftsteller, Schöngeist oder, wie Robert Musil es formulierte, der in seinem "Mann ohne Eigenschaften" der Figur des Paul Arnheim Züge Rathenaus verlieh: die "Vereinigung von Kohlenpreis und Seele".

Hass auf "Erfüllungspolitiker"

Stets umstritten, von der republikanischen Presse kurz nach dem Krieg als "Jesus im Frack" verspottet, von der Rechten als Jude und Mann der Republik mit geiferndem Hass verfolgt, wurde der linksliberale Rathenau im Mai 1921 erst Minister für den Wiederaufbau, im Januar 1922 Außenminister in der Regierung des Zentrumspolitikers Joseph Wirth. Beide waren "Erfüllungspolitiker"; erfüllt werden mussten die im Versailler Vertrag festgelegten Reparationsforderungen der alliierten Siegermächte, was die Zahlung immenser Summen über Jahrzehnte bedeutete: insgesamt 132 Milliarden Goldmark.

In republikfeindlichen Kreisen galt Rathenau, wie Sabrow schreibt, von Monat zu Monat mehr als "Inkarnation einer jüdisch-kapitalistischen Verschwörung". Es waren jene - Beamte, Offiziere der geschrumpften Reichswehr, Pfarrer, Ärzte, der Mittelstand also -, denen die Wirtschaftslage kurz nach dem Krieg finanziell allmählich den Boden unter den Füßen wegzog; ihr Blick auf die Welt war getrübt von der Dolchstoßlegende, von Antisemitismus, völkischem Denken und Hass auf die Demokratie.

Einer, der sich mit der Republik von Anfang an nicht abfinden wollte, war der Pfarrerssohn und kaiserliche Korvettenkapitän Hermann Ehrhardt. Anfang 1919 stellte er ein Freikorps aus ehemaligen Marineoffizieren auf, das linke Aufstände und mit besonderer Brutalität die Münchner Räterepublik niederschlug. Im März 1920 war die "Brigade Erhardt" am gegenrevolutionären Kapp-Lüttwitz-Putsch in Berlin beteiligt; danach tauchte ihr von seinen Männern verehrter Anführer im völkisch-national brodelnden München unter und gründete die Organisation Consul (O.C.). Den militärisch straffen Aufbau dieser reichsweiten, klandestin in Zellen organisierten Verschwörung mit "einer mörderischen Geheimbundzentrale" beschreibt Martin Sabrow faszinierend genau. Finanziert wurde die O.C. durch Industrielle und Republikfeinde in Bürgertum, Adel und Militär, die wie Erhardt eine gewaltsame Änderung der politischen Verhältnisse erzwingen wollten.

Attentate auf Erzberger und Scheidemann

Ihr erstes Opfer war der ehemalige Finanzminister Matthias Erzberger, der Mann, der durch seine Unterschrift des Waffenstillstands vom November 1918 für viele Deutsche bis weit in die Mitte der Gesellschaft zum Hauptfeind geworden war. Zwei von Erhardts Männern brachten ihn im August 1921 bei einem Spaziergang im Schwarzwald um. Die Polizei spürte zwar das Hauptquartier der Organisation Consul auf, der Münchner Polizeipräsident Pöhner selbst jedoch schützte die Attentäter und auch Ehrhardt. Der nächste Anschlag Anfang Juni 1922 galt dem Sozialdemokraten Philipp Scheidemann, scheiterte aber am Dilettantismus der beiden Attentäter. Scheidemann hatte am 9. November 1918 die Republik ausgerufen, auch ihn hasste die Rechte.

Schaulustige am Tatort Königsallee, Ecke Wallotstraße: Am Morgen des 24. Juni 1922 wurde Außenminister Walther Rathenau in Berlin-Grunewald auf der Fahrt ins Auswärtige Amt von Angehörigen der rechtsextremen Organisation Consul (OC) ermordet.

Schaulustige am Tatort Königsallee, Ecke Wallotstraße: Am Morgen des 24. Juni 1922 wurde Außenminister Walther Rathenau in Berlin-Grunewald auf der Fahrt ins Auswärtige Amt von Angehörigen der rechtsextremen Organisation Consul (OC) ermordet.

(Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Am 24. Juni 1922 traf es Walther Rathenau. Zwei junge Weltkriegsoffiziere namens Kern und Fischer töteten den Minister, der im offenen Wagen ohne Polizeischutz ins Auswärtige Amt unterwegs war, mit einer Handgranate und Schüssen aus einer Maschinenpistole. Die Mörder konnten entkommen, aber der Plan Erhardts ging nicht auf: Es gab keinen allgemeinen Aufstand der Empörung von links, keine bewaffneten Unruhen, auf die die zum Töten trainierten Söldner der O.C. mit einem Putsch hätten antworten können, um die alte Ordnung wiederherzustellen.

Zwar gab es Tumulte im Reichstag und Handgreiflichkeiten gegen deutschnationale Abgeordnete. Doch die Menschen blieben überwiegend ruhig, waren aber bis weit in konservative Kreise hinein entsetzt und empört. Der Tag der Trauerfeier für den Ermordeten mit einer Million Teilnehmern allein in Berlin und Hunderttausenden im ganzen Land wurde zur Demonstration für die Republik; eine Demonstration trauriger, zutiefst beunruhigter Menschen, denn in sehr vielen wuchs das Bewusstsein, dass "das Land einer unerkannten terroristischen Macht ausgeliefert sei", so Sabrow. Die Bestätigung dafür kam wenige Tage später, als der prominente jüdische Publizist Maximilian Harden einen Anschlag überlebte.

Die Justiz war auf dem rechten Auge blind

Martin Sabrow schildert die Attentatsserie und die stellenweise ins Groteske spielende, schließlich aber erfolgreiche Jagd auf Rathenaus Mörder detailliert, tiefschürfend und spannend. Im zweiten Teil des Buches widmet er sich der Verhandlung vor dem Leipziger Staatsgerichtshof gegen die Komplizen der toten Mörder. Die Anklageschrift hatte auf Betreiben des Oberreichsanwalts den entscheidenden Schönheitsfehler, die Rolle der O.C., auch deren staatliche Unterstützer und damit die Verschwörung hinter dem Mord fast völlig auszuklammern, das Verfahren beschäftigte sich nur mit der Tat als solcher. Ein weiterer Prozess gegen die O.C. selbst entlastete diese umfassend; der Drahtzieher und "Putschpolitiker" Hermann Ehrhardt, "dank seiner erfolgreichen späteren Selbstverharmlosung zu Unrecht aus dem Blick der Geschichte geschwunden", wie Sabrow schreibt, zählte nicht zu den Angeklagten. Die ganz überwiegend reaktionäre Weimarer Justiz war ihrem Ruf gerecht geworden.

Martin Sabrow: Der Rathenaumord und die deutsche Gegenrevolution. Wallstein-Verlag,
Göttingen 2022. 334 Seiten, 30 Euro.

Martin Sabrow: Der Rathenaumord und die deutsche Gegenrevolution. Wallstein-Verlag, Göttingen 2022. 334 Seiten, 30 Euro.

Im Nachwort stellt Sabrow die Frage nach der Kontinuität des rechten Terrors bis in die Gegenwart und konstatiert, es ziehe sich "eine markante Terrorspur durch die Geschichte der Bundesrepublik". Auch so kann man dieses Buch über die Gegenrevolution lesen: als Beginn einer durch die Niederlage im Ersten Weltkrieg ausgelösten Gewaltgeschichte von rechts. Sabrow verneint jedoch mit guten Gründen eine "ungebrochene Kontinuitätslinie" vom "Weimarer Rechtsputschismus" zum heutigen Rechtsterrorismus. Und anders als damals spaltet der rechte Terror seit 1945 die Gesellschaft nicht. Bisher jedenfalls.

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